"Eine militärische Option ist absolut unkalkulierbar"
Der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Hans-Ulrich Klose, hat sich für einen politischen Dialog mit dem Iran ausgesprochen. An eine Wirksamkeit von isolierten Sanktionen glaube er nicht, sagte der SPD-Außenpolitiker.
Deutschlandradio Kultur: Herr Klose, hierzulande ist es ja höchst ungewöhnlich, wenn ein Bundesminister einen Oppositionspolitiker in sein Team holt. Sie sind aber zum 1. April dem Ruf von Außenamtschef Westerwelle gefolgt und sind nun offiziell Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Können Sie uns verraten, warum wollte Westerwelle gerade Sie? Und warum haben Sie zugesagt?
Hans-Ulrich Klose: Ich nehme an, dass ich gefragt worden bin, weil ich im Bundestag als "der Amerikaner" gelte. Ich leite seit vielen Jahren die Parlamentariergruppe USA und ich kenne mich auch einigermaßen gut aus, weil ich - angeregt durch mein Austauschjahr in Amerika, lange zurück 1954/55 - mich immer wieder mit Amerika beschäftigt habe.
Ich denke, dass die Bundesregierung, die mich ernannt hat, das berücksichtigt hat und die Tatsache, dass ich in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik als bipartisan angesehen werde, das heißt, als einer, der Außen- und Sicherheitspolitik nicht parteipolitisch definiert, sondern politisch.
Deutschlandradio Kultur: Ein Problem von Guido Westerwelle besteht darin, dass er oft seine Funktionen als Außenminister und als FDP-Vorsitzender vermengt. Ist das ein Problem für den Sozialdemokraten Klose, der - was wir jetzt mal unterstellen - oft nicht einverstanden sein kann, mit dem, was der Parteipolitiker Westerwelle da so von sich gibt?
Hans-Ulrich Klose: Das Letztere ist richtig. Ich mache aber einen Unterschied zwischen seiner Funktion als Außenminister und seinem Auftreten und Agieren dort und dem, was er als Parteivorsitzender macht.
Ich sage es noch mal: Ich gehöre zu denen, die glauben, dass man in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik möglichst nahe beieinanderbleiben soll, weil man diese Politik nicht nach jeder Bundestagswahl verändern kann. Da muss es Kontinuität geben. Von dort heraus fällt es mir auch mir auch nicht schwer, zu unterscheiden zwischen dem Außenminister Westerwelle und dem Parteivorsitzenden.
Deutschlandradio Kultur: Was sagt denn der Amerikaner im Bundestag, um Ihr Wort aufzugreifen? Wo hakt es in der transatlantischen Zusammenarbeit? Was ist verbesserungsbedürftig? Wo sehen Sie sich künftig besonders gefordert?
Hans-Ulrich Klose: Man muss, glaube ich, im Grundsatz feststellen, dass die europäisch- und deutsch-amerikanischen Beziehungen sich seit dem Ende des Kalten Krieges deutlich verändert haben. Das amerikanische strategische Interesse hat sich von Westeuropa in Richtung Osteuropa und darüber hinaus verlagert - in den Mittleren Osten, Zentralasien und in den Pazifik.
Europa ist aus der Sicht der heutigen Regierung nicht mehr ganz so wichtig, wie es früher war. Europa kann für sich selber sorgen und braucht den Hegemon nicht mehr. Und Deutschland - muss man leidenschaftslos feststellen - war wichtig und zentral als Konfliktland. Aber wir sind kein Konfliktland mehr - Gott sei Dank.
Deshalb sind wir aus amerikanischer Sicht auch nicht mehr ganz so relevant. Wir werden wahrgenommen als das bevölkerungsreichste Land innerhalb der Europäischen Union, das mit der stärksten Volkswirtschaft - aber das ist es dann auch.
Deutschlandradio Kultur: Seit Obama im Januar 2009 das Amt antrat, hat sich da in Ihrer Wahrnehmung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen etwas verändert? Unter George W. Bush gab es ja viele Spannungen, vielleicht eher so auf der Wahrnehmungsebene, aber die waren schon erheblich. Was ist neu jetzt unter der neuen Präsidentschaft?
Hans-Ulrich Klose: Vielleicht zweierlei: Zum einen, wir werden uns alle erinnern, Obama war ja auch in Europa und vor allen Dingen in Deutschland ja extrem populär am Anfang. Er wurde auch hier als - in Anführungszeichen - "Lichtgestalt" gesehen.
Ich war in dem Punkt immer ein Obama-Anhänger, aber zurückhaltender, weil ich weiß, jeder amerikanische Präsident ist amerikanischer Präsident und nicht Präsident Europas und nicht Präsident der Deutschen. Er wird immer zuerst amerikanische Interessen wahrnehmen. Dazu kommt, dass Obama, wenn ich das etwas pauschal sagen darf, kein atlantisch geprägter Präsident ist, sondern eher ein pazifisch geprägter Präsident.
Deutschlandradio Kultur: Sozialisiert auf Hawaii.
Hans-Ulrich Klose: Nicht nur Hawaii, sondern er hat ja auch eine Zeit lang gelebt mit seiner Mutter in Indonesien. Und er weiß im Übrigen, dass im Augenblick in der Welt eine Neuverteilung von Macht und Wohlstand stattfindet. Und das geht eher in Richtung Pazifik. Und daraus zieht er Konsequenzen. Das macht insgesamt die Sache für Europa schwieriger, vor allen Dingen, wenn wir nicht lernen, mit einer Stimme zu sprechen.
Deutschlandradio Kultur: Sind die Eindrücke des Fachmanns Klose, die Sie uns hier schildern, nach Ihrem Eindruck schon bei der Öffentlichkeit in Deutschland angekommen? Mit anderen Worten: Sind vielleicht die Erwartungen, die man noch vor einem, anderthalb Jahren an Obama geknüpft hat, vielleicht auch hier schon wieder gesunken?
Hans-Ulrich Klose: Ich glaube schon, dass heute das Urteil vielfach realistischer ausfällt. Trotzdem ist Obama immer noch eine Art Lichtgestalt. Und man verfolgt vielfach mit einer gewissen Besorgnis, dass seine Zustimmungswerte in Amerika selber so weit nach unten gehen - und sie sind deutlich nach unten gegangen.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich den Gedanken gleich aufgreifen. Sie sagten es: Im eigenen Land erlebt Obama im Augenblick tatsächlich einen Einbruch. Seit 35 Jahren war die Zustimmung zur Politik des Präsidenten nach einem Amtsjahr nie geringer als heute. Erleben wir da eigentlich so etwas wie eine Spaltung der amerikanischen Gesellschaft?
