"Eine Frage des Gewissens"

Von Bernd Sobolla |
Manchmal stehen Polizisten vor der Gewissensfrage, ob sie Gesetze übertreten sollen, um Unschuldige zu retten. So geschehen vor zwei Jahren im Entführungsfall Jakob Metzler, als der damalige Frankfurter Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner dem Entführer Gewalt angedrohte, wenn er nicht das Versteck des Jungen verraten würde. Diesen Fall hat der Filmemacher Thomas Bohn als Ausgangspunkt für seinen Spielfilm "Eine Frage des Gewissens" gemacht, der am Mittwochabend im Ersten Programm um 20.15 Uhr gezeigt wird.
Szene aus "Eine Frage des Gewissens":
"Sie sind der Halter des roten VW-Busses mit dem amtlichen Kennzeichen Hamburg PM 2824, mit dem heute Mittag die Grundschülerin Miriam Stettner entführt worden ist. Dafür gibt es Zeugen, Herr Klöppel. Das ist ein Kind. … Sie wissen, wo Miriam ist, nicht wahr? Hey, sie wurden was gefragt! Miriam ist gerade mal sieben Jahre alt - sieben Jahre!"

Schlimmer noch: Das entführte Mädchen ist zuckerkrank. Und wenn Miriam nicht innerhalb von fünf Stunden ihre Medikamente bekommt, muss sie sterben. Der Druck, herauszubekommen, wo das Mädchen versteckt wird, ist also enorm. Und irgendwann schickt Hauptkommissar Martin Belz, gespielt von Christian Berkel, seinen Kollegen vor die Tür.
Szene aus "Eine Frage des Gewissens":
"Herr Klöppel, ich gebe ihnen jetzt noch eine letzte Chance. Und wenn sie mir dann nicht sagen, wo Miriam steckt, dann breche ich ihnen alle Knochen".
"Das ist doch ein mieser Bullentrick. Das darfst du gar nicht!"
(Schreie)
"Hör auf! Ich sag es ja."
"Nein, erst sagst du es, dann höre ich auf."
"So ein Zugwagon, hinten am Schuppen 22."

Natürlich hat sich Christian Berkel für seine Rolle ausgiebig vorbereitet, hat die Entführung von Jakob Metzler studiert und mit diversen Polizisten gesprochen. Aber die Gewaltszene war noch etwas ganz anderes für ihn:

"Einfach durch die Tatsache, dass ich selber Kinder habe, musste ich mich nicht stimulieren. Das ist ein irrsinniger Konflikt, wenn man sich das vorstellt, dass das Leben eines Kindes auf dem Spiel steht. Und wenn man sich vorstellt, es wäre das eigene Kind, das wäre wahrscheinlich überhaupt nicht zu ertragen."

Was die Verhörmethoden betrifft, so gibt es durchaus auch eine gewisse Grauzone: Die Dauer von Verhören ist nicht festgehalten, das Vorspielen falscher Tatsachen, also was z.B. Komplizen angeblich ausgesagt haben, ist durchaus üblich. Und natürlich können die Haftbedingungen erschwert werden. Schalldichte Zellen, wie es sie in den 70er Jahren bei Terroristen gab, wirken sich auf die Psyche aus, ebenso wie grelles Licht. Aber spätestens wenn Gewalt angedroht wird oder es gar handgreiflich wird, ist diese Grauzone überschritten.

Szene aus "Eine Frage des Gewissens":
"Gratuliere zur Befreiung von Miriam Stettner, Martin!"
"Danke!"
"Kennst du den Paragraphen 343 Strafgesetzbuch?"
"Aussageerpressung".
"Das Verbot von Aussageerpressung."
" Ja."
"Und den Paragraph 340?"
"Körperverletzung."
"Körperverletzung im Amt: Genauer: Körperverletzung durch einen Polizeibeamten während einer Amtshandlung. Das heißt in einem Wort: Folter."
"Folter? Sag mal, spinnst du?"

Im Film, so will es das Drehbuch, sind der Angeklagte bzw. sein Bruder zumindest schuldig. Und für seine Entscheidung feiern ihn die Massenblätter. Und nicht nur die.

Szene aus "Eine Frage des Gewissens":
"So, drei Wasser, zwei Pommes."
"Ja."
"Sie sind doch der aus der Zeitung. Hier. Sie haben dem Vergewaltiger den Arm gebrochen und das Mädchen gerettet".
"Den Arm habe ich ihm nicht gebrochen und… "
"Hören Sie, das ist doch scheißegal! Sie haben diese Ratte zum Sprechen gebracht. Und zwar in der einzigen Sprache, die diese Typen verstehen. Für mich sind sie ein Held. Ein richtiger Held."

Zu einem Held stilisiert wurde auch der ehemalige Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner, der dem Entführer von Jakob Metzler nicht im Fernsehen, sondern im wirklichen Leben Gewalt angedroht hatte. Daschner wurde dafür zu einer Geldstrafe von 9.000 Euro verurteilt. Allerdings hielten viele Juristen dieses Urteil für viel zu milde. Insbesondere, da Daschner sein Verhalten auch im Nachhinein für rechtsmäßig erklärte. Und Christoph Gusy, Professor für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, hält es schlicht für einen Katastrophe:

"Im Frankfurter Fall haben die Beamten, die mit der Sache befasst waren, andere Möglichkeiten gesehen, den Beschuldigten zum Reden zu bringen. Zum Beispiel die Möglichkeit, den Beschuldigten mit einer Ex-Freundin zu konfrontieren, die ihrerseits hier glaubte, ihn zum Reden bringen zu können. … Darauf ist z.B. ihr Vorgesetzter Daschner überhaupt nicht eingegangen. Anders ausgerückt: Im Frankfurter Prozess gegen Daschner kam heraus, dass sein Verhalten nicht nur falsch, sondern zu allem Überfluss voreilig und überstürzt war."

Aber differenzierte Blicke dieser Art sind für die Volksseele leider zweitrangig. Dem Film hingegen gelingt dies sehr gut. Was auch Martin Textor, ein ehemaliger Polizeispezialist für Geiselnahmen und Terrorismus bestätigt.
"Also das war ein Spielfilm, aber der Kerngehalt dessen, dass ein Polizist in Situationen kommt, wo er sich sozusagen gegen das Gesetz entscheiden muss, das fand ich unheimlich realistisch. Und ich habe selbst vor vielen Situationen gestanden, die nicht ganz so brisant waren, aber immerhin in die Richtung kamen. Zum Beispiel: Erschießen wir einen Straftäter oder nicht?"

"Eine Frage des Gewissens" ist ein spannender Film, der atmosphärisch streng gehalten ist, mit präzisen Dialogen und viel Raum für die Darsteller, ihre Emotionen auch in kleinen Gesten zu zeigen: Entscheidungsdrang und Durchsetzungsvermögen einerseits, Misstrauen, Unsicherheit und Scheu andererseits. Nur die Liebesgeschichte wirkt wie eine Verneigung vor der Zuschauerquote. Aber das überspielt Christian Berkel souverän und schlussfolgert über die Frage von Gewalt:

"Es bleibt einfach ein Dilemma bestehen. Also intellektuell ist es relativ leicht, eine klare Position zu beziehen. Emotional ist es sehr, sehr schwer. Und das ist das, was wir versucht haben, mit dem Film zu zeigen. Nicht: Was ist richtig? Und was ist falsch? Sondern wie geht man mit dem Falschen richtig um?"