"Eine kleine Sensation"

Moderation: Birgit Kolkmann |
Die außenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Müller, hat die Vorschläge der Baker-Kommission gelobt und sich für einen "längst überfälligen" Kurswechsel der USA im Irak ausgesprochen. Die Bundesregierung solle nun ihren Einfluss auf die USA geltend machen, damit die Bush-Administration möglichst viele Vorschläge der Kommission umsetze, forderte die Grünen-Politikerin am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur.
Birgit Kolkmann: Es ist eine Umkehr in letzter Sekunde, vielleicht ist es aber auch schon fünf nach zwölf im Irak. Versinkt das Land bereits im Chaos oder steht es erst kurz davor? Letzteres meint die Kommission der US-Spitzenpolitiker Baker und Hamilton, die jetzt nach siebenmonatiger Arbeit Empfehlungen für einen Kurswechsel in der Irakpolitik vorgelegt hat. Weg von Kampfeinsätzen, hin zu diplomatischen Anstrengungen und Zusammenarbeit mit allen Nachbarn im Nahen Osten, auch dem bislang verfemten Syrien und Iran. Und nicht zuletzt der palästinensisch-israelische Friedensprozess soll wiederbelebt werden, als einen Teil des gesamten Problems in der Region. Noch ist nicht klar, wie weit der US-Präsident den Empfehlungen folgen wird, aber er steht unter großem Druck der Verhältnisse im Irak und der öffentlichen Meinung in den USA. Kerstin Müller ist außenpolitische Sprecherin vom Bündnis 90/Die Grünen. Und sie begrüße ich jetzt zum Interview in Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Morgen!

Kerstin Müller: Guten Morgen Frau Kolkmann!

Kolkmann: Frau Müller, sind die Empfehlungen der Baker-Hamliton-Kommission eine Sensation?

Müller: Eine kleine Sensation, soweit sie bekannt geworden sind und alle denken, gut und hoffentlich kommt nun endlich der längst überfällige Kurswechsel, denn leider haben sich ja im Irak und in der Region des Nahen Osten unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt, die Argumente, die wir gegen diesen Krieg hatten.

Kolkmann: Gibt es für Bush eigentlich nun keine andere Möglichkeit, als den Empfehlungen zu folgen?

Müller: Man kann nur hoffen, dass er diesen Empfehlungen folgt. Meine Erwartung an die Bundesregierung ist, die sich ja eines guten Verhältnisses zur Bush-Regierung rühmt, dass sie hier ganz klar ihren Einfluss dahingehend ausübt, dass doch viele Vorschläge dort umgesetzt werden, also grundsätzlicher Strategiewechsel. Die Baker-Kommission schlägt ja vor, dass man vor allen Dingen für den gesamten Nahen Osten endlich wieder politische Initiative ergreift. Im Nahen Osten wird sich wenig verändern, wenn nicht die US-Regierung hier auch die Initiative ergreift. Das heißt für den israelisch-palästinensischen Konflikt, das heißt im Hinblick von Libanon, das heißt aber vor allen Dingen auch direkte Gespräche mit Iran und Syrien, eine Forderung die wir schon lange haben, die auch die Europäer immer wieder aufgestellt haben, aller Fraktionen sage ich mal, zum Beispiel hier in Deutschland, die aber die Bush-Regierung leider immer wieder abgelehnt hat.

Kolkmann: Bundesaußenminister Steinmeier wird ja heute nach Washington reisen, dort zu intensiven Gesprächen mit seiner Amtskollegin, so ist es zu hören. Ist es entscheidend, dass zum Beispiel auch das Nahost-Quartett wiederbelebt wird?

Müller: Ja ganz entscheidend, dass ist ja quasi in Lähmung gefallen. Ich habe das sehr stark kritisiert im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Israel und Hisbollah, denn dort kam nichts, keine einzige Initiative, was vor allen Dingen daran liegt, dass eben die jetzige US-Regierung im Hinblick auf den Nahen Osten im Grunde keinerlei wirklichepolitische Initiative mehr ergreift. Ein bekannter amerikanischer Senator hat jüngst vorgeschlagen, warum macht Baker nicht weiter und wird zum Beispiel von Bush zum Nahost-Beauftragten erklärt, um hier wieder Initiative zu ergreifen zwischen den Israelis und den Palästinensern, denn es ist klar, so lange dieser Konflikt, so lange es dort nicht wieder zurückgeht zur Roadmap, zurück zu Verhandlungen, zurück auf dem Weg zum Frieden, wird es auch im gesamten Nahen Osten weiter brennen.

Kolkmann: Wie ist ihr Eindruck, ist es nicht längst zu spät, vor allen Dingen für den Irak, um da noch zu intervenieren und zu sagen, wir versuchen es jetzt mal mit dem diplomatischen?

Müller: Ja, das ist leider so was wie Kaffeesatzleserei. Man weiß nicht, wie sich die Situation im Irak weiter verändern wird und vor allen Dingen die Gefahr, die Gefahr des Zerfalls eines Irak, ob das nicht passieren wird. Real ist es auf jeden Fall. Nicht auszudenken, was das bedeutet. Das würde wirklich eine gesamte Destabilisierung, des gesamten Nahen Ostens bedeuten. Das heißt, das gilt es auf jeden Fall zu verhindern. Deshalb ist es auch klug, dass die Baker-Kommission keinen überstürzten Abzug vorschlägt, sondern eben hier politisch-diplomatische Initiativen für den gesamten Nahen Osten, einen Kurswechsel, eine Änderung in der Strategie, das muss jetzt passieren. Auch als jemand, der gegen diese militärische Intervention war, kann man heute keinen überstürzten Abzug der Amerikaner wünschen, denn dann versinkt, glaube ich, mit großer Wahrscheinlichkeit das Land im Chaos, mit Auswirkungen möglicherweise bis hin nach Europa.