Hans-Ulrich Klose: Eine gewisse Spaltung hat es in Amerika in der politischen Landschaft immer gegeben. Sie ist heute vielleicht stärker ausgeprägt als in früheren Zeiten, weil die Republikaner, das heißt, die Opposition, in starkem Maße nach rechts rückt oder gerückt wird durch die sogenannte Tea-Party-Bewegung. Und auch auf der demokratischen Seite gibt es gegen die sogenannten Zentristen Widerstand aus der linksliberalen Ecke, also bei denen, die ein bisschen enttäuscht sind über das erste Jahr der Obama-Regierung.
Ich weiß nicht, ob sich das im Laufe der Legislaturperiode mildern wird. Am Ende wird entscheidend bleiben, was Clinton mal formuliert hat: "Am Ende ist es die Wirtschaft."
Deutschlandradio Kultur: Diese Tea-Party-Bewegung, die Sie erwähnen, das ist ja eine sehr erfolgreiche Bewegung derzeit in den USA, eine Graswurzelorganisation, die gegen die Bundespolitik kämpft. Wie beurteilen Sie das?
Hans-Ulrich Klose: Ja, wenn man sich ansieht, was das für Leute sind - ganz überwiegend weiß, überwiegend männlich, Bildungsdurchschnitt und Einkommen leicht überdurchschnittlich, Leute, die gegen Big Gouvernement sind, also zu viel Macht in Washington, gegen zu viel Steuern, gegen zu viel Internationalität - da ist auch ein isolationistisches Moment drin -, die jedenfalls unzufrieden sind mit dem, was sie empfinden als Einschränkung amerikanischer Freiheiten. Unter diesem Gesichtspunkt ist ja auch immer die sogenannte Gesundheitsdebatte gelaufen, was hier in Europa vielfach nicht verstanden worden ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie beschreiben das sehr gelassen. Kann ich daraus schließen, Sie machen sich keinerlei Sorgen, dass aus der Tea-Party-Bewegung möglicherweise etwas erwächst, was sozusagen der Welt ein ganz neues Amerika bringen könnte oder zumindest ein punktuell anderes Amerika?
Hans-Ulrich Klose: Also, ich beobachte es, aber ich maße mir noch kein Urteil zu. Ich beobachte aber gleichzeitig, weil ich glaube, dass es da einen Zusammenhang gibt, die Entwicklung der Medienszene in Amerika und komme zu dem Ergebnis - überschlägig, weil ich es im Detail noch nicht untersucht habe: Die Medienlandschaft entwickelt sich sehr stark in Richtung Meinung und, um es drastisch zu sagen, Meinungsmache, und weg eher von klassischer Information. Das wird auf Dauer einen Einfluss haben auf die amerikanische Demokratie.
Andererseits: Wenn man die 324-jährige Geschichte der amerikanischen Republik sich ansieht, sie war immer auch erneuerungsfähig. Dies verbunden mit dem typischen amerikanischen Optimismus, der stärker ausgeprägt ist als bei den Europäern, kann auch am Ende zu anderen Ergebnissen führen. Man muss es also beobachten und darf es nicht dramatisieren.
Deutschlandradio Kultur: Nun läuft ja die NATO-Operation in Afghanistan, um es mal vorsichtig zu sagen, nicht optimal und das Ende ist offen. Wenn die NATO da herauskommt - und irgendwann wird sie herauskommen -, kann sich eigentlich das Bündnis noch ein solches Abenteuer irgendwann leisten?
Hans-Ulrich Klose: Ich glaube, das größte Sicherheitsproblem neben der Proliferation von Massenvernichtungswaffen ist die Zunahme von fragilen und scheiternden Staaten. Es gibt eine ganze Kette, wenn Sie so wollen, von den Philippinen runter bis Nigeria. Wo immer Sie fragile oder scheiternde Staaten haben, entsteht Gewalt, nisten sich organisierte Kriminalität oder Terroristen ein.
Ein funktionierender Staat kann die bekämpfen und kann damit zurechtkommen, aber wenn beides zusammenkommt, haben wir ein Problem. Und das Problem haben wir in Afghanistan. Das heißt, Führung, politische Führung erfordert bei einem solchen Problemkomplex, dass man den Menschen auch erklärt, es kann nicht schneller gehen. Und wenn wir zu schnell abrücken, hinterlassen wir ein größeres Sicherheitsrisiko, als wir übernommen haben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Klose, ist die Bundeswehr hinreichend, ausreichend ausgestattet für den Job am Hindukusch?
Hans-Ulrich Klose: Ich bin kein Wehr- und Verteidigungsexperte. Ich würde sagen, im Grundsatz ja - mit einer wichtigen Ausnahme. Wir haben zu wenig geeignetes Fluggerät. Das zeigt sich in Afghanistan. Ich weiß nicht, seit wie langer Zeit wir an einem eigenen Kampfhubschrauber arbeiten, dem berühmten "Tiger", der immer wieder genannt wird. Es sind bestimmt 20 Jahre, vielleicht auch noch länger. Und es funktioniert immer noch nicht wirklich. Das kann man, wenn man vor Ort ist, deutlich erkennen.
Insofern sind die Deutschen im Raum Kundus im Augenblick heilfroh, dass die Amerikaner gekommen sind. Die bringen nämlich etwas über 40 Hubschrauber mit, die wir nicht haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Sie sind kein Sicherheits- und Verteidigungsexperte. Haben Sie sich da gewundert, dass der Minister zu Guttenberg Sie in die Strukturkommission berufen hat, die die Bundeswehr reformieren soll?
Hans-Ulrich Klose: Er hat mich, glaube ich, nicht als Verteidigungsexperte geholt, sondern als Außenpolitiker, weil man ja bei einer Neuordnung der Führungsstruktur im Ministerium und auch bei der Bundeswehr die möglichen Herausforderungen und Bedrohungen analysieren muss. Was heißt eigentlich Einsätze? Sind das Einsätze wie in Zeiten des Kalten Krieges? Oder sind das Einsätze der Art, wie wir sie in Afghanistan oder anderswo nach dem Ende des Kalten Krieges durchgeführt haben? Darüber gehen die Meinungen der Experten ja auseinander. Gleichwohl muss man sich darauf einstellen. Das, denke ich, ist im Wesentlichen meine Funktion.
