Eine holprige Geschichte

Von Nadine Lindner · 30.10.2013
Vor etwa 100 Jahren entstand die Idee, über zehn Jahre wurde gebaut - und im Dezember soll der Leipziger City-Tunnel endlich eröffnen. Zwar blieben harsche Proteste wie bei Stuttgart 21 aus, doch auch in Leipzig sind nicht alle glücklich über den Tunnelbau.
"Der City-Tunnel Leipzig wird das Herzstück für das Nahverkehrssystem im mitteldeutschen Raum. Er verbindet den Südraum der Stadt mit dem Hauptbahnhof im nördlichen Zentrum und macht damit den gesamten Zugverkehr schneller und komfortabler für die Reisenden."

Im Video fährt die S-Bahn schon durch den City-Tunnel Leipzig. Durch moderne Tunnelröhren und großzügig gestaltete Stationen. Noch ist das Zukunftsmusik, doch ab Mitte Dezember soll es so weit sein: Nach zehn Jahren Bauzeit wird der City-Tunnel eröffnet.

Das Prinzip ist einfach: Auf 1,4 Kilometern Länge verlaufen zwei Tunnelröhren parallel unter der Leipziger Innenstadt. Sie verbinden den Hauptbahnhof auf der einen und den Bayrischen Bahnhof auf der anderen Seite. Dazwischen liegen die Stationen Leipzig-Markt und der Wilhelm-Leuschner-Platz. Insgesamt sind es vier unterirdische und zwei überirdische Stationen. Die Kosten betragen am Ende wohl 960 Millionen Euro. Fast doppelt so viel wie ursprünglich geplant.

Traum oder Trauma einer deutschen Großstadt
Ein Infrastrukturprojekt, das die Leipziger seit fast 100 Jahren immer wieder umtreibt – ob in der Euphorie über visionäre Verkehrsplanung oder in der Empörung über schlechte Ausführung. Der City-Tunnel – Traum oder Trauma einer deutschen Großstadt?

"Mit dem City-Tunnel entsteht jetzt die Möglichkeit, ein völlig neues Verkehrskonzept zu realisieren. Die bisherige S-Bahn, die nach Halle fährt, die Regionalbahnen und Regionalexpresslinien werden jetzt in weiten Teilen umgewandelt in ein echtes S-Bahnnetz. Das gibt Fahrzeitverkürzungen von bis zu 40 Minuten."

Artur Stempel ist der Bezirksbevollmächtigte der Deutschen Bahn für Sachsen. Einer der treibenden Köpfe hinter dem City-Tunnel. Durch die großen Fenster in seinem Büro kann man die Gleise des Leipziger Hauptbahnhofs sehen. Aber Stempel schaut auf eine Landkarte an der Wand - mit vielen bunt schraffierten Strichen: es sind die Eisenbahnverbindungen in der Region.
"Das Ballungszentrum ist die Achse Leipzig – Halle. Dazwischen liegt der Bereich Messe, da liegt der Flughafen Leipzig-Halle. Dann gibt s noch ein weites Einzugsgebiet, das mit dem neuen S-Bahn-System erschlossen wird: Nach Süden sogar bis nach Zwickau. Nach Norden Halle, Bitterfeld. Es kommt eine Zusammenführung zahlreicher Mittelzentren in diesem Großraum Leipzig – Halle."

Bisher müssen alle S-Bahnlinien der Region den Leipziger Hauptbahnhof ansteuern – einen Kopfbahnhof am nördlichen Rand der Innenstadt. Dort können die Reisenden aus- oder umsteigen. Die Züge aus dem Süden müssen in einem riesigen Bogen um die Stadt herumfahren.
Das wird sich ab Mitte Dezember ändern: Dann rollen sechs Nahverkehrslinien durch den City-Tunnel. "Magistrale des 21. Jahrhunderts" wird sie wohlklingend in den bunten Broschüren genannt, darin werben die Betreiber auch damit, dass hier künftig alles schneller gehen wird: Reisende von Altenburg im Süden von Leipzig nach Halle im Nordwesten kommen künftig 21 Minuten schneller durch. Von Eilenburg nach Borna sind es 15 Minuten weniger. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen – nicht nur die Stadt, eine ganze Region soll von den 1,4 Kilometern Tunnel profitieren.

"Der Einzugsbereich ist in einer Größenordnung von 2,5 Millionen Menschen, die hier tätig sind. Der City-Tunnel selbst wird befahren im Fünf-Minuten-Takt, je Richtung pro Stunde also zwölf Nahverkehrszüge. Also insgesamt 24."

