Eine Märchenoper

Moderation: Gabi Wuttke |
74 Jahre hatte sie bereits auf dem Buckel, bevor die Oper "Der Traumgörge" endlich uraufgeführt wurde. Im Stück verliebt sich Grete in Görge, der ein großer Träumer und Erbe einer Mühle ist. Am Verlobungstag träumt er von einer Prinzessin und macht sich auf, um sie in der Welt zu suchen.
Deutschlandradio Kultur sprach über die Premiere mit Musikkritiker Bernhard Doppler:

Wuttke: Von Märchen war der österreichische Komponist Alexander von Zemlinsky angetan. 1904, als er den "Traumgörge" komponierte, war er Musikdirektor am Volkstheater. Ist das dieser Oper anzumerken?

Doppler: Märchenopern waren zwischen 1900 und 1910 sehr populär, es gab nicht nur Humperdincks "Hänsel und Gretel", russische Komponisten etwa liebten in dieser Zeitdieses Genre. Dazu kommt, dass der Librettist Leo Feld ein Operetten-Libretto-Schreiber war – sein Bruder Victor Leon war dabei allerdings noch erfolgreicher – Aber Zemlinsky wollte natürlich mehr als nur Volkstheater. Mit dem Traumgörge wollte er eine Figur schaffen, wie Tristan, wie Werther. Die Handlung ist zwar schnell erzählt, aber doch ein wenig wirr. Eine fragmentierte Biographie. Der Traumgörge agiert in verschiedenen Bereichen, als Träumer in einem Dorf, dann ist er als Sprachrohr eines politischen Umsturzes gefragt und schließlich ist er, als er wieder ins Dorf allgemein geachtet zurückkommt – zumindest in der Inszenierung der Deutschen Oper – so etwas wie ein Sektenführer.

Wuttke: Was hat der aus Kanada stammende Dirigent Jacques Lacombe aus der Musik herausgeholt?

Doppler: Die Musik ist auf jeden Fall wert, wieder gehört und aufgeführt zu werden, eine wundersame Musik, die Jacques Lacombe gut zur Geltung gebracht hat. Diesmal ein sehr guter Abend für das Orchester. Musikalisch gibt es sicherlich eine Nähe zu Richard Wagner, aber auch den Schwager, Arnold Schönberg scheint man manchmal zu hören, es irrlichtert manchmal wie beim frühen spätromantischen Schönberg. Aber noch interessanter: manchmal eigenartig konventionell wie Brahms oder Schuhmann und sehr melancholisch: Ein suggestiver nicht leicht einzuordnender Klangrausch.

Wuttke: Es gab Besetzungsprobleme, eine Partie musste kurzfristig von einer Sängerin zusätzlich übernommen werden.

Doppler: Die Ja, das machte übrigens dramaturgisch durchaus Sinn. Manuela Uhl hat so wohl die große Rolle der Gertraud gesungen, als auch die der Prinzessin übernommen. Dramaturgisch deshalb nicht so unpassend, weil die vier Frauen, auf die Görge trifft: die Bäuerin, die er heiraten soll, die Märchenprinzessin, die Außenseiterin Gertraud und schließlich noch die Wirtstochter, mit der er kurzfristig liiert ist, ähnlich sind: Projektionen des Traumzustandes, in dem Görge gerne verweilt. Manuela Uhl hat sehr überzeugend gesungen. Aber die große Leistung ist Steve Davidslim in der Titelrolle, eine riesige Rolle mit sehr vielen Schattierungen: manchmal lyrisch, manchmal heldisch strahlend und glänzend über dem Orchester. Eine bewundernswerte Leistung.

Wuttke: Wie war das szenisch umgesetzt. Joachim Schlömer, der Regisseur, kommt vom Tanz.

Doppler: Man könnte natürlich eine Märchenoper mit Märchen- und Volksfiguren inszeniere: mit der Hexe, die verbrannt werden soll – wie im Mittelalter – ; und vielleicht hat sich Zemlinsky das auch so vorgestellt; die Oper ist ja nie zu seinen Lebzeiten aufgeführt worden. Aber Joachim Schlömer ist dem sehr klug aus dem Weg gegangen. Der Bühnenbilder Jens Kilian hat ihm eine Art Zwischenetage in einem U-Bahnhof oder Bahnhof mit Rolltreppen und zwei weiteren Treppen gebaut und Schlömer hat die einzelnen Szenen mit verschiedenem unterschiedlichem Personal bevölkert. Erstens: Geschäftsleute im Dorf, keine Dorffiguren, zweitens: Leute, die Morden und Schlösser anzünden wollen, ein unheimliches U-Bahn-Volk – darunter einige Skatboard-Fahrer - und drittens eine Amish-Sekte, von der auf einem von der Gemeinschaft zuerst umständlich aufgerichtetem Holzpodest der zurück kehrende Görge gefeiert wird. Man merkt – es ist zwar ein Happy End, aber der melancholische Charakter der Musik spricht dagegen. Sich nicht auf die Traum- und Märchenwelt der Vorlage eingelassen zu haben, sondern eine moderne Welt gegen Zemlinskys Klangrausch zu setzen, das fand ich einen klugen Schritt dieser Inszenierung.

Wuttke: War es diesmal in der Deutschen Oper eine geglückte Ausgrabung oder hatte Mahler doch recht, als er den Traumgörge nicht auf den Spielplan setzte.

Doppler: Meine Antwort ist zweigeteilt. Es ist ganz unbestreitbar, dass der "Traumgörge" musikalisch ein hochinteressantes Werk ist, vom Libretto und seiner Philosophie her ist er sehr verworren. Aber es ist Oper, und dass man den Mut hatte, ein so wirres Libretto mit einer so interessanten Musik umzusetzen, finde ich richtig. Natürlich könnte man sich auch eine konzertante Aufführung vorstellen, sie würde es auch "bringen", aber das Risiko einzugehen, diese Musik auch szenisch umzusetzen, ist diesmal geglückt, auch wenn nur die musikalische Wiederentdeckung wirklich notwendig war.