Eine liebevoll aufbereitete "lieblose Tragödie"
Wechselhaft war das Glück des Komponisten Georg Friedrich Händel in London. Nachdem sich 1741 zu "Deidamia", seinem 44. Bühnenwerk, partout nicht ausreichend Publikum in <em>Lincoln's Inn Fields</em> einstellen wollte, liquidierte der Meister den Opern-Zweig seines Unternehmens und sattelte um auf Oratorien-Produktion.
Vorzugsweise geistliche Stoffe dramatisierte Händel nun aus dem Geiste der Musik. Einige dieser Werke - "Samson", "Joseph and his Brethren" und "Semele" - wurden jedoch folgerichtig in Covent Garden herausgebracht.
"Semele", 1744 uraufgeführt "after the manner of an oratorio", wurde von Händel komponiert nach einem Text von William Congreve aus den Zeiten, als auf dem Londoner Markt Musiktheater in der Landessprache noch eine Chance hatte. Mehr als drei Jahrzehnte zuvor hatte Händel die Ausführung dieses Librettos verworfen; jetzt kam er notgedrungen darauf zurück. Überhaupt korrigierte er die eindeutige Parteinahme für die italienisch gesungene opera seria. Er modernisierte seine Kompositionsweise, ohne unverwechselbare Kennzeichen preiszugeben, nahm komische Momente in seinen Stil auf und milderte das Pathetische ab.
Nachdem der Musikbetrieb zweihundert Jahre lang von "Semele" keine Notiz mehr genommen hatte, machte das moderne Musiktheater die Erfahrung, dass ihm einige Oratorien Händels weit besser zupass kommen als viele seiner Opern - und gerade "Semele" scheint eine der konzisesten und effizientesten Theatermusiken aus der Feder Händels bereitzustellen.
Zur Erinnerung: Ende 1996 inszenierte das Ehepaar Ursel und Karl-Ernst Herrmann an der Berliner Staatsoper Händels "Die Geschichte von Zeus und der thebanischen Königstochter", nachdem Marco A. Marelli die alte Geschichte zuvor schon für das Ludwigsburger Schlosstheater wiederentdeckt, das heißt in gleißend schöne Bilder getaucht hatte und am Theater der Händelstadt Halle Fred Berndt in ihr eine Träumerin des 20. Jahrhunderts gesehen hatte, die durch den im Mediengeschäft ganz oben herrschenden Mr. Jupiter als Kino- und TV-Star groß herauskommen will.
Am intelligentesten und brillantesten erschien die Teilmodernisierung der "Semele" durch Robert Carsen im Sommer 1996 beim Festival in Aix-en-Provence: Ohne dass der mythische Hintergrund ganz eliminiert worden wäre, wurde die Handlung ins heutige Haus Windsor verlagert und um Elizabeth II. als Juno gruppiert, dem differenzierten, auch elegischen und melancholischen Ton Händels jedoch auch hinreichend Platz geschaffen. Das Lachen blieb im Halse stecken.
Und nun also Dietrich Hilsdorf: Er zeigt die in der Frühgeschichte des alten Theben angesiedelte Handlung in einem großbürgerlichen oder aristokratischen Londoner Salon der Händelzeit: vorn ist der Graben für ausgewählte Mitglieder der Essener Philharmoniker und die für historistische Einfärbung sorgende Continuo-Gruppe teilweise überbaut; im Hintergrund, frei nach Pieter Breughel, der Turmbau zu Babel als überdimensionales Wandbild zu sehen (von vorn und von hinten - als besonders sinnige Schlafzimmer-Dekoration).
Schon dadurch wird deutlich darauf verwiesen, dass es mit diesem Bühnenwerk "nach der Manier eines Oratoriums" um menschliche Hybris geht, um den hypertrophen Wunsch nach Unsterblichkeit und eine krasse Form von Verblendung (wobei Semele ja durch F. Schiller und G.F. Händel der Unsterblichkeit näher gekommen sein dürfte als es der Jupiter-Gattin Juno lieb sein dürfte - jener beleidigten Ehefrau, die sich die Intrige zur Vernichtung der Rivalin ausdenkt). Semele ist nicht zufällig eine recht enge Verwandte der Niobe.
Der Bühnenbildner Dieter Richter schuf im Prinzip einen Einheitsbühnenraum, der durch bewegliche Teile auf der Drehbühne nach Bedarfslage immer wieder verändert werden kann.
Olga Pasichnyk, eine Sopranistin aus der Ukraine, ist eine mit Koloraturen prunkende und insgesamt virtuos über alle Klippen der höllenschweren Partie turnende Semele. Uwe Stickert kommt als Jupiter wie ein feister britischer Landlord des frühen 18. Jahrhunderts daher und bewährt sich als Tenor von Format.
Die Kostüme von Renate Schmitzer prunken mit der Pracht einer verwöhnt-reichen Epoche und feinsinniger Farbsymbolik in hundert Facetten und bilden eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Choristen durchweg als Individuen in einem gesellschaftlichen Ganzen wahrgenommen werden. Jos van Veldhoven steuerte die Dynamik, die Wucht und Kontemplation der Chöre ebenso perfekt wie die ausladenden Nachtmusiken.
