Eine neue Bundeswehr?
Der Wehrdienst wird immer kürzer, je länger die Diskussion um den Wehrdienst andauert. Selbst in unserem nach- und nichtprophetischen Zeitalter kann man vorhersagen: Irgendwann wird auch bei uns der Wehrdienst abgeschafft.
Wann? Nach dem Rückzug aus Afghanistan. Warum? Weil dann mit dem Totalumbau der Bundeswehr begonnen wird. Spätestens dann wird die Bundeswehr zu einer Eingreiftruppe umgemodelt, die – multilateral und völkerrechtlich abgesichert, versteht sich – auswärtige Brennpunkte löschen und Kriege beenden soll.
Viele fragen: Ist diese sechsmonatige Kurzausbildung ein Feigenblatt, um ein Weiterleben der Wehrpflicht-Armee des Grundgesetzes vorzutäuschen? Meine Antwort: Anders als die vielen Fragenden unterstelle ich „den Politikern“ demokratischer Parteien zunächst einmal nicht (oder nicht automatisch), dass sie uns Bürger täuschen wollen.
Die Wehrpflicht, und zwar egal, wie lange sie dauert, hat einen für die Bundeswehr und damit die Bundesrepublik, entscheidenden sachlichen Grund. Sie, liebe Hörer, werden zu Recht sagen: „Die Bindung ans Gemeinwesen, den Einsatz der Gesellschaft als und für die Gemeinschaft, das Verhindern eines Staates im Staate, sowie – durch Wehrdienstverweigerung – die Sicherung des so wesentlichen und wichtigen Zivildienstes.“ Alles richtig, doch das war einmal und ist nicht mehr.
Nicht passé, sondern passend, praktisch und entscheidend ist der folgende Grund: Die Wehrpflicht war und ist das Eingangstor zur Bundeswehr, gerade für die länger Dienenden und die späteren Berufssoldaten. Aus diesem Reservoir, vornehmlich aus diesem, schöpft die Bundeswehr ihren Nachwuchs. Knapp 50 Prozent der Berufssoldaten entscheiden sich für diesen Lebensweg wegen und während der Wehrpflicht. Das wiederum widerlegt, ganz nebenbei und empirisch, die gehegte und gepflegte Legende vom Bundeswehr-„Gammeldienst“. Gewiss, auch dieses Nicht-Gammeln zieht nicht unbedingt die deutschen Dichter und Denker zur Bundeswehr, aber auch, ebenso gewiss, nicht die Analphabeten und Deppen der Nation, sondern „Menschen wie du und ich.“
Wenn es also, wie vorhersehbar, keine Wehrpflicht mehr gibt, gehen nicht mehr „du und ich“ in die Bundeswehr, sondern immer mehr Rauf-, Kampf- und Kriegertypen. Wo die Wehrpflicht abgeschafft wurde, dominieren diese Typen. Wehrpflichtsoldaten hätten Abu Ghraib nicht verbrochen. Wer die Wehrpflicht zerbricht, trägt zur Brutalisierung der Kämpfer, Kämpfe und Kriege bei. Wollen wir das?
Wer die Wehrpflicht abschafft, muss wissen, was er tut und wen er in die Bundeswehr bringt. Wissen sie, was sie tun? Zweifel sind erlaubt.
Was wir wissen: Die gegenwärtige Struktur der Bundeswehr passt überhaupt nicht zu den gegenwärtigen Einsatzanforderungen. Wer die Jahreszahlen 1989 und 2001 nennt, kennt diese gegenwärtigen Einsatzanforderungen: Seit der Sanften Weltrevolution von 1989 ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland – gottlob – nicht mehr durch seine Nachbarn gefährdet. Tödliche Gefahr droht national, kontinental und global vom Teufelswerk Terror. Für diesen Anti-Terrorkampf sind Bundeswehr, Bundesbürger und Bundesrepublik weder mental gerüstet noch materiell ausgerüstet. Mit Fußsoldaten, Flugzeugen, Panzern, Kanonen oder Raketen kann man Terroristen und ihre Guerillahelfer nicht besiegen; weder in Afghanistan noch woanders.
Die bisherigen Reformen der Bundeswehr sind Reförmchen. Eine Umformung der Bundeswehr ist nötig. Gefordert sind dabei zunächst und vor allem Politik und Gesellschaft, die Bürger, also: du und ich.