Positive Auswirkungen auf die Umwelt
Artur Stempel bleibt mit dem Blick immer noch auf der Eisenbahn-Karte hängen und je länger er spricht, desto mehr gerät er ins Schwärmen über das Projekt, sein Projekt. Er betont neben der Effizienz auch die positiven Auswirkungen auf die Umwelt, die er erwartet.

"Das Entscheidende in so einem fantastischen System ist, dass wir davon ausgehen, das eine Vielzahl von Reisenden umsteigen und jetzt den Nahverkehr nutzen. Wir rechnen natürlich damit, dass wir 42 Millionen PKW-Kilometer pro Jahr einsparen können. Das sind 10.000 Tonnen CO2, eine Tonne Feinstaub. Also das sind auch Wirkungen."

Natürlich steht DB-Mann Artur Stempel hinter dem Projekt City Tunnel. Und er hofft, dass es auf den letzten Metern nicht noch einmal zu einer Verzögerung kommt. Zu viel schlechte Presse gab es schon, zu oft geriet das Projekt in den vergangenen Jahren ins Stocken und wurde dadurch immer teurer.

Eine kleine Chronik der Verspätungen. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) berichtet am 6. September 2000:
Bundesverkehrsminister Reinhard Klimt hat grünes Licht für den Bau des Bahn-Tunnels unter der Leipziger City gegeben. Vorgesehen ist, im Jahr 2001 mit den Arbeiten zu beginnen.

Leipziger Volkszeitung aus dem Jahr, 2001:
Stadträte kritisieren Verzögerung bei Tunnel-Bau. Politiker befürchten Verkehrschaos während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 EU-Fördermittel in Gefahr

Freie Presse Chemnitz, Jahr 2002:
Im September Start für City-Tunnel. Jahrhundertprojekt in Leipzig unter
Zeitdruck - 570 Millionen Euro sind für unterirdische Bahnstrecke kalkuliert.


"Ein gigantisches Vorhaben"
Am 9. Juli 2003 beginnt der Bau des City-Tunnels. Der damalige Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee schwärmt in einem Interview mit dem SWR von dem Projekt, das er maßgeblich mit angeschoben hat:

"Ein gigantisches Vorhaben, das unsere Infrastruktur um zehn, fünfzehn Jahre nach vorn katapultieren wird."

Bei Baubeginn ist die Inbetriebnahme des Tunnels für das Jahr 2009 vorgesehen. Doch es kommt anders: Ende 2005 beginnen die Bauvorbereitungen im Gleisbereich des Hauptbahnhofs, schon ein Jahr später müssen die Arbeiten unterbrochen werden, weil an Nebengebäuden der Station Risse festgestellt werden. Und immer wieder dringt Grundwasser in die Gruben ein, zwingt die Bauherren zu ungewöhnlichen Lösungen - wie Artur Stempel von der DB erklärt:

"Wir haben eine sehr komplizierte Wasserhaltung hier unter dem Hauptbahnhof gehabt. Wir haben hier Lanzen in den Boden getrieben. Dann haben wir das mit Kühlmittel das Wasser praktisch zum Frieren gebracht. Und dann im Eispanzer den Aushub für die Station gemacht. Das ist natürlich kostspielig, aber technologisch notwendig gewesen."

Die Baugrube am Bahnhof ist das eine, das andere: die zwei Röhren, die unter der Innenstadt verlaufen sollen: 2007 und 2008 sind schließlich die entscheidenden Jahre von Leonie – so haben die Leipziger ihre Tunnelbohrmaschine getauft. Der Name sollte wie der Löwe für Stärke stehen. Am 11. Januar 2007 ist Taufzeremonie – doch schon damals gibt es schlechte Vorzeichen.

(Auszug Länderreport 2007)
"Während der Taufzeremonie wollte die von der Taufpatin Angelika Meeth-Milbradt in Bewegung gesetzte Sektflasche zur Besiegelung der Namensvergabe beim ersten Mal nicht platzen und mancher sah darin schon ein böses Omen."

Die speziell für den Leipziger Untergrund gebaute Tunnelbohrmaschine namens Leonie frisst sich unter der Innenstadt hindurch – mit einigen bösen Überraschungen. Denn den Leipziger Untergrund kann man getrost als Flickenteppich bezeichnen: Braunkohleflöze, Sand, Ton. Die Grafik in der Broschüre des City-Tunnels weist insgesamt 11 Bodenarten aus. Der Tunnelvortrieb verzögert sich immer wieder, weil die Bohrmaschine neu eingestellt werden muss:

"Das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass die Untergrundverhältnisse heterogen sind. Und wir mussten mit der Bohrmaschine dann die unterschiedlichen Gesteine durchfahren."