Deutschlandradio Kultur: Auch wenn Sie nicht der Militärexperte sind, wie Sie eben selbst gesagt haben, können Sie sicherlich uns folgendes beantworten: Haben Sie vielleicht Bauchweh, wenn Sie sehen, dass jetzt der Bundesfinanzminister sagt, es muss gespart werden, vor allen Dingen auch beim Etat des Verteidigungsministeriums.
In Rede stehen 600 Millionen jetzt, 1,3 Milliarden bis 2013 per anno. Wie kann man eigentlich das Problem leerer Haushaltskassen in Deckung bringen mit den wachsenden Anforderungen für die Bundeswehr?
Hans-Ulrich Klose: Als Grundsatz muss akzeptiert werden, das wird sicherlich auch der Finanzminister akzeptieren, dass eine Bundeswehr im Einsatz - und sie ist im Augenblick im Einsatz - die bestmögliche Ausrüstung braucht. Daran wird das Parlament auch nicht rütteln. Ob es im Einzelnen Rüstungsprojekte gibt, bei denen Überprüfungen möglich sind, das will ich nicht ausschließen. Es wird immer mal wieder diskutiert das Programm MEADS. Das kann ich Ihnen im Augenblick nicht beantworten.
Deutschlandradio Kultur: Das Raketenabwehrprogramm.
Hans-Ulrich Klose: Ja, Raketenabwehr. Da gibt es möglicherweise Alternativen. Vielleicht sind Ankäufe preiswerter und besser als die Entwicklung eines eigenen Projektes, das im Augenblick getragen wird, nämlich das, wenn ich das recht erinnere, von den USA, den Italiener und uns.
Wo im Übrigen gespart werden muss, das muss man lange diskutieren. Und das ist ja im Wesentlichen dann Aufgabe des Parlaments darüber zu entscheiden. Aber eine Grundsatzbemerkung würde ich bei dieser Frage doch noch gerne machen wollen: Die Schwierigkeiten, die wir im Augenblick in Europa diskutieren im Zusammenhang am Anfang mit Griechenland und jetzt mit Rettungsfonds, und da geht es ja um ganz viel Geld, die haben natürlich auch zu tun mit der Tatsache, dass es Spekulation und Zocker und das alles gibt.
Aber die Grundlage ist eine andere, dass die Politik - nicht die Bevölkerung - über Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt hat und Haushalte beschlossen hat, die mit Einnahmen nicht zu finanzieren waren, sondern kreditär finanziert wurden. Und je größer die Kredite wurden, umso mehr begab man sich auch in das Risiko, dass man auf den Märkten herausgefordert wird. Das ist die gegenwärtige Situation. Und deshalb ist im Grundsatz die Sparnotwendigkeit unbestritten.
Deutschlandradio Kultur: Wir kommen nachher auf das Thema Finanzen. Zunächst noch mal vielleicht zum Thema Raketen. Der Außenminister hat sich zum Ziel gesetzt, einen Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland zu erreichen. Da spielen aber weder die europäischen NATO-Partner noch die USA mit. Die einen wollen ein Gesamtkonzept für den Abzug der taktischen Nuklearwaffen aus Europa. Und die Amerikaner wollen nur mit sich reden lassen, wenn die Russen ebenfalls die Waffen abbauen. Kann dieser deutsche Abzugswunsch auf absehbare Zeit in Erfüllung gehen?
Hans-Ulrich Klose: Es wäre schön, weil taktische Nuklearwaffen - das klingt immer so klein, so ein bisschen wie nukleare Artillerie. Aber taktisch sind diese Nuklearwaffen nur, weil die Trägersysteme nur in ihren Ausdehnungen begrenzt sind. Die Sprengköpfe sind so groß wie bei strategischen Nuklearwaffen. Und ein taktischer Sprengkopf, ein Sprengkopf einer taktischen Nuklearwaffe hat eine stärkere Wirkung als die Hiroshimabombe. Das sollte man schon im Kopf behalten. Und deshalb wäre schön, man hätte weniger davon und am Ende gar keine mehr.
Trotzdem muss man dieses Problem im Rahmen des Bündnisses angehen. Das heißt, da müssen die verschiedenen Sicherheitserwägungen abgeglichen werden. Und zum Zweiten muss man in der Tat auch mit den Russen verhandeln. Denn deren Zahl an taktischen Nuklearwaffen ist ungefähr schätzungsweise zehnmal so hoch wie die der Amerikaner. Die Amerikaner haben in Europa insgesamt - ich weiß es nicht - etwa 200. In Russland dürften es über 2000 sein. Und das sind Waffen, die alle auf Europa zielen. Deshalb ist es richtig, dass ein Verhandlungsformat für diese Waffen gefunden werden muss.
Ich will noch einen zweiten Aspekt hinzufügen, der oft vergessen wird. Wenn alle taktischen Nuklearwaffen ohne Rücksicht auf die Sicherheitslage rundherum einfach abgezogen werden, das heißt, der amerikanische Nuklearschild nicht mehr vorhanden ist, werden möglicherweise einige Länder anfangen darüber nachzudenken, ob sie nicht eigene nukleare Möglichkeiten schaffen müssen, womit wir wieder bei dem Stichwort Mittlerer Osten sind und den Entwicklungen, die dort jedenfalls denkbar sind.
Deutschlandradio Kultur: Dann bleiben wir doch im Mittleren Osten. Die NATO setzt weiter auf Raketenabwehr, vor allem mit Blick auf den Iran. Einerseits sucht man Schutz, andererseits setzt man auf Gespräche mit Teheran. Haben wir nach Ihrem Eindruck da die richtige Mischung?
Hans-Ulrich Klose: Schwer zu beurteilen, aber ich denke schon, dass man versuchen muss, das iranische Problem, wenn es geht, durch Verhandlungen, das heißt, im Dialog, im politischen Dialog in den Griff zu bekommen, weil eine militärische Option zwar vorhanden sein mag, aber absolut unkalkulierbar ist. Ich würde dringend davon abraten. An eine Wirksamkeit von Sanktionen allein glaube ich nicht wirklich.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, man sollte die Sanktionen auch nicht verstärken?
