Eine neue Wissenschaft

05.11.2012
"Die Entdeckung der Landschaft" von Hansjörg Küster ist eine Einführung in das junge Forschungsgebiet der Landschaftswissenschaft: Geographie und Ökologie, Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur, Raumplanung und Architektur, Geschichte sowie Land- und Forstwissenschaften gehören zu den Disziplinen.
Ein Berg, ein Fluss, ein Wald, ein Dorf. Klare Bezeichnungen - oder? Doch ein schwedisches Dorf besteht aus drei, vier einsamen Häusern im Wald; in Mitteleuropa leben in Dörfern nicht selten viele hundert Menschen. Ein Berg in den Alpen muss schroff in den Himmel ragen; im flachen Norddeutschland tauft man schon Sanddünen auf diesen Namen.

"Die Entdeckung der Landschaft" heißt das neue Buch des Ökologen und versierten populärwissenschaftlichen Autors Hansjörg Küster - eine Einführung in das junge Forschungsgebiet der Landschaftswissenschaft, das eine Vielzahl von Disziplinen umfasst: Geographie und Ökologie, Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur, Raumplanung und Architektur, Geschichte, Land- und Forstwissenschaften.

Entsprechend ausdifferenziert fällt das inhaltliche Programm des Buches aus. Nach einem klassisch-naturwissenschaftlichen Einstieg - Erdoberflächenprozesse, Küstenbildung, Dynamik von Ökosystemen - wechselt der Autor in die Kulturgeschichte, untersucht die schillernden Metaphern rund um die Landschaft - siehe Dorf, Berg, Wald und Flur - , erläutert vom frühen Ackerbau bis zur Industrialisierung die wichtigsten Nutzungsformen von Landschaften im Laufe der Geschichte und skizziert am Ende ein zukünftiges Forschungsprogramm des neuen Faches.

Das hat sich aus gutem Grund an der Schnittstelle von Natur- und Geisteswissenschaften angesiedelt, denn die Trennung von Natur- und Kulturlandschaften entspringt reinem Wunschdenken, kann Hansjörg Küster im Laufe seines Buches überzeugend belegen. Gegenwärtig gilt Natur als beständig, gut und rein, dagegen scheint Kultur degeneriert und schädlich für die Umwelt.

In Zeiten des Fortschrittsoptimismus drehen sich die Verhältnisse gerne um, dann wird die schmutzig-raue Wildnis zugunsten der erwünschten Kultivierung zurückgedrängt. Doch natürliche und kulturelle Einflüsse auf Landschaften lassen sich niemals streng voneinander trennen, zeigt der Autor. Auch eine Mega-City ist Wind und Wetter ausgesetzt. Und das Beispiel der Lüneburger Heide zeigt, wie eine vom Menschen erzeugte Landschaft zum Inbegriff heiler Natur werden kann.

In seinem Buch spricht der Autor Studierende der Landschaftswissenschaften ebenso an wie Laien, die sich für eines der vielen Fachgebiete interessieren, mit denen der neue Forschungszweig Kontakte pflegt. Seinen flüssig geschriebenen Text flankieren Informationsgrafiken, Tabellen, Abbildungen aus der Landschaftsmalerei und schön anzusehende Panoramafotografien.

Inhaltlich beeindruckt vor allem die Leichtigkeit, mit der Hansjörg Küster im vollen Galopp die "Pferde" wechselt. Er springt von der Biologie zur Frühgeschichte, sattelt von Mikroorganismen auf kunsthistorische Gemäldeinterpretationen um, zitiert hier ein romantisches Gedicht und präsentiert dort eine Tabelle zu chemisch-physikalischen Umweltfaktoren, ohne eine Perspektive der anderen zu bevorzugen. Das ist gelebtes fachübergreifendes Denken. Man möchte zwanzig sein und das bunte Fach sofort studieren.

Besprochen von Susanne Billig

Hansjörg Küster: Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
erschienen beim C. H.Beck Verlag in der Beck’schen Reihe, 361 Seiten, 17,95 Euro