"Eine große kulturelle Errungenschaft"

Robert Henke im Gespräch mit Susanne Führer |
Auch ohne ein Instrument gelernt zu haben, kann heute jeder am Laptop Musik machen - mit der Software Ableton Live sogar sehr professionell. Talentierte Laien verlieren so ihre Scheu vor dem Komponieren, sagt der Entwickler Robert Henke.
Susanne Führer: Ab morgen ist sie wieder da, die Musikmesse Popkomm. Im vergangenen Jahr war sie ja ausgefallen, so schlecht ging es der Branche. Als Grund wird dann dieses böse Wort genannt – Digitalisierung – und alle denken an die Downloads aus dem Netz. Digitalisierung in der Musik heißt aber noch eine Menge mehr, wie zum Beispiel Ableton Live.

Und einer derjenigen, die das möglich gemacht haben, ist Robert Henke, er ist Mitentwickler des Programms Ableton Live. Schön, dass Sie da sind, Herr Henke!

Robert Henke: Hallo!

Führer: Morgen beginnt ja die Popkomm und dann werden wieder alle über die Digitalisierung der Musikindustrie jammern, weil keine CDs mehr gekauft, also verkauft werden und so weiter, und so weiter. Ihr Programm Ableton Live aber ist ja mal so eine richtige digitale musikalische Erfolgsgeschichte, oder?

Henke: Das kann man so sehen, ja. Das hat vor zehn Jahren angefangen als eine Idee, die etwas anders gestaltet gewesen ist als das, was es damals an Software gegeben hat, und wir haben einfach das gemacht, wovon wir persönlich überzeugt gewesen sind, und haben zu unserem großen Glück feststellen dürfen, dass unsere Ideen bei sehr vielen Leuten auf Resonanz gestoßen sind. Und mittlerweile ist die Firma jetzt über zehn Jahre alt und wir sind mehr als 100 Leute. Und unser Programm ist glaube ich fast marktführend mittlerweile, also jedenfalls in einem bestimmten Segment.

Führer: Herr Henke, als Sie Ihr Programm entwickelt haben, da begann ja, zur selben Zeit begann der Abstieg der Tonträgerindustrie. Gibt es da eigentlich einen tieferen Zusammenhang abgesehen davon, wie gesagt, gut, das Zeitalter der Digitalisierung hat begonnen?

Henke: Ja aber ich glaube, das reicht auch als Zusammenhang. Weil die Tatsache, dass wir in der Lage sind, auf einem Laptop Musik zu machen, dass wir in der Lage sind, diese Musik digital zu vertreiben und all das zu teilen mit anderen Leuten auf digitalem Wege, das sind natürlich genau die gleichen Mechanismen, die technologisch auch dafür verantwortlich sind, dass der Tonträger als solches weniger relevant wird.

Führer: War denn das damals schon die Idee, also das Ziel, wir machen ein Programm, mit dem dann jeder elektronische Musik machen kann? Oder was war eigentlich damals das Ziel?

Henke: Es gab eigentlich zwei Ziele. Das eine Ziel war, wir wollten eine Software machen, die man auf der Bühne benutzen kann, die tatsächlich weggeht von der Computer als Instrument für Studiotechniker hin zu der Computer ist ein Instrument für Musiker. Das …

Führer: … also auf der Bühne in einem Live-Konzert?

Henke: Auf der Bühne in einem Live-Konzert in einer Live-Situation, deshalb auch der Name Live. Die Idee war ganz klar, wir wollen weg von der kompliziert zu bedienenden Studio-Software hin zu etwas Einfachem. Und die Einfachheit hat zwei wesentliche Aspekte: Der eine ist, dass man in einer Live-Situation relativ schnell Entscheidungen treffen kann, was extrem wichtig ist und was dem Kreativitätsprozess auch sehr förderlich ist; und das zweite ist natürlich, dass die Einfachheit es auch neuen sagen wir Konsumentenschichten ermöglicht, Musik selber zu machen, die vorher sich Musiksoftware angeguckt haben und gesagt haben, das begreife ich nie.