Hans-Ulrich Klose: Nein, so würde ich es nicht ausdrücken wollen. Ich glaube, dass Sanktionen mehr oder weniger stark Teil eines Verhandlungskonzeptes sein können, um dem Verhandlungspartner deutlich zu machen, es ist ernst gemeint und wir sind auch bereit, etwas dafür in die Waagschale zu werden, und zwar nicht wir, der Westen allein, sondern - wenn es im UNO-Format geschieht - andere große Mächte auch. Das ist wichtig, um den psychologischen Verhandlungsprozess zu befördern.
Man muss allerdings wissen, dass ein so angelegter Verhandlungsmarathon genau das ist, was das Wort ausdrückt, nämlich etwas, was zeitlich lange dauern kann. Und ich fürchte, im Verhältnis zum Iran könnte es lange dauern.
Deutschlandradio Kultur: Herr Klose, wir müssen natürlich auch noch über das große Thema dieser Tage reden, nämlich die Rettungsschirme, die allüberall aufgespannt werden, erst die Bankenkrise mit einem gewaltigen Rettungspaket, dann die Griechenlandhilfe und in dieser Woche, gestern, dann der Euro-Rettungsschirm.
All das ist mit der Bereitstellung unvorstellbarer Summen verbunden - Gelder, die zwar nicht sofort fällig werden, aber die fällig werden könnten, zumindest teilweise. Über all das muss auch der Abgeordnete Klose abstimmen. Gestern waren Sie wieder gefordert. Bereiten Ihnen diese enormen Milliardenbeträge Unbehagen, vielleicht sogar schlaflose Nächte?
Hans-Ulrich Klose: Beides. Es ist sehr viel Geld, nur es gibt natürlich bei solchen Programmen und Krisen keine Gewissheit, wie es am Ende ausgehen wird. Es gibt allerdings eine Klarheit in den Zielvorstellungen. Und die Zielvorstellung ist, das europäische Projekt muss erhalten bleiben und muss weitergehen. Und weil das so ist, muss die Eurozone als, wenn man so will, Kern der Europäischen Union funktionsfähig erhalten bleiben.
Die Frage ist, wie man das am besten schafft. Und darüber wird im Augenblick geredet - wie ich finde, richtig in Richtung Neuordnung und, wenn Sie so wollen, Regulierung der Finanzmärkte. Es muss aber in gleicher Weise betont werden, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Union und insbesondere die der Eurozone ihre eigenen Finanzen in Ordnung bringen müssen. Und keiner hält sich heute mehr an die Maastricht-Kriterien, auch die Bundesrepublik Deutschland nicht - unter verschiedenen Regierungen. Das muss man ganz klar sagen. Und das muss sich ändern.
Deutschlandradio Kultur: Die andere Frage ist doch, Herr Klose, wie Sie diese Maßnahmen den Menschen in Ihrem Wahlkreis erklären. Da wird es ja möglicherweise nicht so differenziert gesehen, wie Sie das gerade formuliert haben.
Hans-Ulrich Klose: Das ist richtig, ich bin aber entschieden dafür, das den Wählern genauso zu sagen, wie es ist. Nach meiner Erfahrung nun über viele Jahre Politik kommt man damit eher zurecht, jedenfalls auf Dauer besser zurecht, als wenn man versucht, herumzutricksen. Und ich finde, es gibt eine Notwendigkeit, diesen Spruch, "wir haben über unsere Verhältnisse gelebt", aufzulösen und auf den wirklichen Kern zu reduzieren.
Es sind nicht die Leute. Und wenn es die Leute sind, wer denn? Ist es die Verkäuferin an der Kasse, die über ihre Verhältnisse lebt, oder der Busfahrer oder der Wachtmeister bei der Polizei, dann sind es vielleicht bestimmte Leute, aber in Wahrheit hat die Politik über ihre Verhältnisse gelebt, weil sie immer Programme formuliert hat und dann budgetmäßig umgesetzt hat, die durch Einnahmen nicht gedeckt waren. Und deshalb ist die Kreditsumme aller EU-Länder immer höher geworden. Und damit begibt man sich in die Abhängigkeit von Finanzmärkten. Und die nutzen das aus. Das ist dann das, was man Zockerei nennt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Klose, wir haben zu Anfang des Gesprächs erwähnt, dass Sie für die SPD im Deutschen Bundestag sitzen, dass Sie seit Jahrzehnten SPD-Politiker sind. Was macht man denn jetzt aus der Situation in Düsseldorf? Rot-Rot-Grün, das haben wir Donnerstag gelernt, wird nun definitiv nichts. Was soll Frau Kraft machen? Große Koalition unter Rüttgers oder es versuchen ohne Rüttgers, oder vielleicht dann doch Neuwahlen? Oder die Grünen und die FDP vielleicht doch noch irgendwie zusammenbringen?
Hans-Ulrich Klose: Ich hätte es für klug gehalten, auch aus der Sicht der FDP, wenn sie sich einer Zusammenarbeit mit SPD und Grünen geöffnet hätte. Auch die FDP braucht am Ende mehr Koalitionsmöglichkeiten als die eine mit der CDU. Und es wäre sinnvoll gewesen, es in einem so wichtigen Land wie Nordrhein-Westfalen auszuprobieren. Immerhin, es gab doch Zeiten, als Sozialdemokraten mit der FDP, der viel zitierten Karl-Hermann-Flach-FDP, sehr gut und sehr erfolgreich zusammenarbeiten konnten.
Vielleicht sollte die FDP wirklich daran denken, ihr Profil ein wenig auszuweiten und nicht zu stark auf ein bestimmtes Klientel zu konzentrieren. Das ist aber im Augenblick, scheint es, nicht möglich. Ob die Ablehnung eher von der Bundesebene kommt oder aus NRW, erschließt sich mir nicht völlig, weil ich nicht nah genug dran bin.
Ich glaube, dass die Entscheidung, die Gespräche mit der Linkspartei einzustellen, richtig ist, weil auch ich - jedenfalls, wenn es um Nordrhein-Westfalen geht - an der demokratischen Verlässlichkeit dieser Partei meine Zweifel habe. Ich würde meiner Partei in Nordrhein-Westfalen nicht raten, sich auf eine große Koalition einzulassen. Die ist zu groß. Und bisher sind große Koalitionen der SPD nicht bekommen. Am Ende wird es vielleicht auf Neuwahlen hinauslaufen.
