Eine Geschichte über Liebe, Lust und Zweifel

Von Jörg Taszman · 12.06.2006
Im Orginal heißt der Film von Jean Marie und Arnaud Larrieu "Peindre ou faire l’amour", also "Malen oder Liebe machen". In Deutschland wird diese leichte französische Sommerkomödie mit märchenhaft, utopischen Zügen unter dem Titel "Malen oder Lieben" in die Kinos kommen und trotz des Fußballfiebers sicherlich ihr Publikum finden.
William und Madeleine sind ein Paar Mitte 50. Die Tochter ist bereits aus dem Haus und William ein ehemaliger Meteorologe befindet sich schon im Vorruhestand. Seine Frau Madeleine leitet eine Malerfirma. Privat stellt sie sich gerne in die Natur und malt Landschaften. Dabei trifft sie auf einen blinden Bürgermeister, der ihr von einem leeren Landhaus erzählt. Das Haus wird gekauft, das ältere Paar freundet sich mit dem Bürgermeister Adam und dessen Frau Eva an. Bis aus der Freundschaft mehr wird, eines Nachts verbringen Adam und Madeleine und Eva und William die Nacht miteinander… Mit leichter Hand erzählen die Brüder Jean Marie und Arnaud Larrieu ihre Geschichte über Liebe, Lust und Zweifel. Bei ihnen folgt auf die Liebe zu viert nicht die Strafe auf dem Fuße. Es geht um das sich Ineinander-Verlieben, und das nicht bei einer Generation von Jugendlichen. Genau das gefiel der 35-jährigen Amira Casar, die Eva spielt, besonders.

"Was ich an diesem Drehbuch besonders liebte, war, dass sich die Figuren wie Jugendliche benehmen. Sie drücken das Alltägliche so gut aus, das was das Leben so ausmacht. Sie leben sehr einfach und pur, wie Jugendliche, so wie in den Sixties. Das mag heute abstrakt erscheinen, aber ich denke, es gibt auch heute noch sehr viele Menschen auf der Welt, die ein einfaches, reines Leben bevorzugen würden, die genug haben vom Materialismus und dem Konsum. Da sind eine Suche und eine Notwendigkeit nach Idealen, ohne die man nicht leben kann. Was ich so mag an diesem Film ist es, einfach nur für den Moment, für die Gegenwart zu leben und anzunehmen, was einem der Moment anbietet."

Ausgedacht haben sich diese Geschichte die Brüder Arnaud und Jean Marie und Larrieu, Jahrgang 1965 und 1966. Beide stammen aus Lourdes in den Pyrenäen und zeigen ganz bewusst eine gewisse soziale Klasse von gut situierten Kleinbürgern. Sie wissen genau, über wen sie reden und interessieren sich für ein Paar, das, nachdem die Tochter aus dem Haus ist, wieder Zeit hat füreinander. Zeit für die Liebe und Zeit zum Malen. Was stimmt eventuell an dem Klischee, die Franzosen hätten eine andere Einstellung oder einen offeneren Umgang mit der Liebe? Jean Marie, der jüngere Bruder, antwortet.

"Das erinnert mich daran, als wir in Japan waren, sagte uns bei einem Publikumsgespräch ein Japaner: Wir sind eine sehr prüde Gesellschaft und was den Umgang mit Sex anginge, sei Frankreich ja viel offener. Wir antworteten ihm, dass wir im Gegenteil ganz andere Phantasien hatten, wenn es um die Rolle der Erotik in Japan ginge. Gerade was die Illustrationen betrifft. Dagegen empfanden wir den Umgang mit Erotik in Frankreich als eher fantasielos. So hat wohl jede Gesellschaft, ganz andere Vorstellungen über die Rolle der Erotik beim Anderen. Das ist doch eigentlich ein gutes Zeichen.
Dann gibt es auch etwas bei uns, was nicht so ganz Französisch ist. Franzosen reden ja so gerne 'darüber' genauso wie sie gerne über das Essen reden. In unserem Film wird nie über Liebe oder Sex geredet. In dem Augenblick, wo unsere Figuren über Sex reden müssten, unterhalten sie sich über die Malerei. Das ist nicht sehr Französisch."

Das Verhalten der Brüder beim Interview ist interessant. Meist antwortet Jean Marie zuerst, der nur ein Jahr jüngere. Dann meldet sich Arnaud. Jean Marie ergänzt und Arnaud hat noch einmal das letzte Wort. So erhält man auf eine Frage meist gleich vier Antworten. Natürlich werden die beiden immer wieder gefragt, warum sie zusammen arbeiten. Der kräftigere, stämmige Arnaud steht beispielsweise immer hinter der Kamera, während sein Bruder Jean Marie direkten Kontakt zu den Schauspielern hält. Was die beiden interessiert, ist der Zweifel, die Dualität der Dinge. So könnte ihr Film ebenso Märchen, Utopie aber auch Thriller sein. Es sei praktisch, nicht immer nur eine Meinung zu haben und zusammen für dramaturgische und filmische Probleme Lösungen zu finden, meinen sie. Brüder als Regisseure sind selten im Kino, aber andere Bruderpaare wie die Tavianis aus Italien oder die Dardennes aus Belgien arbeiten auch sehr erfolgreich. Vor einem Jahr standen die Dardennes wie die Larrieus beide im Wettbewerb von Cannes. Die goldene Palme erhielten die belgischen Brüder Dardennes. Kennt man sich untereinander, tauscht man sich aus? Wieder antwortet zunächst Jean Marie, überlässt seinem Bruder aber das Schlusswort.

"Die Dardennes sind uns schon über den Weg gelaufen. Aber ein quasi-intimes Gespräch unter Brüdern fand nicht statt. Über unsere ganz eigenen Rezepte Regie zu führen, redeten wir nicht. Aber es war seltsam, zwei Brüder so zusammen zu sehen. Das irritierte uns. Und die Dardennes begegneten uns einmal beim Radio und sie wirkten so seriös. Wir feiern ja noch bis vier Uhr morgens, sie nicht. Was beweist, zwei Bruderpaare ergeben noch nicht dasselbe."

In Frankreich haben die Larrieus mit ihrem zweiten Film "Malen oder Lieben" beim Publikum mit 700.000 Zuschauern einen Erfolg gelandet und die Kritik entzweit. "Le Monde" feierte den süßen Hedonismus, die Cineasten von "Les Cahiers du cinéma" lobten die theoretische Absicht, meinten aber praktisch sei der Film nur eine weitere französische Sittenkomödie. Auffallend ist, dass im Unterschied zu einem Chabrol oder anderen Regisseuren das Kleinbürgertum nicht boshaft, ironisch dargestellt wird, sondern eher liebe- und verständnisvoll.