Zehn Jahre wurde gemessen und gebohrt
Am 31. Oktober 2008 endet schließlich der Schildvortrieb des Tunnels mit der Fertigstellung der zweiten Röhre. Insgesamt zehn Jahre, von 2003 bis 2013 wurde gemessen und gebohrt. Durch die lange Bauzeit schnellten auch die Kosten in die Höhe:

Siebert: "Die Gesamtkosten des Projekts belaufen sich auf 960 Millionen Euro, das ist nach unserem Kenntnisstand auch eine endgültige Zahl."

Ursprünglich sollten es mal 570 Millionen Euro sein. Die Ausgaben haben sich damit fast verdoppelt.

"Von diesen 960 Millionen trägt der Freistaat Sachsen knapp 500 Millionen Euro, die Europäische Union fördert das Projekt mit 225 Millionen Euro, und die Bundesrepublik ist mit 208 Millionen Euro dabei."

Isabel Siebert, Sprecherin des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr, vertritt den Freistaat Sachsen als Sprecherin für den City-Tunnel:

"Von der Deutschen Bahn AG gibt es noch mal knapp 18 Millionen Euro und die Stadt Leipzig hat einige Anteile von knapp 7 Millionen Euro, die dem Projekt zu Gute kommen."

Der Großteil der Kostensteigerung bleibt allerdings am Land Sachsen hängen. Grund dafür ist das Vertragswerk aus der Anfangszeit des Tunnels. Ein Bericht des Sächsischen Rechnungshofes aus dem Jahr 2011 kommt zum Schluss, dass das Bauwerk von Anfang an viel zu optimistisch geplant wurde:

"Sachsen wird […] im Fall von Kostensteigerungen überproportional hoch belastet. […] In Anbetracht der Vorteile der Stadt Leipzig durch die Verwirklichung des Projektes ist die Angemessenheit dieser Kostenaufteilung fraglich."

Die Bauherren seien ferner, so der Rechnungshof, von einem "idealisierten Bauablauf" ausgegangen.

Große Demonstrationen blieben beim Vorhaben aus
Doch anders als beim Projekt Stuttgart 21 kochte die Volksseele beim City-Tunnel nicht. Obwohl es zu jeder Phase der Planung bzw. des Baus eine Reihe von Kritikern gab, blieben große Demonstrationen gegen das Vorhaben aus. Wohl auch, weil die Mehrkosten nicht von der Stadt, sondern vom Land zu tragen waren. Zu diffus blieb das Bild vom Ausmaß des Schadens, zu wenig greifbar waren die Auswirkungen.

Einer der schärfsten Kritiker des Projekts ist der Landtagsabgeordnete Volker Külow von der Linkspartei.

"Der Hauptkritikpunkt ist aus unserer Sicht, dass es ein überflüssiges Prestigeobjekt ist. Und dass das frühzeitig absehbar war, dass das mit der ganzen Planung, vor allen Dingen mit den Baukosten mit den in Anschlag gebrachten Zeitraum hinten und vorn nicht stimmen kann. Und leider haben sich unsere schlimmsten Befürchtungen nicht nur bestätigt sondern sind sogar noch übertroffen worden."

Aus seinem Büro im Karl-Liebknecht-Haus heraus führt er seit Jahren einen Kampf gegen das Projekt. Er kritisiert vor allem die Naivität, mit der seiner Ansicht nach viele an das Bauvorhaben herangegangen sind.

"Weil klar war, dass man für 570 Millionen Euro so ein Bauwerk nicht hinbekommt, bekommt. Man hat auch im Bau selbst viele Fehler gemacht. Und im Großen und Ganzen ist es eine endlose Skandalgeschichte."

Er beklagt die Verschwendung von Steuergeldern vor allem deswegen, weil der Freistaat Sachsen zwar an dem Prestigebau fest gehalten, aber die S-Bahn-Strecke nach Leipzig-Grünau aus Kostengründen temporär stillgelegt hat. Das Land Sachsen allerdings widerspricht seiner Darstellung.

Leidtragende sind aber nicht nur die Steuerzahler, sondern auch die Anwohner und Einzelhändler in der Leipziger Innenstadt. Jahrelang war der Leipziger Marktplatz faktisch nicht existent. Optiker Christoph Sieber erinnert sich mit Grauen an die Bauzeit, denn kurz vorher hatte er ein neues Geschäft am Markt bezogen:
"Die Entscheidung, die Fläche dort zu beziehen, war, im ersten Stock die großen Fenster zu genießen. Dass man den Blick haben konnte über den Markt. Aber mit dem Einzug war das nicht mehr möglich, weil ich nur noch Blick in das Bauloch hatte. Und so war das auch vollkommen blickgeschützt für die Passanten."

