Eine musikalisch beglückende Aufführung

Von Holger Hettinger |
In der Staatsoper Hannover treibt Ivan Repusic das Staatsorchester in dieser Inszenierung von "Eugen Onegin" zu interpretatorischen Höchstleistungen - und bringt das Kolorit von Tschaikowskys Partitur zum Leuchten. Packend, präzise erzählt, große Klasse!
Diese Farben! In das Streichergrollen zu Beginn von Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" mischen sich klug abgetönte Holzbläser, Motive wandern präzise durch die Instrumentengruppen, klangsinnlich und Melos-gesättigt - keine Frage: Ivan Repusic, Erster Kapellmeister der Staatsoper Hannover, animiert das Niedersächsische Staatsorchester zu interpretatorischen Höchstleistungen, disponiert klug über Licht und Schatten, und bringt das Kolorit von Tschaikowskys Partitur zum Leuchten.

Allerdings – und das ist das Besondere – schwelgt Repusic nicht in schönen Passagen, sondern entwickelt einen fast schon architektonischen Zugang jenseits des emotionalen Überschwangs, präpariert Verläufe und leitmotivische Verschränkungen heraus, bespielt die Palette zwischen duftig und wuchtig mit Finesse und Augenmaß, lässt die Musik atmen und fließen - und siehe da: es funktioniert!

Es funktioniert vor allem im Verein mit den durchweg überzeugenden Sängerinnen und Sängern – die können selbst in den bisweilen kantig-deklamatorischen Abschnitten ihrer Partien ein hohes Maß an Fluss und Eleganz entwickeln: Toll, wie der "Onegin" klingen kann, wenn man ihn nicht durchbuchstabiert! Sara Eterno als Tatjana war ausgesprochen trittsicher, schöpfte aus einem großen Reservoir an stimmlichen Abtönungen und setzte ihre strahlende Höhe effektvoll, aber nie auftrumpfend ein. In der Rolle des Lenski verwirklichte Philipp Heo ein beeindruckendes Powerplay, was mit der sonoren Präsenz von Adam Kim als Onegin bestens korrespondierte – auch wenn Kim darstellerisch etwas eigenwillig agierte.

Fernab von Konventionen und Klischees
Die Inszenierung von Ingo Kerkhof setzte auf die Visualisierung des Innenlebens seiner Protagonisten – und darauf, die behaupteten Gefühle der Akteure kritisch zu hinterfragen. Kerkhof zeichnet seine Figuren überaus reflektiert und akribisch, fernab von Rollenkonventionen und Aufführungsklischees – die psychologisierend-karge optische Umsetzung erlaubt eine sehr intensive Begegnung mit der Frage, was die Figuren wirklich treibt. Dass dem Spiel vor der weiten, karg möblierten Bühne die letzte Durchschlagkraft fehlt, liegt daran, dass Kerkhof kaum griffige Bilder gelingen, dass die Meta-Ebene so gar nicht bespielt wird.

Das Duett von Lenski und Onegin etwa vor dem tödlichen Duell, in dem die Kraft der einst freundschaftlichen Verbindung beschworen wird und die Handlung wieder variantenoffen wird, überhaupt die vielen Abzweigungen und Schichtungen: in Hannover stehen zwei Männer auf der Bühne und singen sich an. Überhaupt gibt Tschaikowskys Musik so manchen Hinweis auf Spannungsbögen und Handlungsmotive – im Spiel der Akteure findet das wenig Widerhall. Das führt dazu, dass die Aufführung seltsam gravitationslos abschnurrt: wo sind die Kräftefelder, die sich aus den Polaritäten wie Stadt und Land ergeben, Vergangenheit und Zukunft, Herz und Vernunft, Vergelten oder Verzeihen? Dass der Chor ausstaffiert ist wie in einer schlechten "Anatevka"-Aufführung – geschenkt.

Unterm Strich: eine packende, präzise erzählte, vor allem musikalisch überaus beglückende Aufführung. Große Klasse!

Eugen Onegin von Peter Tschaikowsky
Staatsoper Hannover
Insznierung: Ingo Kerkhof
Musikalische Leitung: Ivan Repusic
Noch bis zum 19. Juni 2013
Mehr zum Thema