Eine Haushaltshilfe der Grass' erinnert sich

1965 kam Margarethe Amelung in den turbulenten Haushalt der Familie Grass mit vier Kindern. Anlässlich des 80. Geburtstags von Günter Grass sind nun ihre Erinnerungen erschienen. Man erfährt zwar jede Menge Anekdötchen um "den Meister", wie sie ihn nennt. Doch um voyeuristische Neugier zu befriedigen, ist dieses Mädchen viel zu brav.
Im Frühjahr 1965, als sie als Hausmädchen zur Familie Grass kam, war Margarethe Amelung 16 Jahre alt. Sie kam aus einer kinderreichen Pfarrersfamilie und glaubte, damit gut auf die turbulente Familie Grass mit vier kleinen Kindern vorbereitet zu sein. Von dem berühmten Dichter wusste sie nur, was in ihrem Schulbuch stand: dass er als Schullektüre nicht zu empfehlen sei, auch wenn er eine vitale Sprache und reiche Phantasie besitze. Freunde und Verwandte warnten mit "verschwommenen Bedenken" und "Andeutungen von Zweideutigem" vor ihren Berlin-Plänen. Den Eltern war’s egal. Sie ließen die Tochter ziehen, die 14 Monate in der Familie Grass verbrachte.

Günter und Anna Grass wohnten damals in der Niedstraße, in Berlin Friedenau. Ihre nicht besonders ausgeprägt bürgerliche Lebensart irritierte die neue Helferin. Es sei ein Haus "ohne T. T. T.", schrieb sie an ihre Eltern. Das Fehlen von Tischdecken, Tapeten und Teppichen muss das junge Gemüt sehr verstört haben. Unter dem Titel "Fünf Grass‘sche Jahreszeiten" sind die Erinnerungen Margarethe Amelungs nun als Hommage zu Grass‘ 80. Geburtstag erschienen. Geschrieben wurden sie bereits in den 70er Jahren, als die einstige Haushaltshilfe mit ihrer Familie in England lebte und Zeit hatte, das ein Jahrzehnt zuvor Erlebte auf der Basis ihrer Elternbriefe aufzuschreiben. Seither lag das Manuskript in der Schublade, und da hätte es auch gut liegen bleiben können. An Harmlosigkeit ist es kaum zu überbieten.

"Von dem Mädchen, das immer so leicht errötete" heißt das Buch im Untertitel ein wenig märchenhaft, als sei die unbedarfte Erzählerin die Hauptsache. Doch diese Margarethe, die ihre erste Berührung mit Politischem bei einem Juso-Treffen erfährt, zu dem Grass sie mitnimmt, ist so herzensgut wie langweilig. Ihre Schüchternheit, die sie so leicht erröten lässt, ist einer hintergründigeren Weltbetrachtung im Weg. So erinnerte sich Grass noch Jahre später an sie, als sie ihm bei einer Signierstunde wieder gegenübertrat: "Ja, ja, die kleine Margarethe, die immer so schnell errötete."
Von West-Berlin sieht sie außer ein paar Theaterbesuchen und einer andächtig getrunkenen "Berliner Weiße" nicht viel, und beim einzigen Ausflug in den Osten nimmt sie nur graue Fassaden, Eiseskälte und rumpelnde Autobusse wahr. Ihr Ort waren Heim und Herd, das brachte der Job so mit sich. Doch diese Perspektive ist allzu beschränkt. Um voyeuristische Neugier zu befriedigen, ist dieses Mädchen viel zu brav. Die Grass-Kinder waren zwar ziemliche Berserker, aber Grass und mehr noch seine Frau Anna müssen wahre Wunder an Ausgeglichenheit und Freundlichkeit gewesen sein.

Boshaftigkeiten gibt es nicht – sieht man von ein paar schönen Szenen ab, die schildern, wie Grass in der Küche herumfuhrwerkte, ohne sich später um den Abwasch kümmern zu müssen. Denn dafür, und fürs Kartoffelschälen und Zwiebelschneiden, war ja Margarethe da. Andere Anekdötchen zeigen "den Meister", wie sie ihn nennt, als Katzenfänger im Garten oder als Geschichtenerzähler bei Tisch.

Die Küche ist der privilegierte Ort der Begegnungen. Grass muss eine gewisse Lust daran gehabt haben, das Mädchen mit dem Anblick von Kalbsköpfen und Rindermagen zu schockieren, den sie für die Kuttelsuppe kleinschneiden musste. Hirn zu häuten und davon dann auch zu essen, gehörte ebenfalls zu ihren tapfer ertragenen Aufgaben. Die kulinarischen Szenen, die Grass’ Werke prägen, und das Spiel mit dem Ekel scheinen hier allesamt geprobt worden zu sein. Wenn Grass nicht schrieb, dann kochte er.

Auch Uwe Johnson, Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger haben ihre Kurzauftritte als Gäste bei Tisch. Da hätte man dann gerne erfahren, was gesprochen wurde. Aber das war für die gute Margarethe dann doch zu fern. Als Walter Höllerer heiratete, gab es besonders viel zu tun. Grass hatte versprochen, für das Fest zu kochen. Margarethe notiert: "Im Bratrohr brutzelte es von früh bis spät." Vielleicht reicht das für eine Fußnote in irgendeiner Literaturgeschichte.

Rezensiert von Jörg Magenau

Margarethe Amelung: Fünf Grass’sche Jahreszeiten. Von dem Mädchen, das immer so leicht errötete.
Herausgegeben von Manfred E. Berger. LangenMüller, München 2007, 208 Seiten, 14,90 Euro