Dietrich Hilsdorf inszenierte nicht, wie angekündigt, "eine lieblose Komödie", sondern durchaus (freilich mit leichter Hand!) die Tragödie der Semele: mit sehr genau differenzierten Haupt- und Nebensträngen der Handlung - mit kritischen, ironischen und manchmal ausgesprochen witzigen Fußnoten.
"Semele", 1744 uraufgeführt "after the manner of an oratorio", wurde von Händel komponiert nach einem Text von William Congreve aus den Zeiten, als auf dem Londoner Markt Musiktheater in der Landessprache noch eine Chance hatte. Mehr als drei Jahrzehnte zuvor hatte Händel die Ausführung dieses Librettos verworfen; jetzt kam er notgedrungen darauf zurück. Überhaupt korrigierte er die eindeutige Parteinahme für die italienisch gesungene opera seria. Er modernisierte seine Kompositionsweise, ohne unverwechselbare Kennzeichen preiszugeben, nahm komische Momente in seinen Stil auf und milderte das Pathetische ab.
Nachdem der Musikbetrieb zweihundert Jahre lang von "Semele" keine Notiz mehr genommen hatte, machte das moderne Musiktheater die Erfahrung, dass ihm einige Oratorien Händels weit besser zupass kommen als viele seiner Opern - und gerade "Semele" scheint eine der konzisesten und effizientesten Theatermusiken aus der Feder Händels bereitzustellen.
Zur Erinnerung: Ende 1996 inszenierte das Ehepaar Ursel und Karl-Ernst Herrmann an der Berliner Staatsoper Händels "Die Geschichte von Zeus und der thebanischen Königstochter", nachdem Marco A. Marelli die alte Geschichte zuvor schon für das Ludwigsburger Schlosstheater wiederentdeckt, das heißt in gleißend schöne Bilder getaucht hatte und am Theater der Händelstadt Halle Fred Berndt in ihr eine Träumerin des 20. Jahrhunderts gesehen hatte, die durch den im Mediengeschäft ganz oben herrschenden Mr. Jupiter als Kino- und TV-Star groß herauskommen will.
Am intelligentesten und brillantesten erschien die Teilmodernisierung der "Semele" durch Robert Carsen im Sommer 1996 beim Festival in Aix-en-Provence: Ohne dass der mythische Hintergrund ganz eliminiert worden wäre, wurde die Handlung ins heutige Haus Windsor verlagert und um Elizabeth II. als Juno gruppiert, dem differenzierten, auch elegischen und melancholischen Ton Händels jedoch auch hinreichend Platz geschaffen. Das Lachen blieb im Halse stecken.
Und nun also Dietrich Hilsdorf: Er zeigt die in der Frühgeschichte des alten Theben angesiedelte Handlung in einem großbürgerlichen oder aristokratischen Londoner Salon der Händelzeit: vorn ist der Graben für ausgewählte Mitglieder der Essener Philharmoniker und die für historistische Einfärbung sorgende Continuo-Gruppe teilweise überbaut; im Hintergrund, frei nach Pieter Breughel, der Turmbau zu Babel als überdimensionales Wandbild zu sehen (von vorn und von hinten - als besonders sinnige Schlafzimmer-Dekoration).
Schon dadurch wird deutlich darauf verwiesen, dass es mit diesem Bühnenwerk "nach der Manier eines Oratoriums" um menschliche Hybris geht, um den hypertrophen Wunsch nach Unsterblichkeit und eine krasse Form von Verblendung (wobei Semele ja durch F. Schiller und G.F. Händel der Unsterblichkeit näher gekommen sein dürfte als es der Jupiter-Gattin Juno lieb sein dürfte - jener beleidigten Ehefrau, die sich die Intrige zur Vernichtung der Rivalin ausdenkt). Semele ist nicht zufällig eine recht enge Verwandte der Niobe.
Der Bühnenbildner Dieter Richter schuf im Prinzip einen Einheitsbühnenraum, der durch bewegliche Teile auf der Drehbühne nach Bedarfslage immer wieder verändert werden kann.
Olga Pasichnyk, eine Sopranistin aus der Ukraine, ist eine mit Koloraturen prunkende und insgesamt virtuos über alle Klippen der höllenschweren Partie turnende Semele. Uwe Stickert kommt als Jupiter wie ein feister britischer Landlord des frühen 18. Jahrhunderts daher und bewährt sich als Tenor von Format.
Die Kostüme von Renate Schmitzer prunken mit der Pracht einer verwöhnt-reichen Epoche und feinsinniger Farbsymbolik in hundert Facetten und bilden eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Choristen durchweg als Individuen in einem gesellschaftlichen Ganzen wahrgenommen werden. Jos van Veldhoven steuerte die Dynamik, die Wucht und Kontemplation der Chöre ebenso perfekt wie die ausladenden Nachtmusiken.
Dietrich Hilsdorf inszenierte nicht, wie angekündigt, "eine lieblose Komödie", sondern durchaus (freilich mit leichter Hand!) die Tragödie der Semele: mit sehr genau differenzierten Haupt- und Nebensträngen der Handlung - mit kritischen, ironischen und manchmal ausgesprochen witzigen Fußnoten.