"Eine militärische Intervention wird niemandem helfen"

Aktam Abazid im Gespräch mit Marietta Schwarz · 29.10.2012
Große Teile der Opposition in Syrien hätten noch nie zur Waffe gegriffen und würden es auch in Zukunft nicht tun, sagt der Exil-Syrer Aktham Abazid. Am vergangenen Freitag habe es 381 Demonstrationen gegen das Regime gegeben, das seien über hundert mehr als in der Woche davor.
Marietta Schwarz: Vier Tage sollte die Waffenruhe in Syrien halten, der Versuch ist mal wieder gescheitert. Hunderte Menschen starben an diesem Wochenende während des Opferfestes. Die Armee setzte ihre Luftschläge fort. Eineinhalb Jahre nach Beginn des Konflikts scheint dessen Ende weiter entfernt denn je. Welche Lösungsansätze gibt es? Darüber denkt auch der Auslandssyrer Aktam Abazid immer wieder nach, einer der Betreiber der Internetplattform "Adopt a revolution". Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Abazid!

Aktam Abazid: Guten Morgen!

Schwarz: Fangen wir mal so an, Herr Abazid: Ich selbst weiß in solchen Interviews, wie wir sie jetzt führen, kaum noch, was ich fragen soll. Alles scheint tausendfach diskutiert und analysiert. Wie geht es Ihnen denn mit diesem Krieg und dieser politischen Diskussion darum?

Abazid: Ja, ehrlich gesagt, was ich … – mir persönlich geht es jetzt gut hier in Deutschland, aber meine Gedanken sind vor allem mit den Kindern Syriens, mit den Menschen, die dort leiden seit eineinhalb Jahren. Wir hatten ja ein Fest – für die Kinder sollten es eigentlich Tage der Freude sein, aber es waren leider Tage der Angst und Terror. Und es gab viele Tote.

Schwarz: Viele Verwandte von Ihnen leben noch in Syrien, in Daraa – wie geht es denen?

Abazid: Ich konnte einige von ihnen erreichen. Ja, ich sage nur einfach: Ja, wir leben noch. Einigen von ihnen, ja gehen … einfach ist es so für alle eigentlich, sie gehen nie aus, sie müssen einfach mal durch, bald, hoffentlich bald, ist ein gutes Ende dann in Sicht.

Schwarz: Stellen Sie so bei sich auch so etwas wie Abstumpfung fest oder auch Abstumpfung unter den Leuten, mit denen Sie in Syrien Kontakt haben?

Abazid: Ja, mittlerweile schon, denn anfangs war es ja sehr schrecklich, aber mittlerweile haben sich ja einige schon daran gewöhnt. Es ist fast Alltag geworden. Trotzdem bleibt es ja schmerzhaft, und es ist gar nicht schön, es ist unmenschlich mittlerweile.

Schwarz: Nun ist auch die jüngste Waffenruhe gescheitert. Eine Niederlage für den UN-Sondergesandten Brahimi. Nicht unbedingt überraschend, denn es gab schon vorher, vor Beginn viele Skeptiker. Gehören Sie dazu?

Abazid: Ja, eigentlich schon. Denn es ist halt so, dass es keine verbindlichen Maßnahmen vorgeschlagen wurden. Das Regime hat sich nie an solche Abkommen oder so gehalten. Auch einige Gruppen der Opposition, der bewaffneten Opposition, halten sich auch nicht dran. Darum war es ja auch von Anfang an oft also vorhersehbar, dass es nicht klappen würde.

Immerhin, an diesem Wochenende haben wir mehr als 350 Leute, also Opfer, Todesopfer. Trotzdem haben wir im Vergleich zum vorletzten Freitag mehr als hundert Demonstrationen mehr, also am vorletzten Freitag waren 270, an diesem Freitag waren 381 Demos in mehr als 23 Orten, das heißt, auch solche Aktionen und Maßnahmen bringen etwas, dass der friedliche Widerstand, die friedliche Protestbewegung auch ein bisschen an Kraft gewinnt.

Schwarz: Bleiben wir einen Moment noch bei Brahimi, dem Sondergesandten der Vereinten Nationen. Er spricht heute mit dem russischen Außenminister Lawrow über die Lage in Syrien. Glauben Sie, die Vereinten Nationen könnten unter Umständen mit Russland und China im Boot Assad zum Rückzug zwingen?

Abazid: Eigentlich, wenn die internationale Gemeinschaft etwas unternehmen will, möchte, also dass das realisierbar wird, müssen Russland, China und auch Iran mit an den Tisch. Die sind auch Akteure in diesem Konflikt, der ist schon lange internationalisiert. Und ja, man muss mit ihm verhandeln, auf jeden Fall.

Schwarz: Bleibt am Ende möglicherweise dann aber doch nur die Militärintervention?

Abazid: Nein. Nein, militärische Intervention ist nicht – auch aus unserer Sicht nicht die Lösung. Politische Lösung vorhanden war, darum, es geht ja darum, die zu erreichen. Militärische Intervention wird keinem helfen, eigentlich. Also, auf jeden Fall nicht der syrischen Bevölkerung, nicht den Menschen, die eigentlich diesen Aufstand oder diese Protestbewegung angefangen haben.

Schwarz: Und Sie glauben auch daran? Sie haben ja gerade hervorgehoben, der gewaltfreie Widerstand scheint größer zu werden in Syrien.

Abazid: Natürlich, ja, das haben wir – das ist feststellbar, das ist die Realität. Wir wünschen, dass diese Menschen wieder die Gelegenheit bekommen, dass sie demonstrieren in Freiheit, ohne verhaftet zu werden oder getötet zu werden. Alleine, ohne Gewalt natürlich, das ist unsere Forderung, dass die Gewalt endet, stoppt, das Morden. Menschenrechte sollten respektiert werden, die es garantieren, dass der friedliche Widerstand wieder eigentlich die Oberhand gewinnt.

Schwarz: Unter den Oppositionellen ist es ja aber so, dass die Gewalt in den letzten Monaten zugenommen hat. Das ist doch auch ein großes Problem?

Abazid: Ja, das stimmt, aber für die Reaktion gibt es auch eine Gegenreaktion. Die Gewalt, die vom Regime kommt, wird ja natürlich irgendwann dann auch mit Gegengewalt konfrontiert. Darum – es ist wichtig, dass die Gewalt von allen Seiten aufhört. Das ist wichtig. Und übrigens, nicht von allen Oppositionellen. Wir haben immer noch große Teile der Opposition, vor allem in Syrien, die nie zur Waffe gegriffen haben und werden es auch nie tun. Und diese sollten auch ihre Chance bekommen. Darum, wenn man eigentlich keine Gewalt, keine militärischen Aktionen möchte, sollte man dann andere Alternativen unterstützen beziehungsweise auch ins Leben rufen.

Schwarz: Zum Beispiel "Adopt a revolution". Aktam Abazid, Exil-Syrer und Internetaktivist. Er betreibt die Plattform, die ich gerade genannt habe. Herr Abazid, alles Gute Ihnen und herzlichen Dank für das Gespräch!

Abazid: Danke schön!

Schwarz: Und wir entschuldigen uns für die etwas schlechte Qualität dieser Telefonverbindung.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.