Eine Lebenshölle

Von Stefan Keim · 08.01.2010
Karin Beier, Intendantin des Kölner Schauspiels, adaptiert mit ihrem Stück "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" einen Film von Ettore Scola. Sie zeigt eine Unterschicht, die sich ohne Gnade selbst zerfleischt.
Dieser Film zerstörte einen Mythos. In den siebziger Jahren glaubten noch viele, dass es die Verhältnisse sind, die Menschen roh und erbarmungslos werden ließen. Und dass in jedem ein guter Kern schlummert. Der italienische Filmemacher Ettore Scola zeigte in "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" eine Unterschicht, die sich ohne Gnade selbst zerfleischt. Nun hat Kölns Schauspielintendantin Karin Beier diesen Film, der 1976 in Cannes den Preis für die beste Regie bekam, auf die Bühne gebracht. Und ihm einen neuen Untertitel gegeben: "Eine bemerkenswert mitleidlose Komödie".

Ein breiter Wohncontainer steht in der Halle Kalk des Kölner Schauspiels. Die Menschen darin agieren hinter Glas. Kaum ein Laut dringt zu den Zuschauern. Nur kurz öffnen sich die Türen, dann hört man ein paar Sätze. Bis einer "Tür zu!" brüllt. Die Aufführung wirkt über weite Strecken wie ein Stummfilm.

Der Film "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" spielt in einem Slum nahe bei Rom. In einer Baracke lebt eine Familie mit vier Generationen auf engstem Raum zusammen. Jeder kriegt mit, wenn einer Sex hat oder säuft, Hemmungen gibt es längst nicht mehr. Karin Beier verlegt die Handlung nach Deutschland. Giacinto, der Chef des verkommenen Clans, heißt jetzt Norbert. Im Kino hat er bei einem Arbeitsunfall ein Auge verloren und von der Versicherung eine große Summe bekommen. Norbert hingegen hat keine erkennbare Verletzung, woher sein Geld stammt, weiß man nicht so genau. Überhaupt hat Karin Beier durch den weitgehenden Verzicht Dialoge – die Schauspieler sprechen zwar, aber das Publikum hört sie ja nicht – konkrete, realistische Details aus der Handlung getilgt.

Wie Spanner aus dem Vorgarten sieht man nur, was geschieht. Jedes Familienmitglied ist hinter den Scheinen her, die Norbert mit brutaler Gewalt verteidigt. Ganz selbstverständlich schießt er auf einen Sohn und verletzt seine Frau mit einer abgebrochenen Bierflasche. Als er eine asiatische Geliebte mit ins Haus bringt, will ihn die Familie mit Rattengift ermorden. Der wuchtige Schauspieler Markus John schüttelt sich vor Krämpfen, weißer Schleim läuft ihm aus dem Mund, er scheint zu krepieren. Dann steht er doch wieder auf. Und seine Frau – gespielt von der wieder einmal grandiosen Julia Wieninger - lacht, hohl, humorlos, grauenvoll. Auch mit größter Gewissenlosigkeit findet sie keinen Ausweg aus der Lebenshölle. Es gibt keine Hoffnung.

Wenn es in dieser "mitleidlosen Komödie" etwas zum Lachen gibt, bleibt es einem schnell im Halse stecken. Michael Wittenborn spielt die Großmutter im Rollstuhl, was zunächst grotesk wirkt, wenn die alte Dame Spülmittel problemlos trinkt und danach beim Tee Hustenanfälle bekommt. Doch aus der Verfremdung entwickelt sich eine tiefe Tragik. Die Alte wimmert nach dem Geld, kann aber nicht mehr darum kämpfen. Sie träumt von einer Reise nach Rio, doch Norbert malt ihr bloß mit einem beschmierten Lappen einen Hügel auf die Glasscheibe. "Da haste Rio." Und die Oma murmelt, er sei doch alles, was sie habe im Leben. Das ist einer der wenigen Momente, in denen das Publikum mitfühlen darf. Aber Karin Beier achtet genau darauf, dass es nicht zu viele werden.

Die Gier ist das Einzige, was die Menschen in dieser Aufführung antreibt. Sie kennen nicht einmal einen Anflug von Mitgefühl, nur den Kampf um Geld, Alkohol und Sex. Karin Beier zeigt mit ihrem wunderbaren Ensemble einen boshaften Blick auf den Menschen, der dem Menschen ein Wolf ist. Wie in vielen früheren Inszenierungen ist zu spüren, dass sich die Kölner Intendantin mit den extremen ästhetischen Ansätzen des Gegenwartstheaters beschäftigt und ihre eigene Theatersprache ständig weiter entwickelt. In ihrem überwältigenden "König Lear" ist der Einfluss Jürgen Goschs zu entdecken, im weniger geglückten "Peer Gynt" der von Christoph Marthaler. Nun führt sie den Hyperrealismus von Alvis Hermanis weiter, die Gratwanderung zwischen authentischem Spiel und klaren Stilisierungen. Der Container erinnert an die Theaterinstallationen von Bert Neumann. Im Film sorgte die enorm bewegliche Kamera für eine irritierende Nähe zu den Personen. Die Glaswand in Thomas Dreissigackers Bühnenbild hält die Zuschauer auf Distanz. So wird der Voyeurismus zum Thema der Aufführung, die Lust, sich Menschen anzuschauen, denen gegenüber man sich scheinbar überlegen fühlen kann. Aber nur, wenn man nicht allzu genau in den Spiegel schaut. Denn natürlich will Karin Beier nicht die Unterschicht diskriminieren, sondern vor kulturlosen Kreaturen warnen. So ist der Mensch, wenn er keine Schönheit kennt und keine Ziele hat, für die es sich zu arbeiten lohnt.

Service:
Weitere Aufführungen: 11., 13., 15., 18., 28., 29. Januar, 2., 6., 7. Februar
Halle Kalk, Kölner Schauspiel