"Eine Flamme, die sich allzu schnell verzehrte"
Hugo Distler war ein Komponist, dessen Schaffenskunst auch seine negativen Seiten hatte. Seine besondere Energiegeladenheit brachte den Kirchenmusiker, der vor hundert Jahren geboren wurde, ständig an die Grenze der Überforderung. Am Ende beging er Selbstmord.
Eine "neue" Tonsprache zu finden für die evangelische Kirchenmusik, darin suchte und fand Hugo Distler seine Bestimmung. Begonnen hat alles im Jahr 1930, damals war er Student am renommierten Leipziger Konservatorium, der heutigen Musikhochschule. Am Beginn des Studiums hatte er noch die Laufbahn eines Orchesterdirigenten angestrebt, doch dann machte ihn sein Tonsatzlehrer Hermann Grabner auf die Werke von Heinrich Schütz, aufmerksam, des größten deutschen Komponisten vor Johann Sebastian Bach...
Die Art und Weise wie Heinrich Schütz den Gehalt des Bibelworts durch die Vertonung noch stärker zum Tragen bringt, sie faszinierte den jungen Hugo Distler so sehr, dass er bald selbst aus diesem Geist heraus zu komponieren begann. Doch das Berufziel "Komponist" schien für ihn zunächst unerreichbar, als mittelloser Organist ging er an die Kirche St. Jakobi in Lübeck.
"Das hatte was vom armen Poeten","
sagt Arndt Schnoor, Kustos des Lübecker Hugo-Distler-Archivs und einer der profundesten Kenner von Leben und Werk des Komponisten.
""Er hat in Leipzig ja keinen Abschluss gemacht, er wurde vom Thomasorganisten Günter Ramin, der sein Orgellehrer war, hergeschickt, weil er in finanzieller Not war, so hat man ihm die Stelle hier vermittelt."
"Er kam ja ganz verhungert hier an, hatte gar nix","
erinnert sich Franziska Braeck, mit 91 Jahren die letzte noch lebende Orgelschülerin von Hugo Distler:
""Er musste erstmal untergebracht werden. Da gab es einen Rat, der hatte eine kleine Dachkammer frei, da konnte er ers mal wohnen. Sein Gehalt war so minimal, das er zuerst gekriegt hat, dass er gar nichts davon machen konnte."
Doch Hugo Distler hatte in mehrfacher Hinsicht Glück. Zunächst mit seinem Instrument, das zum größten Teil vom Orgelbauer Friedrich Stellwagen im 17. Jahrhundert erbaut worden war und sich damit gerade für die Komponisten der Schütz-Zeit besonders eignete.
Noch wichtiger aber war, dass er zwei Vorgesetzte hatte, die ihn nicht nur mochten, sondern auch sein Talent als Komponist erkannten: den Pfarrer der Jakobigemeinde Axel Werner Kühl und vor allem den Kantor Bruno Grusnick. Er war ein Vertreter der Jugendsingebewegung, die ja ebenfalls eine Erneuerung der evangelischen Kirchenmusik anstrebte. Umzusetzen versuchte er das mit dem von ihm gegründeten Lübecker Sing- und Spielkreis, erzählt Arndt Schnoor:
"Bruno Grusnick hat ja viel Musik von Heinrich Schütz und dessen Zeitgenossen aufgeführt, und das hat ihn schon sehr inspiriert."
Zwischen 1931 und 1937 schrieb Hugo Distler zahlreiche Chorwerke für den Lübecker Sing- und Spielkreis, das Ensemble wurde sozusagen zu einem Laboratorium, in dem er sich ausprobieren konnte, meint Bruno Grusnicks Sohn Wolfgang, von Beruf evangelischer Pfarrer:
"Es heißt immer, an manchen Tagen wären die Noten noch feucht gewesen, wenn der Chor draus gesungen hat."
Als Mitglied im Sing- und Spielkreis hat Distlers Orgelschülerin Franziska Braeck zahlreiche Stücke Hugo Distlers mit uraufgeführt. Eines davon lässt sie bis heute nicht los:
"Die Weihnachtsgeschichte! Die ist so was Wunderschönes, die wunderbare Seelenstimmung, die in dem Werk ist, die Weihnachtsgeschichte hat uns alle am meisten beeindruckt."