Führer: Ja, oder es ist auch viel zu teuer. War es ja früher auch.

Henke: Das ist natürlich noch mal eine ganz andere Geschichte. Also als ich angefangen habe elektronische Musik zu machen, hätte das, was ich heute in meinem Laptop mit mir rumschleppe, wahrscheinlich eine Million gekostet. Das ist natürlich absurd, wie sich das verändert hat.

Führer: Tobi Müller hat es ja gerade erklärt in dem Stück: Das Programm Ableton Live ersetzt ganze Studiokomplexe. Also Sie haben gerade gesagt, man kann es auf der Bühne einsetzen, aber heißt das: Mal angenommen, ich hab jetzt keine Musikgruppe – ich brauche eigentlich weder Instrumente noch Mikros, noch Musiker und kann damit trotzdem dann Songs oder Symphonien bauen?

Henke: Ja. Zum Erzeugen von Musik braucht man ja eigentlich hauptsächlich zwei Teilaspekte. Das eine ist, man braucht Klänge, und man braucht etwas, was Struktur erzeugen kann oder was es einem selber erlaubt Struktur zu erzeugen, also was das Äquivalent einer Partitur darstellt. Und beides ist mit Software natürlich perfekt machbar.

Führer: Es hat ja schon immer große Musiker gegeben vor allem im Jazz, also die zum Beispiel keine Notenkenntnisse hatten. Aber dass man nicht mal ein Instrument beherrscht, das ist ja schon eine Revolution.

Henke: Wobei das natürlich so eine fragwürdige Geschichte ist. Die Software zu beherrschen ist für mich auch eine Art, ein Instrument zu beherrschen. Das ist so ähnlich wie mit einem Stift. Ein Stift ist ein sehr einfaches Instrument, aber um mit einem Stift ein schönes Bild zu malen oder einen guten Text zu schreiben, braucht es dann doch Erfahrung. Und die Software ist in dieser Hinsicht sehr ähnlich.

Eine ideale Software ist ein sehr einfaches Werkzeug, das heißt aber noch lange nicht, dass man damit komplexe Dinge aus dem Ärmel schütteln kann. Vielleicht ein anderer guter Vergleich ist Fotografie: Also eine Kamera ist ja auch nichts Komplexes und trotzdem braucht es sehr viel Übung und Zeit, bis man damit Dinge macht, die eigenständig sind.

Führer: Ja aber der Vergleich geht ja vielleicht noch weiter. Also denn die digitale Fototechnik hat ja dafür gesorgt, dass jetzt wirklich alle fotografieren – ob sie es "können" oder nicht, in Anführungszeichen –, auch die, die kein Geld haben für eine teure, großartige Spiegelreflexausrüstung, alle fotografieren. Denn jetzt kann es ja jeder und jetzt können alle irgendwie Songs machen, ob sie nun von Musik Ahnung haben oder nicht.

Henke: Ja. Also ich ziehe diesen Vergleich genau so. Und ich halte das für eine große kulturelle Errungenschaft. Also wenn wir bei dem Fotografievergleich bleiben: Ich selber hab früher eine Spiegelreflexkamera gehabt und war mit meinen Ergebnissen nie zufrieden, weil ich hab mir bei jedem Foto überlegt, oh Gott, jetzt kostet das an 50 Pfennig für den Abzug. Und ich war vollkommen gehemmt. Und seitdem ich eine digitale Kamera hab, mache ich wunderbare Fotos – glaube ich jedenfalls –, weil ich diese Hemmschwelle nicht mehr hab, Dinge auszuprobieren. Ich kann ja auch 30 Fotos machen; wenn die nichts werden, dann lösch ich sie halt wieder.