Deutschlandradio Kultur: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Hans-Ulrich Klose: Ich bedanke mich meinerseits.
Hans-Ulrich Klose: Ich nehme an, dass ich gefragt worden bin, weil ich im Bundestag als "der Amerikaner" gelte. Ich leite seit vielen Jahren die Parlamentariergruppe USA und ich kenne mich auch einigermaßen gut aus, weil ich - angeregt durch mein Austauschjahr in Amerika, lange zurück 1954/55 - mich immer wieder mit Amerika beschäftigt habe.
Ich denke, dass die Bundesregierung, die mich ernannt hat, das berücksichtigt hat und die Tatsache, dass ich in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik als bipartisan angesehen werde, das heißt, als einer, der Außen- und Sicherheitspolitik nicht parteipolitisch definiert, sondern politisch.
Deutschlandradio Kultur: Ein Problem von Guido Westerwelle besteht darin, dass er oft seine Funktionen als Außenminister und als FDP-Vorsitzender vermengt. Ist das ein Problem für den Sozialdemokraten Klose, der - was wir jetzt mal unterstellen - oft nicht einverstanden sein kann, mit dem, was der Parteipolitiker Westerwelle da so von sich gibt?
Hans-Ulrich Klose: Das Letztere ist richtig. Ich mache aber einen Unterschied zwischen seiner Funktion als Außenminister und seinem Auftreten und Agieren dort und dem, was er als Parteivorsitzender macht.
Ich sage es noch mal: Ich gehöre zu denen, die glauben, dass man in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik möglichst nahe beieinanderbleiben soll, weil man diese Politik nicht nach jeder Bundestagswahl verändern kann. Da muss es Kontinuität geben. Von dort heraus fällt es mir auch mir auch nicht schwer, zu unterscheiden zwischen dem Außenminister Westerwelle und dem Parteivorsitzenden.
Deutschlandradio Kultur: Was sagt denn der Amerikaner im Bundestag, um Ihr Wort aufzugreifen? Wo hakt es in der transatlantischen Zusammenarbeit? Was ist verbesserungsbedürftig? Wo sehen Sie sich künftig besonders gefordert?
Hans-Ulrich Klose: Man muss, glaube ich, im Grundsatz feststellen, dass die europäisch- und deutsch-amerikanischen Beziehungen sich seit dem Ende des Kalten Krieges deutlich verändert haben. Das amerikanische strategische Interesse hat sich von Westeuropa in Richtung Osteuropa und darüber hinaus verlagert - in den Mittleren Osten, Zentralasien und in den Pazifik.
Europa ist aus der Sicht der heutigen Regierung nicht mehr ganz so wichtig, wie es früher war. Europa kann für sich selber sorgen und braucht den Hegemon nicht mehr. Und Deutschland - muss man leidenschaftslos feststellen - war wichtig und zentral als Konfliktland. Aber wir sind kein Konfliktland mehr - Gott sei Dank.
Deshalb sind wir aus amerikanischer Sicht auch nicht mehr ganz so relevant. Wir werden wahrgenommen als das bevölkerungsreichste Land innerhalb der Europäischen Union, das mit der stärksten Volkswirtschaft - aber das ist es dann auch.
Deutschlandradio Kultur: Seit Obama im Januar 2009 das Amt antrat, hat sich da in Ihrer Wahrnehmung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen etwas verändert? Unter George W. Bush gab es ja viele Spannungen, vielleicht eher so auf der Wahrnehmungsebene, aber die waren schon erheblich. Was ist neu jetzt unter der neuen Präsidentschaft?
Hans-Ulrich Klose: Vielleicht zweierlei: Zum einen, wir werden uns alle erinnern, Obama war ja auch in Europa und vor allen Dingen in Deutschland ja extrem populär am Anfang. Er wurde auch hier als - in Anführungszeichen - "Lichtgestalt" gesehen.
Ich war in dem Punkt immer ein Obama-Anhänger, aber zurückhaltender, weil ich weiß, jeder amerikanische Präsident ist amerikanischer Präsident und nicht Präsident Europas und nicht Präsident der Deutschen. Er wird immer zuerst amerikanische Interessen wahrnehmen. Dazu kommt, dass Obama, wenn ich das etwas pauschal sagen darf, kein atlantisch geprägter Präsident ist, sondern eher ein pazifisch geprägter Präsident.
Deutschlandradio Kultur: Sozialisiert auf Hawaii.
Hans-Ulrich Klose: Nicht nur Hawaii, sondern er hat ja auch eine Zeit lang gelebt mit seiner Mutter in Indonesien. Und er weiß im Übrigen, dass im Augenblick in der Welt eine Neuverteilung von Macht und Wohlstand stattfindet. Und das geht eher in Richtung Pazifik. Und daraus zieht er Konsequenzen. Das macht insgesamt die Sache für Europa schwieriger, vor allen Dingen, wenn wir nicht lernen, mit einer Stimme zu sprechen.
Deutschlandradio Kultur: Sind die Eindrücke des Fachmanns Klose, die Sie uns hier schildern, nach Ihrem Eindruck schon bei der Öffentlichkeit in Deutschland angekommen? Mit anderen Worten: Sind vielleicht die Erwartungen, die man noch vor einem, anderthalb Jahren an Obama geknüpft hat, vielleicht auch hier schon wieder gesunken?
Hans-Ulrich Klose: Ich glaube schon, dass heute das Urteil vielfach realistischer ausfällt. Trotzdem ist Obama immer noch eine Art Lichtgestalt. Und man verfolgt vielfach mit einer gewissen Besorgnis, dass seine Zustimmungswerte in Amerika selber so weit nach unten gehen - und sie sind deutlich nach unten gegangen.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich den Gedanken gleich aufgreifen. Sie sagten es: Im eigenen Land erlebt Obama im Augenblick tatsächlich einen Einbruch. Seit 35 Jahren war die Zustimmung zur Politik des Präsidenten nach einem Amtsjahr nie geringer als heute. Erleben wir da eigentlich so etwas wie eine Spaltung der amerikanischen Gesellschaft?
