Eine Gegnerin für den Höllenhund

Von Stefan Keim · 22.09.2012
Shakespeares "König Richard III." ist ein Soziopath und Serienkiller, der nur Hass und Zerstörungswut kennt. Roger Vontobel wollte ergründen, warum dieser Mensch so geworden ist, und inszenierte auch die Vorgeschichte, die Shakespeare ebenfalls dramatisiert hat.
Ein klug gekürzter, dennoch vierstündiger Theaterabend mit hervorragenden Schauspielern. Richard hämmert auf sein Schlagzeug ein. Die lauten, aggressiven Rhythmen sind sein Rückzugsort, wenn man ihn mal wieder jemand verflucht hat. Ändern wird er sich nie. Paul Herwig ist Richard III. Er sieht, wie der kompromissbereite König Heinrich VI. entmachtet wird und zieht daraus den Schluss, dass Politik in Zeitungen blutiger Bürgerkriege starke Führung braucht. Richard erlebt, wie im Kampf seiner Familie, der Yorks mit den Lancasters Angehörige ermordet werden. Er ist kein Dämon, der aus dem Nichts über das unschuldige England kommt, sondern ein Produkt seiner Gesellschaft. Einen Buckel hat er nicht. Seine Deformation befindet sich im Inneren. Es ist seine Unfähigkeit, Gefühle für andere zu entwickeln. Für Richard gibt es nur Richard. Er mordet sich auf den Thron, kann aber mit der Macht gar nichts anfangen. Als er König ist, lässt er noch ein bisschen morden, dann sackt er zusammen.

Durch die Kombination der beiden Königsdramen erwächst eine Gegenerin für Richard. Margaret, die vom Ehrgeiz zerfressene Gattin Heinrichs VI., kommt in "Richard III." nur am Rande vor, mit einem fulminanten Fluch. Nun ist sie nach Verlust von Mann, Sohn und Thron eine Guerillakriegerin, die trotz Verbannung immer um die Machtzentrale herumschleicht, intrigiert und einmal wild die Bühne stürmt. Jana Schulz, die Amazone unter den Schauspielerinnen, verkörpert Margaret mit messerscharfen Sätzen und körperlicher Wucht. Zwischen den beiden Kraftzentren Schulz und Herwig bewegt sich die hinreißende Jutta Wachowiak als Richards Mutter. Eine kluge Frau, die das Grauen erkennt und nichts verhindern kann. Wie sie mühsam die Kontrolle über die wilden Wellen von Wut und Verzweiflung bewahrt und am Schluss den Mutterfluch auf Richard mit schmerzhafter KIarheit spricht, ist ganz großes Theater.

Vontobel liebt die großen Bögen. Wie er schon in den Bochumer "Labdakiden" eine Familiengeschichte von "Ödipus" bis "Antigone" auf die Bühne brachte, interessiert er sich auch hier für psychologische und gesellschaftliche Entwicklungen. Roland Riebeling trägt als Heinrich VI. noch ein historisierendes Kostüm, und die Vorbühne sieht genau so aus wie der Zuschauerraum des Bochumer Schauspielhauses.

Dann öffnet sich der Vorhang. Nach der Machtübernahme der Yorks tritt scheinbar Frieden ein, und der Festsaal mit Holzwänden und leicht muffigen Sesseln erinnert an die bundesdeutsche Nachkriegszeit. Bühnenbildnerin Magda Willi vermittelt ein bisschen Anna-Viebrock-Feeling. Was draußen passiert - Morde, geheime Gespräche, Kerkerszenen - wird per Video an die Wände geworfen. Vontobel bedient sich seiner gewohnten Mittel, die er souverän beherrscht und in den Dienst der komplexen Handlung stellt. Denn auch wenn gegenüber Shakespeares Text einige Nebenfiguren gestrichen wurden, ist es immer noch viel Stoff. Man merkt deutlich, dass Shakespeare im "Heinrich VI." noch am Anfang seiner Autorenkarriere stand. Das Stück ist eine irre, fast schon trashige Anhäufung von Gewaltszenen, die Charakterzeichnungen sind noch nicht ausgefeilt.

Das ändert sich im viel gespielten "Richard". Lady Anne wird zwar nun nicht mehr direkt am Grab ihres Mannes verführt, sondern im dauerpräsenten Festsaal. Der Provokationskraft dieser Szene - von Paul Herwig und Xenia Snagowski voll rätselhafter Zwischentöne gespielt - tut das keinen Abbruch. Am Ende gleitet die Aufführung immer weiter in Richards Kopf hinein. Die Geister seiner Opfer erscheinen mit unheimlich ausdruckslosen Gesichtern und ziehen ihn zu sich hinunter wie eine Gruppe Zombies. Ob da wirklich eine Armee gegen ihn aufmarschiert oder sich seine pathologische Zerstörungslust gegen den eigenen Geist gerichtet hat, ist da gar nicht mehr wichtig. Dass nun Margaret die obligatorische Schlussrede hält und ein besseres Leben für alle verspricht, ist kaum ein Zeichen der Hoffnung. Vor allem nicht, weil in ihrer Schläfe eine blutende Schusswunde klafft.

Schauspielhaus Bochum