Eine Liebe in der Pariser Unterwelt
Romain Rolland, Sohn einer wohlhabenden Familie, Literaturnobelpreisträger von 1915, Pazifist, Humanist, Europäer – Rolland ist schlicht vergessen, auch in Frankreich übrigens. Der schmale Roman "Pierre und Luce" soll ihn wieder in Erinnerung bringen.
Die Erzählung, denn ein Roman ist es nicht, spielt Anfang 1918, für Frankreich eine heikle Phase. Die deutsche Armee überschreitet die Somme, Paris erleidet Luftangriffe. Die Metrobahnhöfe dienen als Schutzräume, die Züge fahren weiter. Der junge Pierre, 18, erstickt fast in der Luft da unten. Er schließt die Augen, seine Gedanken sind beim Krieg, in einem halben Jahr soll auch er an die Front. Als er die Augen wieder aufschlägt, sieht er ein junges Mädchen – und ist verloren. "Sie war da", steht da in ergreifender Schlichtheit, als wäre sie seit langem erwartet.
Luce heißt das Mädchen; um ihr Leben zu fristen, malt sie schlechte Kopien alter Meister, ihre Mutter, einst wohlhabende Bürgerstochter, arbeitet in einer Munitionsfabrik und hat einen Liebhaber. Der Student Pierre hingegen hat keine finanziellen Sorgen, denn sein Vater ist ein gut situierter, pflichtbewusster Richter, leider ohne selbständiges Denken, Beamter halt, ein Instrument der Macht, dessen ist sich Pierre voll Trauer und Empörung bewusst.
Pierre und Luce, vom Verlag in Anlehnung an eine Schokoladenwerbung "Die zarteste Liebesgeschichte der Weltliteratur" genannt, könnten tatsächlich neben die große Liebespaare gestellt werden, Romeo und Julia, Werther und Lotte, Ferdinand und Luise – und nicht nur, weil auch ihre Liebe zum Tode verurteilt ist.
Aber ihr Schöpfer Rolland ist in erster Linie Pazifist. Er stellt Politik und Moral über die Literatur, das macht die Geschichte stellenweise schwer lesbar. Immer wieder, viel zu oft und belehrend und langweilig und überflüssig, entfernt sich der Erzähler von diesem eigentlich doch hinreißenden Liebespaar, um uns vom neuesten Stand des Krieges zu berichten oder Unsittlichkeit und Stumpfsinn der Bürger vor Augen zu halten.
Generell wirkt das Buch eher wie ein Entwurf zu etwas Größerem, es scheint nicht abgeschlossen, zum Beispiel verläuft die Vorstellung der Studentengruppe, zu der Pierre gehört, im Nichts, seine vier Kameraden, die unterschiedlicher nicht sein könnten, werden etwas steif charakterisiert und spielen dann überhaupt keine Rolle mehr. Es könnten Notizen zu einem Roman sein.
Rolland schreibt in einem heute fremd erscheinenden, mal liebenswerten, mal kitschigen Pathos (der O-Mensch-Expressionismus ist nicht weit), ohne jegliche Distanz zu seiner eigenen Überzeugung. Schade, denn immer wenn er sich auf die beiden Liebenden konzentriert, können Passagen von mystischer Schönheit und großer Überzeugungskraft entstehen. Ein Beispiel ist ihr Gang durch die Wälder von Chaville, durch die später auch Peter Handke in seiner "Niemandsbucht" streift. Dort findet Rolland das schöne Wort von der "exaltierten Ruhe" seiner beiden Königskinder, das auch Handke hätte finden können: "Tiefer Friede im Herzen, aber die Nerven vibrieren."
Besprochen von Peter Urban-Halle
Romain Rolland: Pierre und Luce
Aus dem Französischen von Hartmut Köhler
Aufbau Verlag, Berlin 2010
139 Seiten, 14,95 Euro
Luce heißt das Mädchen; um ihr Leben zu fristen, malt sie schlechte Kopien alter Meister, ihre Mutter, einst wohlhabende Bürgerstochter, arbeitet in einer Munitionsfabrik und hat einen Liebhaber. Der Student Pierre hingegen hat keine finanziellen Sorgen, denn sein Vater ist ein gut situierter, pflichtbewusster Richter, leider ohne selbständiges Denken, Beamter halt, ein Instrument der Macht, dessen ist sich Pierre voll Trauer und Empörung bewusst.
Pierre und Luce, vom Verlag in Anlehnung an eine Schokoladenwerbung "Die zarteste Liebesgeschichte der Weltliteratur" genannt, könnten tatsächlich neben die große Liebespaare gestellt werden, Romeo und Julia, Werther und Lotte, Ferdinand und Luise – und nicht nur, weil auch ihre Liebe zum Tode verurteilt ist.
Aber ihr Schöpfer Rolland ist in erster Linie Pazifist. Er stellt Politik und Moral über die Literatur, das macht die Geschichte stellenweise schwer lesbar. Immer wieder, viel zu oft und belehrend und langweilig und überflüssig, entfernt sich der Erzähler von diesem eigentlich doch hinreißenden Liebespaar, um uns vom neuesten Stand des Krieges zu berichten oder Unsittlichkeit und Stumpfsinn der Bürger vor Augen zu halten.
Generell wirkt das Buch eher wie ein Entwurf zu etwas Größerem, es scheint nicht abgeschlossen, zum Beispiel verläuft die Vorstellung der Studentengruppe, zu der Pierre gehört, im Nichts, seine vier Kameraden, die unterschiedlicher nicht sein könnten, werden etwas steif charakterisiert und spielen dann überhaupt keine Rolle mehr. Es könnten Notizen zu einem Roman sein.
Rolland schreibt in einem heute fremd erscheinenden, mal liebenswerten, mal kitschigen Pathos (der O-Mensch-Expressionismus ist nicht weit), ohne jegliche Distanz zu seiner eigenen Überzeugung. Schade, denn immer wenn er sich auf die beiden Liebenden konzentriert, können Passagen von mystischer Schönheit und großer Überzeugungskraft entstehen. Ein Beispiel ist ihr Gang durch die Wälder von Chaville, durch die später auch Peter Handke in seiner "Niemandsbucht" streift. Dort findet Rolland das schöne Wort von der "exaltierten Ruhe" seiner beiden Königskinder, das auch Handke hätte finden können: "Tiefer Friede im Herzen, aber die Nerven vibrieren."
Besprochen von Peter Urban-Halle
Romain Rolland: Pierre und Luce
Aus dem Französischen von Hartmut Köhler
Aufbau Verlag, Berlin 2010
139 Seiten, 14,95 Euro