Und das Gleiche empfinde ich beim Arbeiten am Computer. Jemand, der keine formelle musikalische Ausbildung hat, wird sich vielleicht überlegen, ob er sich jetzt wirklich ein Cello anschafft; aber sich jetzt ein Computerprogramm runterzuladen und einfach mal probieren, was passiert, diese Hemmschwelle ist viel geringer. Also man lernt Hören zum Beispiel ganz zwangsläufig. Weil wenn man versucht, den Ton zu treffen, dann muss man ihn ja auch hören, sonst kann man ihn ja nicht treffen.

Und das Gleiche gilt aber dann wiederum fürs Arbeiten am Computer auch. Also wenn man wochenlang versucht, eine bestimmte Klangvorstellung zu erzielen, dann ist das auch eine Schule des Hörens, und das ist die Grundvoraussetzung zum Komponieren. Also wenn man nicht hinhören kann, dann kann man auch nicht komponieren. Insofern glaube ich ist Virtuosität als Selbstzweck überschätzt. Virtuosität ist ein Mittel zum Zweck, um Hören zu lernen, oder das Erlernen von Virtuosität ist ein Mittel zum Zweck.

Führer: Noch mal zurück zu diesem Vergleich auch mit der Fotografie, also jeder kann jetzt fotografieren oder mit diesem Computerprogramm, mit Ihrem oder auch mit anderen, Musik machen. Man kann ja positiv sozusagen von einer Demokratisierung der Produktionsmittel sprechen, fast von einer Sozialisierung der Produktionsmittel, man muss trotzdem immer noch ein bisschen Geld hinlegen. Man kann natürlich auch andererseits sagen, ja mein Gott, jetzt beginnt die Überschwemmung mit dieser mittelmäßigen Massenware.

Henke: Das ist ein Thema, das auch an uns also jetzt als Firma Ableton immer mal wieder herangetragen wird oder was so in abendlichen Diskussionen auftaucht. Aber ich hab die Tendenz zu glauben, dass das eigentlich gut ist. Weil wenn sehr, sehr viele Menschen Musik machen können, dann ist natürlich die Gefahr dabei, dass viele Leute Musik machen, die uninspiriert ist; gleichzeitig ist aber auch eine große Chance darin, dass Menschen anfangen Musik zu machen, die sehr, sehr begabt sind und die das selber aber erst viel später merken.

Also es gibt ja solche Leute, die nicht sehr von sich selber überzeugt sind und die nie und nimmer auf die Idee kämen, jetzt ein klassisches Instrument lernen zu wollen, weil ihre Umwelt zum Beispiel sagt, in unserer Familie war nie jemand musikalisch, warum solltest denn du jetzt musikalisch sein. Dass so jemand aber so nach Feierabend entdecken kann, dass er am Computer Spaß hat, und daraus dann plötzlich eine Musikerkarriere baut, das ist ja durchaus ein gängiger Weg zurzeit.

Führer: Sie machen ja noch einiges mehr. Unter anderem machen Sie auch noch Vinylpressungen. Da hab ich mich gefragt, warum das denn?

Henke: Ich mag Schallplatte, weil eine Schallplatte einen sehr spezifischen Klang hat. Also die Diskussion, ob Schallplatte jetzt besser klingt als digital, die brauchen wir nicht führen, weil messtechnisch ist es Unsinn, und das kann man auch ganz einfach nachweisen, und jeder, der was anderes erzählt, hat keine Ahnung. Aber rein subjektiv ist es sehr schön, was die Schallplatte macht. Also ich kann 500 Gigabytes MP3 irgendwo rumliegen haben und die laufen halt so nebenbei ab, aber eine Schallplatte hören bedeutet, ich muss ein mechanisches Artefakt auf einen Schallplattenspieler legen und muss den Tonarm aufsetzen, und nach spätestens 25 Minuten muss ich wieder was aktiv tun. Und das hat eine Komponente, die sozusagen eine gewisse Wertschätzung auch impliziert. Und ich glaube nicht, dass das aussterben wird.