Der hässliche Holzzaun hat sich dann auch noch zu einer wilden Toilette für die nächtlichen Partygänger entwickelt. Keine gute Voraussetzungen für ihn und seine Kunden – eher ein Albtraum. Mittlerweile ist er in eine ruhigere Ecke der Innenstadt gezogen.

Jetzt, wo der Tunnel da ist, wird er nicht schaden. Aber erhofft sich Optiker Sieber auch mehr Kundschaft, mehr Kaufkraft, die in die Innenstadt strömen soll, wie sie in den Informations-Broschüren immer wieder hervorgehoben wird?

"Ob das jetzt den wahnsinnigen Schub bringen wird, keine Ahnung, weiß ich nicht. Es werden viele Menschen da aussteigen. Aber wir müssen sehen, ob das jetzt neue kaufkräftige Kundschaft ist. Oder ob das nur Leute sind, die einfach einen kürzeren Weg haben dorthin, wo sie eh hingegangen wären."

Wochenmarkt musste Standort verlegen
Ein Markttag in Leipzig – die Sonne scheint, der Duft von Backfisch oder frischem Kuchen zieht über den Platz. Kunden drängen sich mit großen Obst- und Gemüsetüten durch die Gänge zwischen den Ständen.

Die Markthändlerinnen sind erleichtert, dass die Bauzeit endlich vorbei ist. Mehrere Male musste der Leipziger Wochenmarkt wegen des Baus seinen Standort verlegen. Annelore Hahn betreibt hier einen Stand für Gemüse und Obst und ist froh, dass jetzt endlich wieder Ruhe einkehrt

"Wir mussten immer mal dahin und dorthin. Und dann war der komplette Markt gesperrt. Mal da, mal dort."

Der Ausgang der neuen Haltestelle für den City-Tunnel ist fast direkt vor ihrem Stand.

"Wenn er dann mal offen ist, dann erhoffe ich mir, dass noch zahlreiche Kunden mehr aus dem Umland den Markt entdecken und natürlich auch uns."

Die Leipziger, was sagen sie: ist der City-Tunnel – Traum oder Trauma? Große Freude und ebenso große Ablehnung, manchmal auch leiser Spott begegnen einem am Markt und in der Innenstadt:

"Unnütz und viel zu teuer."
"Das ist eine großartige Sache, als Leipziger kann ich das nur begrüßen. Die Verzögerung ist natürlich bedauerlich, das hätte ein bisschen eher sein können. Aber ansonsten freuen wir uns sehr und sind auf die erste Fahrt gespannt."
"Also wenn ich das genau ansehe, dann tut mir das Geld leid. Ob sich das ganze Geld für so wenig Tunnel lohnt."
"Ich finde es gut, dass der jetzt aufmacht, weil dann auch die Verkehrsanbindungen besser werden."

Traum oder Trauma für Leipzig, diese Befragten sind unentschieden. Viele haben sich wohl dazu entschlossen, den Tunnel freundlich zu ignorieren. Zu sehr hat man sich auch an die Bauzäune in der Innenstadt gewöhnt.

Zu teuer, zu lange Bauzeit, es sprechen eigentlich viele Gründe gegen den City-Tunnel. Doch warum wurde er trotzdem gebaut, woher kam der unbedingte Wille zum Tunnel? Sowohl in der rot regierten Stadt Leipzig als auch im schwarz dominierten Land Sachsen?
Tunnel Kritiker Volker Külow hat da seine ganz eigene Theorie:

"Psychologisch steht dahinter, dass man den Aufschwung Ost gewissermaßen herbei infrastrukturieren kann."

Wer die Begeisterung für den City-Tunnel nachvollziehen will, der muss in der Leipziger Stadtgeschichte ein bisschen weiter zurückblättern. Die Idee, einen Tunnel unter der Stadt durchzugraben, die beschäftigt die Leipziger schon lange.
Geboren aus der Tradition
Nicht weit vom Leipziger Bahnhof stehen mehrere gelb angestrichene Baucontainer. Zu einem Info-Center über den City-Tunnel umfunktioniert. Helge-Heinz Heinker kommt öfter hierher, er arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist und hat ein Buch über den Leipziger Hauptbahnhof geschrieben. Schon beim Bau des Leipziger Hauptbahnhofs zwischen 1902 und 1915 gab es die Idee für den Tunnel – geboren aus der Tradition der Messestadt: Die Kaufleute aus der Innenstadt wollten, dass ihre Kunden direkt zu ihnen kommen.

