Eine geistige Verbundenheit

Rezensiert von Michaele Gericke |
Das Musée Picasso in Paris widmete sich vor kurzem mit einer umfangreichen Ausstellung der Frage nach dem Einfluss Picassos auf Bacon. Begleitet wurde die Ausstellung durch einen umfangreichen Katalog, der nun auch auf Deutsch erschienen ist: "Bacon Picasso - Das Leben der Bilder".
London, im Juli 1980: Francis Bacon steht in seinem Atelier, vor nackter Wand, zwischen Bett und Bücherregal. Eine Hand hält mitten im Raum den Schalter einer hellen Glühbirne, die von der Decke herabhängt. Die andere liegt auf einem Regalbrett. Ein einziges Buch ragt aus dem Regal heraus. Nur die drei Buchstaben "PIC" sind zu erkennen; der vollständige Titel lautet "Picasso Vivo".

Diese Momentaufnahme in Schwarz-Weiß, – vom Künstlerfreund Barry Joule – ist als Cover für das Katalog- und Essay-Buch "Bacon Picasso" symbolisch; Pablo Picasso das herausragende Vorbild für Francis Bacon. Wie stark er sich von Picasso beeinflussen ließ, wird in mehreren Kapiteln und Lebensabschnitten des irischen Malers auf über 200 Seiten dargelegt. Welche Kraft Bilder haben können, entdeckte er Ende der 20er Jahre in der Pariser Galerie Rosenberg:

"Dort habe ich erfasst, welche Möglichkeiten der Realität es in der Malerei gibt. Picasso! Picassos Werke der Jahre 1926 - 1930. Sie hatten mir einen Schock versetzt und in mir den Wunsch geweckt, Maler zu werden. "

Mit vielen anderen, ähnlichen Zitaten will Anne Baldessari, Konservatorin am Musée Picasso und Autorin des Buches, die Nähe Bacons zu Picasso belegen.
Da ist zum Beispiel Picassos Bild "Badende vor der Kabine": Eine aus wenigen Linien skizzierte Figur streckt ihren Arm aus, um eine Strandkabine zu öffnen.

Oliver Berggruen: "Es ist ein kleines Gemälde und was wirklich Bacon interessierte, ist dieser große Schlüssel – der Schlüssel ist überdimensional und sie versucht, diese Tür zu öffnen, und für Bacon wurde dieses kleine Gemälde von Picasso wie eine Art von Talisman."

Olivier Berggruen, Kunsthistoriker und Sohn des Picasso-Sammlers Heinz Berggruen, hatte dieses Bild bereits für die Ausstellung "Bacon und die Traditionalisten" ausgesucht, die vor zwei Jahren in Wien und Basel zu sehen war. Auch in dem aktuellen Buch ist es wieder zu finden, als Beispiel für das Herantasten an surreale Bildwelten, die beide Künstler verbindet. Francis Bacon sieht in der zu öffnenden Strandkabine das Tor zur neuen Bildgestaltung. Picasso will in dieser Zeit mit wenigen Linien Dinge in Bewegung bringen. Das fasziniert auch Bacon, dem es vor allem um innere Bewegung geht.

Gefühlswelten wie Melancholie, Ängste, Aggressionen stellt Bacon Jahrzehnte später mit seinen disproportionierten Porträts dar. Als Spiegel des "Ich". Auch Picasso hatte immer wieder groteske, verzerrte Gesichter als Symbole für Leid, Zerstörung und Krieg gemalt. Manche seiner Bilder entstanden dabei in Anlehnung an Maler der Vergangenheit wie Diego Velázquez; den Bacon ebenfalls verehrte.

Olivier Berggruen: "Bacon war ja sehr, sehr, sehr an Kunst der Vergangenheit interessiert, es gibt sehr viele Quellen, von der Technik gesehen, er hat sich immer wieder für Kunst von El Greco und Velázquez bis zu Giacometti und Picasso interessiert und ich spreche jetzt gar nicht von Ingres und Goya und Degas - immer wieder taucht das auf."

Einer der bedeutenden, alten Meister für Bacon war auch Matthias Grünewald mit seiner "Kreuzigung" aus den Jahren 1512 - 1516. Sowohl Picasso als auch Bacon, wurden jedoch bei dem Versuch, das Werk durch eigene Bilder zu interpretieren, "zu etwas ganz anderem hingeführt", wie es im Katalog heißt. 1944, im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs, malt Bacon seine "Drei Studien zu Figuren am Fuß einer Kreuzigung": ein Triptychon, das nach eigenen Worten sein erstes Gemälde darstellt. Für Anne Baldessari, Autorin des Kataloges, steht es am Ende von Bacons "Picasso"-Periode. Immer wieder verdeutlicht sie darin seine geistige Verbundenheit mit dem Künstlerkollegen. Eine reale Begegnung habe es nie gegeben, so die Autorin.

Olivier Berggruen bezweifelt dies zwar, aber Sicherheit über ein Zusammentreffen gebe es keine. Am Ende des umfangreichen, komplexen Bandes - der mit vielen Zitaten, Fußnoten und Bildverweisen beinah ein wissenschaftliches Werk ist - stellt sich dem Leser allerdings die Frage: in welcher Weise umgekehrt Picasso seinen "Malerschüler im Geiste" wahrgenommen haben mag. Die Enkelin Picassos, Diana Widmaier Picasso, die soeben ihre Forschungen über "Picasso und die Erotik" in einem Bildband veröffentlicht hat, glaubt:

Diana Widmaier Picasso: "Picasso hatte Respekt vor jedem, der sein Talent zeigte und in der Lage war, sich auszudrücken - in tiefer und ehrlicher Weise. Ich bin sicher, er könnte schließlich sogar einige seiner Werke gemocht haben."

Anne Baldessari: Bacon Picasso - Das Leben der Bilder
Erschienen nach der Ausstellung im Musée Picasso, Paris
Flammarion
49, 90 Euro