Eine kammerspielartige Science-Fiction-Metapher

'Another Earth'-Regisseur Mike Cahill
'Another Earth'-Regisseur Mike Cahill © picture alliance / dpa / Jean-Christophe Bott
Von Hans-Ulrich Pönack · 17.06.2012
"Another Earth" ist ganz starkes großes Klein-Kino. Der Regisseur Mike Cahill hat gleich mit diesem, seinem ersten "erwachsenen" Film dafür gesorgt, dass man ihn fortan nicht mehr aus den Augen verlieren will.
Der Debütfilm des aus New Haven/Connecticut stammenden 31-jährigen Kurz- und Dokumentarfilmers Mike Cahill entstand mit einem Mini-Budget für gerade einmal 200.000 Dollar und lässt sich nicht in eine "simple Genre-Schublade" stecken.

Er beginnt locker: eine Party, Tanz, Suff, ausgelassene Stimmung. Rhoda Williams feiert ihren Start in den Spitzen-Beruf, wurde soeben als Ingenieurin in das Astrophysik-Programm beim Massachusetts-Institut aufgenommen. Die junge Frau hört auf dem Heimweg im Autoradio von der Entdeckung eines neuen Planeten. Der von der Erde aus mit dem bloßen Auge zu sehen ist. Sie ist irritiert, neugierig, schaut hoch und kracht dabei in ein stehendes anderes Auto.

Sie löscht dadurch eine ganze Familie fast aus: Eine schwangere Frau und ihr kleiner Sohn sterben, der Ehemann, John Burroughs, Professor und Komponist, überlebt schwerverletzt. Als Rhoda nach vierjähriger Haft freikommt, ist der neue Planet identifiziert. Wird jetzt als "Erde 2" bezeichnet. Weil es sich um ein Parallel-Universum handelt: Genauso gebaut, entwickelt, aussehend wie bei uns auf unserem Planeten und auch mit uns. Dort.

Wir existieren quasi noch einmal. In einer zweiten Identität. Natürlich ist die Menschheit hier besorgt. Wie, wieso, was, warum? Mit welchen Folgen? Die Nachrichten und Talk Shows sind voll von Informationen, Fragen, Spekulationen. Was ist, was wird, wenn wir unserem zweiten Ich eines Tages begegnen? Wie gehen wir mit dem um? Bleiben wir normal? Können wir überhaupt mit uns richtig kommunizieren? Können wir eventuell uns gar austauschen? Oder werden wir alle 1:1 bleiben? Hier wie dort?

Rhode hat andere Sorgen, isst voller Schuld-Gefühle, begibt sich zum überlebenden Professor, ohne ihre Person zu erklären, arbeitet bei ihm als Haushaltshilfe. Will irgendwie Sühne. Zugleich hat sie an einem Wettbewerb teilgenommen: Ein Millionär vergibt ein Ticket für den demnächst geplanten ersten Flug zur "Erde 2". Sie gewinnt, träumt von Erlösung, vielleicht gibt es ja irgendwie doch eine Möglichkeit, eine Chance, schlimme Dinge von früher reparieren zu können.

Denn eine wissenschaftliche Theorie besagt, dass sich die Synchronizität angeblich seit der Entdeckung von "Erde 2" dort verändert hat. Doch inzwischen hat der Professor, hat der private John Burroughs Vertrauen zu ihr gefasst. Denkt sogar an eine Partnerschaft. Als sie ihm schließlich sagt, wer sie wirklich ist, ist er vollends traumatisiert.

Ein wunderbarer Spannungs- und Denk-Film. Der Mensch und seine ewige Suche nach einer Revision seines Lebens. Dunkle Entscheidungen, Ereignisse, im Da-Sein revidieren zu können. Im Nachhinein. Und sei es durch einen Umweg über einen anderen irdischen Planeten. "Another Earth" ist eine kammerspielartige, faszinierende Science-Fiction-Metapher.

Mit sensiblem Drama-Geschmack. Irritierend, gefühl- wie gedankenvoll. Es geht also: Spannung auch ohne große Tricks und vielen Lärm. Und ohne viel Geld. Dafür mit einer außerordentlichen körpersprachlichen Seelen-Gänsehaut. Weil die beiden Hauptakteure Brit Marling und William Mapother (der 45-jährige Tom Cruise-Cousin) sich grandios "bewegen". Mit ihnen mitzufiebern, ist zutiefst anregend und aufregend.

"Another Earth", in originaler Atmosphäre, mit unanstrengenden deutschen Untertiteln, ist ganz starkes großes Klein-Kino. Dieser Mike Cahill hat gleich mit seinem ersten "erwachsenen" Film dafür gesorgt, dass man ihn fortan nicht mehr aus den Augen verlieren will.

Another Earth
USA 2010; Regie: 92 Minuten; Regie: Mike Cahill, Darsteller: William Mapother, Brit Marling, Jordan Baker, DVD, im Original mit deutschen Untertiteln, FSK ab 12 Jahren, 93 Minuten
Mehr zum Thema