Eine neue Kultur für Europa?

Von Susanne Lettenbauer |
Wie klingt Europa? Gibt es einen Gleichklang oder Dissonanzen? Spielen die 25 EU-Staaten gemeinsam in einem Orchester oder ergibt das Zusammenspiel eine Kakophonie? Zu Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft hat sich Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel viel vorgenommen. Neben den politischen Entscheidungen und Debatten, die in den kommenden sechs Monaten anstehen, lud er die wichtigsten Vertreter der europäischen Staaten nach Salzburg, um über den "Sound of Europe" zu diskutieren.
Erst einmal klingt Europa ziemlich dissonant. Regen aus Berlin, Fernsehen aus Sardinien, Kneipenlärm aus Irland, französische Gedichte. Vor dem überdimensionalen Kongresszentrum der überschaubaren Stadt Salzburg klingt Europa beeindruckend vielfältig.

Nach Sicherheitsschleuse und Mozartkugelkörbchen der Gang in den Europa-Saal. Slow Motion-Videos von ankommenden Passagieren an einem Londoner Flughafen, untermalt von Barock-Klängen, leuchten von neun Grossbildleinwänden, ein eher peinliches Sinnbild für den Eintritt ins gelobte Land Europa - der Sound of Europe klang eher irritierend unverständlich. Mehr nach Heiner Goebbels als nach Mozart. Eine bewusste Brechung der Erwartungshaltung von 300 Teilnehmern der hochrangigen Tagung. Zur "Eröfffnungsarie" war Dominque de Villepin, Frankreichs Premierminister geladen:

"Europa war lange eine Utopie. Europa war ein Traum, an den man umso mehr glaubte, je mehr man den Sinn dieses Traumes verstand. Heute stehen wir vor einer tiefgreifenden Krise. "

Die Kultur müsste Europa aus dieser Krise führen können, inspirierend auf die ratlosen Premieres, Staatspräsidenten und EU-Politiker wirken, meinte Initiator Wolfgang Schüssel, der österreichische Bundeskanzler. Mit dem geistigen Fundament von der Antike, über das Römische Reich bis hin zur Aufklärung.

Regisseur Jürgen Flimm: "Wenn wir nicht das vermitteln, den einzelnen Bürgern in Bulgarien oder Rumänien. Wenn wir denen nicht vermitteln, was Europa bedeutet, dann wird es nie eine Identität geben. Ihr werdet in Brüssel sitzen und eure Verordnungen erlassen, ohne eine Basis. Ihr müsst das kulturelle Erbe weitergeben und das bedeutet Education-Programm. "

Doch nichts wird in Europa so beängstigend empfunden wie Veränderungen: Die EU-Osterweiterung, die gemeinsame Währung, eine geplante gemeinsame Sicherheitspolizei, die Globalisierung, der Abbau von Arbeitsplätzen. Man müsse der Bevölkerung wieder Mut machen, keine Angst vor der Angst zu haben, betonte Schüssel. Auch nach den zwei negativen Abstimmungen zum EU-Referendum in Frankreich und den Niederlanden.

Man dürfe dabei nicht vergessen, so David Cesarani, Professor für jüdische Geschichte in London, dass Europa für Himmlisches und Höllisches stehe. Am 27. Januar wurde nicht nur Mozart geboren, sondern auch Auschwitz befreit. Das kosmopolitische Europa, das heute mühevoll herbeigeredet wird, ist dort ermordet worden:

"Ich glaube nicht, dass sich Europa von diesem Trauma erholt hat. Da helfen auch keine Gedenkfeiern oder Kranzniederlegungen oder die Bekundungen, das passiert nie wieder, jetzt können wir uns der Zukunft zuwenden. Es gibt erschreckend häufig die Äußerung von Intellektuellen, dass der Nationalsozialismus die Umsetzung der Aufklärung wäre, die Verkörperung der europäischen Moderne. "

Betont optimistisch zeigte sich hingegen die lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga. Sie forderte eine engere Anbindung an die Vereinigten Staaten und erinnerte an die Befreiung Europas 1945 und die damaligen Demokratiebestrebungen. Die baltischen Staaten empfinden Europa als Muse und nicht als Sirene. Im Angesicht von unglaublichen Erfolgen innerhalb von 60 Jahren schadet sich Europa nur selbst mit andauernden Selbstbeschuldigungen. Derzeit herrscht ein Klang in Moll in Europa. Eigentlich habe man sich ja Mozart gewünscht, so der ehemalige polnische Außenminister Bronislaw Geremek, "bekommen haben wir Wagner". Eine hektische Dramatik statt lieblicher Harmonie. Die Ursache liegt im Desinteresse an Europa, meinte Österreichs Bundeskanzler, die Frage von Oliviero Toscani aufgreifend:

Schüssel/Gerhard: "Lieben wir eigentlich einander? Lieben Europäer Europäer? Sind wir neugierig aufeinander? Sind wir uns fremd? Ein unerhört provokanter Satz. Ich habe da keine einfache Antwort drauf, aber das ist ein Thema. Über dieses Thema müsste man reden. Der österreichische Rundfunk hat einmal überlegt eine Sendung zu machen "Das Haus Europa" Das Projekt war nicht interessant genug. Können wir sowas schaffen, wie Neugier zu schaffen aufeinander? "

Was den Gleichklang in Europa ebenso stört ist das Fehlen von europäischen Bildern. Oder ein Ausschuss für die Bewahrung europäischer Denkmäler, wie Dominique de Villepin anmerkte und damit anregte:

"Lassen Sie uns gemeinsame Projekte angehen wie zum Beispiel die große digitale Bibliothek, wir sollten den Studentenaustausch erweitern, die Mobilität der Studenten fördern, damit aus Europa ein Raum des Wissens und der Excellenz wird. Im Kulturbereich könnten wir uns zusammentun, um unser kulturelles Erbe besser auszuwerten. Könnten wir hier in Salzburg nicht erkennen, dass der Schutz der Denkmäler eine große Herausforderung für unsere Länder darstellt. Warum sollten wir nicht, ähnlich wie die Modesco, einen hochrangigen Ausschuss einrichten, der zuständig wäre für die Vergabe eines Labels. "

Von diesen Anregungen könnte Europa eine ganze Menge gebrauchen. An Ideen scheint es nicht zu mangeln, zeigte die zweite Diskussionsrunde unter dem Motto "Was nun? Ein neuer Klang?. Nur an Selbstvertrauen. Ein überlebensfähiges Europa, daran ist kein Zweifel, basiert vor allem auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl.

José Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission:

"Wie wollen wir denn der Globalisierung begegnen? Wollen wir uns verstecken? Wollen wir uns vorlügen, dass es die Globalisierung nicht gibt? Wollen wir sie verhindern oder sollten wir sie nicht eher bewältigen mit Hilfe unserer Werte, unserer europäischen Traditionen, unseren Prinzipien? Nein, wir müssen diese Globalisierung für uns nutzen, sie vor allem den jungen Leuten besser erklären als eine Chance und nicht einen Rückschritt. "

Für eine bessere Informationspolitik schlug Dominique de Villepin mit Zustimmung aller Teilnehmer vor, die alte Wiener oder Pariser Tradition wieder zu beleben - ein Café d´Europe einzurichten und damit Europa durch Worte zum Klingen zu bringen. Wolfgang Schüssel griff den Vorschlag begeistert auf:

"Das ist schon die Frage, ob wir nicht in diesem Semester, rund um den 9. Mai, den Europatag, so eine Serie von Café d´Europe starten sollen, wir in ganz Europa zu Diskussionen einladen sollten. Wäre zum Beispiel eine ganz konkrete Anregung. "

Dann müsste auch darüber diskutiert werden, so Nikolaus Harnoncourt, dass die Bildung, der Menschen, im Unterschied zur "Ausbildung" reformiert wird. Derzeit bietet man den Kindern und Jugendlichen zu wenig. Der Sound of Europe wird unverständlich, wenn musische Bildung nahezu weggekürzt wird. Was passiert mit dem Erasmus-Programm für Studenten? Sollte die Kürzung der Mittel nicht überdacht werden? Europa verschenkt leichtfertig seine Werte:

"Wie Menschen grundsätzlich gebildet und erzogen werden, scheint mir von höchster Wichtigkeit zu sein. Und wenn die Ausbildung für das praktische Leben alles andere dominiert, gegenüber der Bildung des Menschen, dann ist diese Gefahr nicht mehr zu übersehen. "

Welche Vorschläge werden tatsächlich umgesetzt und welche der wohlmeinenden Anregungen bleiben bloße Lippenbekenntnisse? Wenn man José Manuel Barroso glauben darf, dann soll diese Diskussion, diese" Orchesterprobe", im Juli in Finnland, dem Nachfolgestaat Österreichs innerhalb der EU-Ratspräsidentschaft, fortgesetzt werden.