Hans-Ulrich Klose: Eine gewisse Spaltung hat es in Amerika in der politischen Landschaft immer gegeben. Sie ist heute vielleicht stärker ausgeprägt als in früheren Zeiten, weil die Republikaner, das heißt, die Opposition, in starkem Maße nach rechts rückt oder gerückt wird durch die sogenannte Tea-Party-Bewegung. Und auch auf der demokratischen Seite gibt es gegen die sogenannten Zentristen Widerstand aus der linksliberalen Ecke, also bei denen, die ein bisschen enttäuscht sind über das erste Jahr der Obama-Regierung.
Ich weiß nicht, ob sich das im Laufe der Legislaturperiode mildern wird. Am Ende wird entscheidend bleiben, was Clinton mal formuliert hat: "Am Ende ist es die Wirtschaft."
Deutschlandradio Kultur: Diese Tea-Party-Bewegung, die Sie erwähnen, das ist ja eine sehr erfolgreiche Bewegung derzeit in den USA, eine Graswurzelorganisation, die gegen die Bundespolitik kämpft. Wie beurteilen Sie das?
Hans-Ulrich Klose: Ja, wenn man sich ansieht, was das für Leute sind - ganz überwiegend weiß, überwiegend männlich, Bildungsdurchschnitt und Einkommen leicht überdurchschnittlich, Leute, die gegen Big Gouvernement sind, also zu viel Macht in Washington, gegen zu viel Steuern, gegen zu viel Internationalität - da ist auch ein isolationistisches Moment drin -, die jedenfalls unzufrieden sind mit dem, was sie empfinden als Einschränkung amerikanischer Freiheiten. Unter diesem Gesichtspunkt ist ja auch immer die sogenannte Gesundheitsdebatte gelaufen, was hier in Europa vielfach nicht verstanden worden ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie beschreiben das sehr gelassen. Kann ich daraus schließen, Sie machen sich keinerlei Sorgen, dass aus der Tea-Party-Bewegung möglicherweise etwas erwächst, was sozusagen der Welt ein ganz neues Amerika bringen könnte oder zumindest ein punktuell anderes Amerika?
Hans-Ulrich Klose: Also, ich beobachte es, aber ich maße mir noch kein Urteil zu. Ich beobachte aber gleichzeitig, weil ich glaube, dass es da einen Zusammenhang gibt, die Entwicklung der Medienszene in Amerika und komme zu dem Ergebnis - überschlägig, weil ich es im Detail noch nicht untersucht habe: Die Medienlandschaft entwickelt sich sehr stark in Richtung Meinung und, um es drastisch zu sagen, Meinungsmache, und weg eher von klassischer Information. Das wird auf Dauer einen Einfluss haben auf die amerikanische Demokratie.
Andererseits: Wenn man die 324-jährige Geschichte der amerikanischen Republik sich ansieht, sie war immer auch erneuerungsfähig. Dies verbunden mit dem typischen amerikanischen Optimismus, der stärker ausgeprägt ist als bei den Europäern, kann auch am Ende zu anderen Ergebnissen führen. Man muss es also beobachten und darf es nicht dramatisieren.
Deutschlandradio Kultur: Nun läuft ja die NATO-Operation in Afghanistan, um es mal vorsichtig zu sagen, nicht optimal und das Ende ist offen. Wenn die NATO da herauskommt - und irgendwann wird sie herauskommen -, kann sich eigentlich das Bündnis noch ein solches Abenteuer irgendwann leisten?
Hans-Ulrich Klose: Ich glaube, das größte Sicherheitsproblem neben der Proliferation von Massenvernichtungswaffen ist die Zunahme von fragilen und scheiternden Staaten. Es gibt eine ganze Kette, wenn Sie so wollen, von den Philippinen runter bis Nigeria. Wo immer Sie fragile oder scheiternde Staaten haben, entsteht Gewalt, nisten sich organisierte Kriminalität oder Terroristen ein.
Ein funktionierender Staat kann die bekämpfen und kann damit zurechtkommen, aber wenn beides zusammenkommt, haben wir ein Problem. Und das Problem haben wir in Afghanistan. Das heißt, Führung, politische Führung erfordert bei einem solchen Problemkomplex, dass man den Menschen auch erklärt, es kann nicht schneller gehen. Und wenn wir zu schnell abrücken, hinterlassen wir ein größeres Sicherheitsrisiko, als wir übernommen haben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Klose, ist die Bundeswehr hinreichend, ausreichend ausgestattet für den Job am Hindukusch?
Hans-Ulrich Klose: Ich bin kein Wehr- und Verteidigungsexperte. Ich würde sagen, im Grundsatz ja - mit einer wichtigen Ausnahme. Wir haben zu wenig geeignetes Fluggerät. Das zeigt sich in Afghanistan. Ich weiß nicht, seit wie langer Zeit wir an einem eigenen Kampfhubschrauber arbeiten, dem berühmten "Tiger", der immer wieder genannt wird. Es sind bestimmt 20 Jahre, vielleicht auch noch länger. Und es funktioniert immer noch nicht wirklich. Das kann man, wenn man vor Ort ist, deutlich erkennen.
Insofern sind die Deutschen im Raum Kundus im Augenblick heilfroh, dass die Amerikaner gekommen sind. Die bringen nämlich etwas über 40 Hubschrauber mit, die wir nicht haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Sie sind kein Sicherheits- und Verteidigungsexperte. Haben Sie sich da gewundert, dass der Minister zu Guttenberg Sie in die Strukturkommission berufen hat, die die Bundeswehr reformieren soll?
Hans-Ulrich Klose: Er hat mich, glaube ich, nicht als Verteidigungsexperte geholt, sondern als Außenpolitiker, weil man ja bei einer Neuordnung der Führungsstruktur im Ministerium und auch bei der Bundeswehr die möglichen Herausforderungen und Bedrohungen analysieren muss. Was heißt eigentlich Einsätze? Sind das Einsätze wie in Zeiten des Kalten Krieges? Oder sind das Einsätze der Art, wie wir sie in Afghanistan oder anderswo nach dem Ende des Kalten Krieges durchgeführt haben? Darüber gehen die Meinungen der Experten ja auseinander. Gleichwohl muss man sich darauf einstellen. Das, denke ich, ist im Wesentlichen meine Funktion.