Michael Wolffsohn, Historiker, wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen „Keine Angst vor Deutschland!“, „Die Deutschland-Akte – Tatsachen und Legenden in Ost und West“, „Meine Juden – Eure Juden“ und zuletzt „Juden und Christen – ungleiche Geschwister“.
Viele fragen: Ist diese sechsmonatige Kurzausbildung ein Feigenblatt, um ein Weiterleben der Wehrpflicht-Armee des Grundgesetzes vorzutäuschen? Meine Antwort: Anders als die vielen Fragenden unterstelle ich „den Politikern“ demokratischer Parteien zunächst einmal nicht (oder nicht automatisch), dass sie uns Bürger täuschen wollen.
Die Wehrpflicht, und zwar egal, wie lange sie dauert, hat einen für die Bundeswehr und damit die Bundesrepublik, entscheidenden sachlichen Grund. Sie, liebe Hörer, werden zu Recht sagen: „Die Bindung ans Gemeinwesen, den Einsatz der Gesellschaft als und für die Gemeinschaft, das Verhindern eines Staates im Staate, sowie – durch Wehrdienstverweigerung – die Sicherung des so wesentlichen und wichtigen Zivildienstes.“ Alles richtig, doch das war einmal und ist nicht mehr.
Nicht passé, sondern passend, praktisch und entscheidend ist der folgende Grund: Die Wehrpflicht war und ist das Eingangstor zur Bundeswehr, gerade für die länger Dienenden und die späteren Berufssoldaten. Aus diesem Reservoir, vornehmlich aus diesem, schöpft die Bundeswehr ihren Nachwuchs. Knapp 50 Prozent der Berufssoldaten entscheiden sich für diesen Lebensweg wegen und während der Wehrpflicht. Das wiederum widerlegt, ganz nebenbei und empirisch, die gehegte und gepflegte Legende vom Bundeswehr-„Gammeldienst“. Gewiss, auch dieses Nicht-Gammeln zieht nicht unbedingt die deutschen Dichter und Denker zur Bundeswehr, aber auch, ebenso gewiss, nicht die Analphabeten und Deppen der Nation, sondern „Menschen wie du und ich.“
Wenn es also, wie vorhersehbar, keine Wehrpflicht mehr gibt, gehen nicht mehr „du und ich“ in die Bundeswehr, sondern immer mehr Rauf-, Kampf- und Kriegertypen. Wo die Wehrpflicht abgeschafft wurde, dominieren diese Typen. Wehrpflichtsoldaten hätten Abu Ghraib nicht verbrochen. Wer die Wehrpflicht zerbricht, trägt zur Brutalisierung der Kämpfer, Kämpfe und Kriege bei. Wollen wir das?
Wer die Wehrpflicht abschafft, muss wissen, was er tut und wen er in die Bundeswehr bringt. Wissen sie, was sie tun? Zweifel sind erlaubt.
Was wir wissen: Die gegenwärtige Struktur der Bundeswehr passt überhaupt nicht zu den gegenwärtigen Einsatzanforderungen. Wer die Jahreszahlen 1989 und 2001 nennt, kennt diese gegenwärtigen Einsatzanforderungen: Seit der Sanften Weltrevolution von 1989 ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland – gottlob – nicht mehr durch seine Nachbarn gefährdet. Tödliche Gefahr droht national, kontinental und global vom Teufelswerk Terror. Für diesen Anti-Terrorkampf sind Bundeswehr, Bundesbürger und Bundesrepublik weder mental gerüstet noch materiell ausgerüstet. Mit Fußsoldaten, Flugzeugen, Panzern, Kanonen oder Raketen kann man Terroristen und ihre Guerillahelfer nicht besiegen; weder in Afghanistan noch woanders.
Die bisherigen Reformen der Bundeswehr sind Reförmchen. Eine Umformung der Bundeswehr ist nötig. Gefordert sind dabei zunächst und vor allem Politik und Gesellschaft, die Bürger, also: du und ich.
Michael Wolffsohn, Historiker, wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen „Keine Angst vor Deutschland!“, „Die Deutschland-Akte – Tatsachen und Legenden in Ost und West“, „Meine Juden – Eure Juden“ und zuletzt „Juden und Christen – ungleiche Geschwister“.

Michael Wolffsohn© AP