"Und deshalb entstand parallel zum Bau des Leipziger Hauptbahnhofs die Idee, eine Leipziger U-Bahn zu bauen. Das ist sehr konkret geworden, weil sich alle Praktiker gesagt haben, das machen wir gleich zusammen mit dem Hauptbahnhof."

Doch dann begann 1914 der erste Weltkrieg und die Idee wurde verworfen – vorerst.

"Es ist geplant worden in den 1920er Jahren. Da war die Inflation, da war kein Geld dafür da. Es ist in der Nazi-Zeit wieder das Projekt aufgegriffen worden. Da ist dann das Geld in die Kriegsvorbereitung geflossen…"

Die Geschichte des City-Tunnels ist auch eine Geschichte der vergeblichen Anläufe. Die Idee des Tunnels fand in jedem politischen System ihre Befürworter.

"Dann ist zu DDR-Zeiten zwei Mal geplant worden, einmal unterirdisch, einmal Anfang der Sechziger Jahre, da wollte man ganz fortschrittlich sein von der Technik her, als Einschienenbahn. Oberirdisch, mitten durchs Stadtzentrum. Ein Glück, dass das nicht gekommen ist."

Nach der Deutschen Einheit war die Idee sofort wieder da:

"Und da war da der neue Oberbürgermeister und er hat die Idee angetippt. Und sofort war sie wieder abrufbar. Wie so oft in der Leipziger Geschichte. Aufschwung Ost, blühende Landschaften. Da haben sich auch große Hoffnungen gerankt um das Mitteldeutsche Wirtschaftsgebiet zwischen Leipzig und Halle."

Und ja, eine Leipziger Eigenheit kommt – ähnlich wie bei der Bewerbung um die Olympischen Spiele 2012 – auch beim City-Tunnel zum Vorschein.

"Also die Leipziger pflegen einen kontrollierten Größenwahn. Dafür sind sie bekannt und da nehme ich mich als Leipziger auch überhaupt nicht aus."

Ein Blick in die stadtplanerische Zukunft. Der City-Tunnel wird auch nach seiner Eröffnung die Leipziger noch beschäftigen. Weil er ihre Stadt mehr verändern wird, als viele bisher ahnen. Denn durch das Bauvorhaben sind in bester Innenstadtlage – direkt hinter der neuen Station am Bayrischen Bahnhof große Flächen frei geworden. Die nun mit Wohnungen bebaut werden sollen. Reinhard Wölpert, stellvertretender Leiter des Stadtplanungsamtes in Leipzig ist für die Entwicklung des Bayrischen Bahnhofs zuständig.

"Durch den City-Tunnel kann man die Gleise abräumen und dieses Gebiet neu entwickeln. Das sind 50, 60 Hektar, die neu entwickelt werden können. Das ist ein Filetstück."

Ältester Techno-Club fürchtet um Zukunft
Ein Investor sitzt schon in den Startlöchern. Und deswegen sitzen sie an diesem Abend zusammen, der Betreiber des Techno-Clubs Distillery und Vertreter der Stadtratsfraktion der SPD. Die "Tille", wie sie in Leipzig auch gerne genannt wird, ist der älteste Techno-Club Ostdeutschlands und einer der einflussreichsten Veranstalter für diese Musik in ganz Deutschland. Er liegt genau in dem Entwicklungsgebiet. Es geht um die Zukunft des ganzen Areals, der Club fürchtet um seine Zukunft, fürchtet, vom Investor vertrieben zu werden. Steffen Kache kämpft:

"Nur weil es uns erst seit 18 Jahren gibt, heißt das ja nicht, dass…Warum soll es nicht einen Club geben, der mal länger existiert. Und das fand ich in anderen Städten so toll, dass es auch in Wohnstrukturen die Möglichkeit gibt, Musik zu hören, wegzugehen, in Clubs zu gehen."

Ein Technoclub, in einer neuen teuren Wohnlage, das passt nicht mehr, finden einige. Andere wollen den Club unbedingt behalten.

Auch wenn die Baustellen bald abgeräumt sind, und die Züge ab Mitte Dezember wie geplant rollen, ganz zur Ruhe kommt die Stadt noch nicht. Der City-Tunnel wird Leipzig wohl noch die ein oder andere Diskussion bescheren. Und damit bleibt die Frage: Traum oder Trauma?
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