Deutschlandradio Kultur: Auch wenn Sie nicht der Militärexperte sind, wie Sie eben selbst gesagt haben, können Sie sicherlich uns folgendes beantworten: Haben Sie vielleicht Bauchweh, wenn Sie sehen, dass jetzt der Bundesfinanzminister sagt, es muss gespart werden, vor allen Dingen auch beim Etat des Verteidigungsministeriums.
In Rede stehen 600 Millionen jetzt, 1,3 Milliarden bis 2013 per anno. Wie kann man eigentlich das Problem leerer Haushaltskassen in Deckung bringen mit den wachsenden Anforderungen für die Bundeswehr?
Hans-Ulrich Klose: Als Grundsatz muss akzeptiert werden, das wird sicherlich auch der Finanzminister akzeptieren, dass eine Bundeswehr im Einsatz - und sie ist im Augenblick im Einsatz - die bestmögliche Ausrüstung braucht. Daran wird das Parlament auch nicht rütteln. Ob es im Einzelnen Rüstungsprojekte gibt, bei denen Überprüfungen möglich sind, das will ich nicht ausschließen. Es wird immer mal wieder diskutiert das Programm MEADS. Das kann ich Ihnen im Augenblick nicht beantworten.
Deutschlandradio Kultur: Das Raketenabwehrprogramm.
Hans-Ulrich Klose: Ja, Raketenabwehr. Da gibt es möglicherweise Alternativen. Vielleicht sind Ankäufe preiswerter und besser als die Entwicklung eines eigenen Projektes, das im Augenblick getragen wird, nämlich das, wenn ich das recht erinnere, von den USA, den Italiener und uns.
Wo im Übrigen gespart werden muss, das muss man lange diskutieren. Und das ist ja im Wesentlichen dann Aufgabe des Parlaments darüber zu entscheiden. Aber eine Grundsatzbemerkung würde ich bei dieser Frage doch noch gerne machen wollen: Die Schwierigkeiten, die wir im Augenblick in Europa diskutieren im Zusammenhang am Anfang mit Griechenland und jetzt mit Rettungsfonds, und da geht es ja um ganz viel Geld, die haben natürlich auch zu tun mit der Tatsache, dass es Spekulation und Zocker und das alles gibt.
Aber die Grundlage ist eine andere, dass die Politik - nicht die Bevölkerung - über Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt hat und Haushalte beschlossen hat, die mit Einnahmen nicht zu finanzieren waren, sondern kreditär finanziert wurden. Und je größer die Kredite wurden, umso mehr begab man sich auch in das Risiko, dass man auf den Märkten herausgefordert wird. Das ist die gegenwärtige Situation. Und deshalb ist im Grundsatz die Sparnotwendigkeit unbestritten.
Deutschlandradio Kultur: Wir kommen nachher auf das Thema Finanzen. Zunächst noch mal vielleicht zum Thema Raketen. Der Außenminister hat sich zum Ziel gesetzt, einen Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland zu erreichen. Da spielen aber weder die europäischen NATO-Partner noch die USA mit. Die einen wollen ein Gesamtkonzept für den Abzug der taktischen Nuklearwaffen aus Europa. Und die Amerikaner wollen nur mit sich reden lassen, wenn die Russen ebenfalls die Waffen abbauen. Kann dieser deutsche Abzugswunsch auf absehbare Zeit in Erfüllung gehen?
Hans-Ulrich Klose: Es wäre schön, weil taktische Nuklearwaffen - das klingt immer so klein, so ein bisschen wie nukleare Artillerie. Aber taktisch sind diese Nuklearwaffen nur, weil die Trägersysteme nur in ihren Ausdehnungen begrenzt sind. Die Sprengköpfe sind so groß wie bei strategischen Nuklearwaffen. Und ein taktischer Sprengkopf, ein Sprengkopf einer taktischen Nuklearwaffe hat eine stärkere Wirkung als die Hiroshimabombe. Das sollte man schon im Kopf behalten. Und deshalb wäre schön, man hätte weniger davon und am Ende gar keine mehr.
Trotzdem muss man dieses Problem im Rahmen des Bündnisses angehen. Das heißt, da müssen die verschiedenen Sicherheitserwägungen abgeglichen werden. Und zum Zweiten muss man in der Tat auch mit den Russen verhandeln. Denn deren Zahl an taktischen Nuklearwaffen ist ungefähr schätzungsweise zehnmal so hoch wie die der Amerikaner. Die Amerikaner haben in Europa insgesamt - ich weiß es nicht - etwa 200. In Russland dürften es über 2000 sein. Und das sind Waffen, die alle auf Europa zielen. Deshalb ist es richtig, dass ein Verhandlungsformat für diese Waffen gefunden werden muss.
Ich will noch einen zweiten Aspekt hinzufügen, der oft vergessen wird. Wenn alle taktischen Nuklearwaffen ohne Rücksicht auf die Sicherheitslage rundherum einfach abgezogen werden, das heißt, der amerikanische Nuklearschild nicht mehr vorhanden ist, werden möglicherweise einige Länder anfangen darüber nachzudenken, ob sie nicht eigene nukleare Möglichkeiten schaffen müssen, womit wir wieder bei dem Stichwort Mittlerer Osten sind und den Entwicklungen, die dort jedenfalls denkbar sind.
Deutschlandradio Kultur: Dann bleiben wir doch im Mittleren Osten. Die NATO setzt weiter auf Raketenabwehr, vor allem mit Blick auf den Iran. Einerseits sucht man Schutz, andererseits setzt man auf Gespräche mit Teheran. Haben wir nach Ihrem Eindruck da die richtige Mischung?
Hans-Ulrich Klose: Schwer zu beurteilen, aber ich denke schon, dass man versuchen muss, das iranische Problem, wenn es geht, durch Verhandlungen, das heißt, im Dialog, im politischen Dialog in den Griff zu bekommen, weil eine militärische Option zwar vorhanden sein mag, aber absolut unkalkulierbar ist. Ich würde dringend davon abraten. An eine Wirksamkeit von Sanktionen allein glaube ich nicht wirklich.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, man sollte die Sanktionen auch nicht verstärken?
