Eine Insel für die Kunst

Von Ulrike Gondorf · 29.05.2010
30 Kilometer Länge – das ist eine rekordverdächtig für einen Ausstellungsraum. So lang ist die Emscherinsel im Norden des Ruhrgebiets, und sie ist ab sofort Schauplatz des größten Kunstprojekts der Kulturhauptstadt 2010. 40 internationale Künstler haben Installationen für diesen Raum geschaffen.
Eine Pressekonferenz als Fahrradtour –das ist ungewöhnlich. Aber die Räder an drei Stationen auf dem Gelände ausleihbar –sind nun einmal das beste Transportmittel, um die 20 Installationen zu erreichen auf der schmalen Insel zwischen dem Emscherfluss und dem Rhein-Herne-Kanal, die sich von Oberhausen bis Castrop-Rauxel erstreckt. Man kann sich natürlich auch fürs Wandern entscheiden oder ein Schiffchen der "weißen Flotte" besteigen, das einen dann gemächlich an der Kunst vorbeiträgt.

Fahrradfahren, wandern, ein Boot besteigen – noch vor 15 Jahren hätte sich das hier niemand einfallen lassen. Die Emscher war eine stinkende Kloake, die Industriebrachen, an denen sie vorbei floss - Abraumhalden und Zechengelände, Kläranlagen und Stahlwerke – dämmerten dem Verfall entgegen. Heute ist hier das größte Renaturierungsprojekt Europas im Gange: grün so weit das Auge reicht, die Halden haben sich in eine baumbestandene Hügellandschaft verwandelt, die Brücken über den Kanal sind bunt gestrichen. Und allmählich kehrt auch in den Fluss das Leben zurück, an den Ufern sitzen die Angler.

"Die Menschen in der Region hätten vor 10 Jahren ungläubig mit dem Kopf geschüttelt, wenn man gesagt hätte, Kunst an der Emscher, Kunst an dem, was man hier ironisch Köttelbecken nannte, an einem ehemals offenen Abwasserkanal, aber das ist so wie mit der Vision von der neuen blauen Emscher, da hätte vor zehn Jahren kaum jemand einen Euro drauf gewettet, und jetzt sind wir mit Riesenschritten dabei, diesen Weg ins neue Emschertal zurückzulegen."

Dr. Jochen Stemplewski ist der Vorsitzende der Emschergenossenschaft, die zusammen mit der RUHR.2010 und mit Unterstützung des Landes und der Europäischen Union den Kunstparcours organisiert hat. Ihm liegen besonders die Projekte am Herzen, die sich mit dem Fluss und dem Wasser auseinandersetzen, und so ist der erste Stopp der Besichtigungstour an einer schon von Weitem sichtbaren Anlage: Eine besonders schmale Stelle der Insel ist komplett überbaut mit Treppen und Stegen, die flankiert werden von schwebenden, bunt bepflanzten Beeten. An der höchsten Stelle auf einem Podest über dem Fluss eine gelbe Kabine. Die Architektin Eva Pfannes hat schon während des Aufbaus die ersten Vermutungen darüber gehört, was das wohl sein könnte.

"Da meinte die Frau zu ihrem Mann, siehste, ich hab's dir doch gesagt, das ist ne Toilette." (lacht)"

Und so ist es tatsächlich. Was das Team aus Künstlern und Architekten da konzipiert hat, ist eine voll funktionstüchtige biologische Kläranlage, in der anschaulich wird, wie durch viele Stufen der Aufbereitung aus dem Abwasser wieder Trinkwasser werden kann, zugleich ein ironischer Verweis auf die Geschichte der Emscher als Kloake des Ruhrgebiets. Leute aus der Nachbarschaft brachten Pflanzen für die Beete mit und werden sie in Zukunft betreuen. Dieser soziale, kommunikative Aspekt der Arbeit steht für Eva Pfannes im Mittelpunkt.

""Das Tolle war, in der Landschaft ein Projekt entwickeln zu können ganz frei, das sich mit dem Ort an sich auseinandersetzt, mit der Bevölkerung und dem Wasser, das war das Spannendste.

"Es geht erst drum, sich den Leuten anzunähern und der kulturelle Teil ist der zweite Schritt und wir hoffen, dass der auch begreifbar wird."

Viele Künstler haben Installationen geschaffen, die erst durch das Begehen, Benutzen, in Besitz nehmen zu leben beginnen. Der New Yorker Mark Dion etwa möblierte einen Gastank, der äußerlich ganz unverändert aussieht, im Innern mit Sesseln und Tischen zu einem Beobachtungspunkt für Hobby-Ornithologen. Jeppe Hein stellte an verschiedenen Stellen der Insel Fernrohre auf, die freilich Bilder zeigen, die in der Realität gar nicht zu entdecken sind. Der Japaner Tadashi Kawamata konstruierte einen ganz filigranen hölzernen Aussichtsturm just an der Stelle, wo die Rückbauarbeiten am alten Altwasserkanal die Insel in eine gigantische Baustelle verwandelt haben. Kurator Dr. Florian Matzner hatte keine Mühe, die Künstler aus aller Welt für das Projekt Emscherkunst zu interessieren.

"Viele schätzen das Ruhrgebiert als Ballungsraum, in dem sich bestimmte gesellschaftliche Dinge verdichten, es ist ein spannendes Gebiet hier, und die waren alle gern dabei."

Manche reflektieren Gegenwart und Geschichte sehr direkt, wie Silke Wagner, die an einem Kühlturm ein riesiges Mosaik mit Bildern aus der Geschichte der Arbeiterbewegung gestaltet hat. Manche reagieren offen und vieldeutig. Die türkische Installationskünstlerin Ayse Erkman hat einem alten Kohlebunker, der einmal das "schwarze Gold" aufnehmen sollte, eine goldene Krone aufgesetzt. Mischa Kuball und Lawrence Weiner verfremden die Becken einer alten Kläranlage mit Lichtbändern und Schriftzügen. Bogumir Ecker hat eine bizarre, säulenartige Skulptur in leuchtendem Gelb ins Wasser gestellt – ihr Spitzname "Käsestange" verrät, dass sie schon eine feste Größe ist in der Wahrnehmung der Anwohner.

Das könnte einigen anderen Objekten auch so gehen, denn die meisten sind für die Dauer geplant - und markieren doch nur die erste Etappe der fortschreitenden Umgestaltung: Emscherkunst wird als Biennale bis 2020 stattfinden, bis zum geplanten Schlusspunkt der Renaturierungsmaßnahmen.

Matzner: "Heute ist der Startschuss für eine nachhaltige Entwicklung, die in den nächsten Jahren weitergeht."