"Eine maßlose Technik"

Hans-Hermann Böhm im Gespräch mit Anne Françoise Weber |
Die Kirchen in Württemberg sind Vorreiter bei der Nutzung alternativer Energien. 70 Prozent der Gemeinden nutzen atomkraftfreien Strom. Die Atomkraft dagegen sei eine maßlose Technologie, sagt Hans-Hermann-Böhm.
Anne Françoise Weber: Die Stellung der Parteien zur Atomenergie dürfte – so viel ist abzusehen – keine unerhebliche Rolle für die Entscheidung der Wähler bei den morgigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz spielen, zumal in Baden-Württemberg, wo gleich zwei der umstrittensten Meiler stehen. Ich habe vor der Sendung mit Hans-Hermann Böhm gesprochen. Der promovierte Biologe ist seit rund 20 Jahren Umweltbeauftragter der evangelischen Landeskirche in Württemberg. Zunächst habe ich ihn gefragt, wie die Position seiner Landeskirche zur Atomenergie lautet.

Hans-Hermann Böhm: Landesbischof Frank Otfried July hat nach dieser Katastrophe gesagt, die Atomenergie sei eine maßlose Technik, und er hat dann konsequenterweise ein Ende der Atomenergie gefordert und umgekehrt - oder im Gegenzug dazu - den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien und den bewussteren Umgang mit Energien angesprochen. Und das meint er auch im Blick auf einen Lebensstil, den wir in unseren Gesellschaften ändern müssen.

Weber: Nun haben Sie aber bei sich in der Landeskirche schon mal das Atomkraftwerk Neckarwestheim stehen, da arbeiten auch viele Kirchenmitglieder – können Sie denn abschätzen, wie deren Haltung zur Atomkraft ist?

Böhm: Es gibt ausgesprochene Gegner, die auch in der Umgebung von Neckarwestheim für einen Ausstieg plädieren, und andere wiederum, die dann sagen, das ist der Arbeitgeber, oder aber, die sich auch mit dem Atomkraftwerk in ihrer Umgebung arrangiert haben. Es gibt Menschen, die früher sozusagen überzeugt waren von der Kernenergie, die auch in der Nähe wohnen, die aber einen Bewusstseinswandel durchgemacht haben, die dann gesagt haben, das kann nicht sein, also auch Ingenieure, die früher überzeugt waren, eine Technik, die handhabbar ist, die unendlich viel Energie uns produziert, die dann ihre Meinung geändert haben. Und es gibt natürlich auch Pfarrer in der Gegend, zum Beispiel einmal in Heilbronn, der eine Internetaktion, Unterschriftenaktion gestartet hat: Ausstieg aus der Kernenergie. Wenn ich direkt so die Situation vor Ort anschauen würde, würde ich sagen halbe-halbe.

Weber: Und versuchen Sie, die eine Hälfte von der Position des Landesbischofs zu überzeugen?
Böhm: Wir sind seit Langem dran als Landeskirche, mit unseren Leitlinien ökologisch handelnde oder nachhaltig handelnde Kirche, ein Bewusstsein für einen anderen Umgang mit Energie insgesamt zu fördern. Es ist dann auch nicht damit getan, dass wir jetzt sagen abschalten, abschalten, sondern es ist ja eine Frage an die ganze Gesellschaft. Wenn ich jetzt dran denke, wie viel Energie, Stromenergie in dem Fall, unnütz verbraten wird, also an diese ganzen Stand-by-Schaltungen gedacht, wenn wir die alle sozusagen abschalten würde, hätte man ein ganzes Atomkraftwerk weniger notwendig. Das heißt, es ist eine Frage an uns in der Gesellschaft, wie gehen wir mit Energie um, und der Umgang ist bisher sehr nachlässig oder – ums deutlicher zu sagen – verschwenderisch. Es ist nicht damit getan, jetzt auf erneuerbare Energien umzusteigen und viel zu produzieren, denn da gibt es ja auch Nebenwirkungen, die man in den Blick nehmen muss.

Weber: Also die Ideallösung gibt es einfach noch nicht für Energie …

Böhm: So ist es, ja.

Weber: … und man ist auf der Suche. Sie unterstützen die Kirchengemeinden ja auch dabei, weniger Energie zu verbrauchen, Sie haben so ein Umweltlabel, der "Grüne Gockel". Wie ist da das Echo, und merken Sie schon, dass jetzt nach der Japan-Katastrophe da vielleicht noch mal die Nachfrage größer sein wird?

Böhm: Wir haben das System "Grüner Gockel" vor über zehn Jahren schon angefangen, wohl wissend, dass wir systematisch und langfristig denken müssen, auch vor allem, um Energie konsequenter, effizienter zu nutzen und auch am Lebensstil zu arbeiten, in der Kirchengemeinde und ausgehend von der Kirchengemeinde mit den Kirchenmitgliedern und der Kommune. Im Augenblick habe ich nicht gemerkt, dass jetzt ganz viele nachfragen. Es war eine ganze große Betroffenheit bei vielen Kirchenmitgliedern im Blick auf die Situation – zunächst mal das Erdbeben, wenn man sieht, wie da Menschen durch die Trümmer irrend suchen nach ihren Angehörigen. Also erst mal das große Mitgefühl und sozusagen der Versuch, was man von hier aus unterstützen kann, war das Allerallererste, und jetzt so nach und nach kommt die Frage: Welche Konsequenzen hat das für unsere Energieversorgung? Wir haben ja schon vor vielen Jahren auch sozusagen den Kirchengemeinden nahegelegt, atomkraftfreien Strom zu nutzen, und seit Anfang diesen Jahres haben die Kirchengemeinden – übrigens alle Kirchengemeinden in Baden-Württemberg, das ist eine ökumenische Aktion – die Möglichkeit, den Strom von der, KSE heißt diese Gesellschaft, Gesellschaft zur Energieversorgung von kirchlichen Einrichtungen, zu beziehen. Das ist ein atomkraftfreier Strom, und das haben im Schnitt bei uns in der württembergischen Kirche 70 Prozent der Gemeinden genutzt.