Hans-Ulrich Klose: Nein, so würde ich es nicht ausdrücken wollen. Ich glaube, dass Sanktionen mehr oder weniger stark Teil eines Verhandlungskonzeptes sein können, um dem Verhandlungspartner deutlich zu machen, es ist ernst gemeint und wir sind auch bereit, etwas dafür in die Waagschale zu werden, und zwar nicht wir, der Westen allein, sondern - wenn es im UNO-Format geschieht - andere große Mächte auch. Das ist wichtig, um den psychologischen Verhandlungsprozess zu befördern.
Man muss allerdings wissen, dass ein so angelegter Verhandlungsmarathon genau das ist, was das Wort ausdrückt, nämlich etwas, was zeitlich lange dauern kann. Und ich fürchte, im Verhältnis zum Iran könnte es lange dauern.
Deutschlandradio Kultur: Herr Klose, wir müssen natürlich auch noch über das große Thema dieser Tage reden, nämlich die Rettungsschirme, die allüberall aufgespannt werden, erst die Bankenkrise mit einem gewaltigen Rettungspaket, dann die Griechenlandhilfe und in dieser Woche, gestern, dann der Euro-Rettungsschirm.
All das ist mit der Bereitstellung unvorstellbarer Summen verbunden - Gelder, die zwar nicht sofort fällig werden, aber die fällig werden könnten, zumindest teilweise. Über all das muss auch der Abgeordnete Klose abstimmen. Gestern waren Sie wieder gefordert. Bereiten Ihnen diese enormen Milliardenbeträge Unbehagen, vielleicht sogar schlaflose Nächte?
Hans-Ulrich Klose: Beides. Es ist sehr viel Geld, nur es gibt natürlich bei solchen Programmen und Krisen keine Gewissheit, wie es am Ende ausgehen wird. Es gibt allerdings eine Klarheit in den Zielvorstellungen. Und die Zielvorstellung ist, das europäische Projekt muss erhalten bleiben und muss weitergehen. Und weil das so ist, muss die Eurozone als, wenn man so will, Kern der Europäischen Union funktionsfähig erhalten bleiben.
Die Frage ist, wie man das am besten schafft. Und darüber wird im Augenblick geredet - wie ich finde, richtig in Richtung Neuordnung und, wenn Sie so wollen, Regulierung der Finanzmärkte. Es muss aber in gleicher Weise betont werden, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Union und insbesondere die der Eurozone ihre eigenen Finanzen in Ordnung bringen müssen. Und keiner hält sich heute mehr an die Maastricht-Kriterien, auch die Bundesrepublik Deutschland nicht - unter verschiedenen Regierungen. Das muss man ganz klar sagen. Und das muss sich ändern.
Deutschlandradio Kultur: Die andere Frage ist doch, Herr Klose, wie Sie diese Maßnahmen den Menschen in Ihrem Wahlkreis erklären. Da wird es ja möglicherweise nicht so differenziert gesehen, wie Sie das gerade formuliert haben.
Hans-Ulrich Klose: Das ist richtig, ich bin aber entschieden dafür, das den Wählern genauso zu sagen, wie es ist. Nach meiner Erfahrung nun über viele Jahre Politik kommt man damit eher zurecht, jedenfalls auf Dauer besser zurecht, als wenn man versucht, herumzutricksen. Und ich finde, es gibt eine Notwendigkeit, diesen Spruch, "wir haben über unsere Verhältnisse gelebt", aufzulösen und auf den wirklichen Kern zu reduzieren.
Es sind nicht die Leute. Und wenn es die Leute sind, wer denn? Ist es die Verkäuferin an der Kasse, die über ihre Verhältnisse lebt, oder der Busfahrer oder der Wachtmeister bei der Polizei, dann sind es vielleicht bestimmte Leute, aber in Wahrheit hat die Politik über ihre Verhältnisse gelebt, weil sie immer Programme formuliert hat und dann budgetmäßig umgesetzt hat, die durch Einnahmen nicht gedeckt waren. Und deshalb ist die Kreditsumme aller EU-Länder immer höher geworden. Und damit begibt man sich in die Abhängigkeit von Finanzmärkten. Und die nutzen das aus. Das ist dann das, was man Zockerei nennt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Klose, wir haben zu Anfang des Gesprächs erwähnt, dass Sie für die SPD im Deutschen Bundestag sitzen, dass Sie seit Jahrzehnten SPD-Politiker sind. Was macht man denn jetzt aus der Situation in Düsseldorf? Rot-Rot-Grün, das haben wir Donnerstag gelernt, wird nun definitiv nichts. Was soll Frau Kraft machen? Große Koalition unter Rüttgers oder es versuchen ohne Rüttgers, oder vielleicht dann doch Neuwahlen? Oder die Grünen und die FDP vielleicht doch noch irgendwie zusammenbringen?
Hans-Ulrich Klose: Ich hätte es für klug gehalten, auch aus der Sicht der FDP, wenn sie sich einer Zusammenarbeit mit SPD und Grünen geöffnet hätte. Auch die FDP braucht am Ende mehr Koalitionsmöglichkeiten als die eine mit der CDU. Und es wäre sinnvoll gewesen, es in einem so wichtigen Land wie Nordrhein-Westfalen auszuprobieren. Immerhin, es gab doch Zeiten, als Sozialdemokraten mit der FDP, der viel zitierten Karl-Hermann-Flach-FDP, sehr gut und sehr erfolgreich zusammenarbeiten konnten.
Vielleicht sollte die FDP wirklich daran denken, ihr Profil ein wenig auszuweiten und nicht zu stark auf ein bestimmtes Klientel zu konzentrieren. Das ist aber im Augenblick, scheint es, nicht möglich. Ob die Ablehnung eher von der Bundesebene kommt oder aus NRW, erschließt sich mir nicht völlig, weil ich nicht nah genug dran bin.
Ich glaube, dass die Entscheidung, die Gespräche mit der Linkspartei einzustellen, richtig ist, weil auch ich - jedenfalls, wenn es um Nordrhein-Westfalen geht - an der demokratischen Verlässlichkeit dieser Partei meine Zweifel habe. Ich würde meiner Partei in Nordrhein-Westfalen nicht raten, sich auf eine große Koalition einzulassen. Die ist zu groß. Und bisher sind große Koalitionen der SPD nicht bekommen. Am Ende wird es vielleicht auf Neuwahlen hinauslaufen.
Deutschlandradio Kultur: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Hans-Ulrich Klose: Ich bedanke mich meinerseits.