Weber: Das Wort der Kirchen und auch die Praxis der Kirchen scheint ja auch der Bundeskanzlerin wichtig zu sein in diesem Thema. Sie hat ja eine neue Ethikkommission für sichere Energieversorgung berufen, und da sind immerhin zwei Bischöfe und der Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken darin – also es ist ein Bischof und ein Kardinal, muss man genauer sagen. Was versprechen Sie sich denn von dieser kirchlichen Beteiligung?

Böhm: Also Kirchen sind zunächst mal frei, als sozusagen Lobbyisten aufzutreten für eine bestimmte Sache, also mit gewissem Abstand, insofern finde ich es gut, dass Kirchenvertreter dabei sind, und es gibt auch in den Kirchen viel Sachverstand und viel Kompetenz, in den vergangenen 30 Jahren aufgebaut, wo Kirchen, Kirchengemeinden Photovoltaikanlagen installiert haben, Biomasseanlagen aufgebaut haben. Da ist vieles auch geschehen in der Praxis, also nicht nur sozusagen im Verbalen, sondern auch in der eigenen kirchlichen Praxis, in den Gemeinden, in den kirchlichen Einrichtungen.

Weber: Und da wäre Ihre Hoffnung, dass auch diese Praxis in der Kommission zur Sprache kommt und sich nicht nur um ein "Wir müssen die Schöpfung bewahren" von den Kirchen?

Böhm: Nein, nein, das müsste sehr viel konkreter werden. Aber das könnten die Bischöfe oder die Vertreter, die in dieser Kommission dann sitzen werden, auch tun. Es gibt eine ökumenische Zusammenarbeit, es gibt die Umweltbeauftragten in den katholischen Diözesen, und es gibt die Umweltbeauftragten in der Evangelischen Kirche Deutschland mit den Landeskirchen, Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten, und da gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit im Blick auf neue Energiepolitik. Jetzt mit diesem Ad-hoc-Abschalten ist es ja nicht getan, sondern wir müssen uns Gedanken machen, welche Konsequenzen hat das und wie ist es auch wirtschaftlich zu vertreten.

Weber: Und am Sonntag werden Ihre Kirchenmitglieder zu Wählern in Baden-Württemberg. Sie werden sicherlich keine Wahlempfehlung abgeben wollen, aber andererseits können Sie ja doch Wahlprüfsteine sozusagen vorgeben. Welche Ansprüche stellen Sie denn an die Parteien, was sagen Sie, worauf sollten die Wähler achten im Bezug auf das Programm zu Atomkraft oder auch Natur- und Klimaschutz?

Böhm: Eine ganz generelle Forderung ist, dass Systeme fehlerfreundlich sein müssen. Menschen sind immer fehlerhaft, und ein System, was keine Fehler zulässt, ist unmenschlich, das übersteigt das menschliche Maß. Ich denke, das hat unser Bischof auch gemeint, wenn er von maßlos sprach. Das heißt, wir müssen eingedenk sein, dass Menschen Fehler machen und umgekehrt die technischen Systeme so wählen, dass Fehler begrenzbar sind in Zeit und Raum. Das Zweite ist, dass wir Risiken minimieren müssen, das hat auch mit dem ersten Punkt zu tun, dass jetzt nicht wie damals in Tschernobyl eine Sache, die jetzt ganz Mitteleuropa verstrahlt, möglich ist. Und die dritte Forderung wäre, wir müssen langfristig denken, auch an die nächsten Generationen. Wenn ich jetzt eine Technik habe, die Abfälle produziert, die die nächste Generation und Generationen darüber hinaus belastet, ist das keine langfristige Option.

Weber: Na ja, das sind harte Aufgaben, nicht nur für die Landespolitik, sondern überhaupt weltweit.

Böhm: Ja, ja. Und was ich sehr wichtig erachte, ist eine Technikfolgenabschätzung, die die Dinge, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, anschaut, und zwar einerseits wissensbasiert, also dass viele Leute daran beteiligt sind – Experten und engagierte Laien –, und andererseits eine große Möglichkeit, das transparent zu machen, öffentlich zu machen und Menschen da mit einzubeziehen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so, und dann gab es oft, wenn dann das Kind in den Brunnen gefallen ist, den großen Schrei. Und es wäre für mich eine Notwendigkeit, in Zukunft für all das, was wir tun, eine Technikfolgenabschätzung vorzusehen.

Weber: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Böhm, Umweltschutzbeauftragter der evangelischen Landeskirche in Württemberg, danke!

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Abschied von der Atomkraft
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