Wolfgang Grusnick: "Es war immer wieder zu merken, auch wenn mein Vater vorm Chor stand, wie stark ihn diese Zeit innerlich noch beschäftigte, wie sie unglaublich anregend noch in ihm gegenwärtig geblieben ist."
Dass die Mitglieder des Lübecker Sing- und Spielkreises von Hugo Distler so begeistert waren lag an seiner schier unerschöpflichen Energie. Sein Arbeitsdrang war unersättlich. Ebenso groß war aber auch sein Karrierestreben, verbunden mit dem beinahe krankhaften Wunsch nach Anerkennung in der Musikwelt. Dieser Wunsch führte ihn wohl auch im Mai 1933 in die NSDAP, meint Distlers einstige Schülerin Franziska Braeck:
"Er war zwar Mitglied der Partei, hat aber nie was davon gesagt. Wir wissen, dass er es total ablehnte, aber damit er seine Familie weiter ernähren konnte, er den Mund nicht so weit aufmachen konnte."
"Ich habe von allen, die mit ihm zu tun hatten, gehört, er war überhaupt nicht d'accord mit den Zielen der Nationalsozialisten","
meint auch Distler-Kenner Arndt Schnoor.
""Wobei man differenziert sagen muss, die Nationalsozialisten haben sicher vieles an Gedankengut, was damals neu war, wie zum Beispiel die Dinge der Jugendmusikbewegung übernommen und auch das Vokabular zum Teil übernommen, sodass viele Leute gedacht haben, das ist eine neue Bewegung, die uns unterstützt. Dass sie damit auf dem Holzweg waren, haben viele erst später gemerkt."
Dass die Ideologie der Nazis nicht mit seiner evangelischen Prägung vereinbar war - das, so erzählt Bruno Grusnicks Sohn Wolfgang, spürte Hugo Distler nach seinem Weggang aus Lübeck 1937, als Dozent für Komposition und Orgel an der Stuttgarter Musikhochschule.
Wolfgang Grusnick: "Bekannt ist ja die Geschichte, dass er die Bachsche Johannespassion in Esslingen mit einem Singkreis aufgeführt hat, er danach fürchterlichen Ärger bekam und dann der Singkreis aufgelöst wurde, weil die Johannespassion nicht mehr aufgeführt werden sollte."
Die Parteimitgliedschaft einerseits und das Unbehagen an der NS-Ideologie anderseits, sie waren, so Wolfgang Grusnick, womöglich nur ein äußerer Ausdruck eines gespaltenen Seelenlebens:
"Es ist schon sehr deutlich geworden, dass Hugo Distler eine in sich sehr zerrissene Persönlichkeit war, man würde heute schon sagen, dass da depressive Anteile waren, aber auch manische, sehr extrovertierte Züge, die den Umgang mit ihm ganz sicherlich nicht immer ganz einfach gemacht haben."
"Er hat mir das immer erzählt, Nervenarzt, bei dem war er ständig und der hat ihm immer sehr im Gleichgewicht gehalten",""
erinnert sich Distlers Orgelschülerin Franziska Braeck. Je mehr er Karriere machte, desto stärker scheint es, geriet er auch aus dem inneren Gleichgewicht. Im Kriegsjahr 1940 wurde er, der nie ein Diplom abgelegt hatte, als Professor für Komposition und Orgel an die Berliner Hochschule für Musik berufen. Die Arbeit dort, so Arndt Schnoor, verstärkte seine tiefen inneren Konflikte, hinzu kam als äußerer Faktor der Einberufungsbescheid zur Wehrmacht:
""Er hatte große Pläne, er wollte ein großes Oratorium 'Die Weltalter' schreiben und hatte schon begonnen, die Musik zu komponieren. Er kam vielleicht da auch an künstlerische Grenzen, das war die eine Sache, dann die drohende Einberufung, die ständigen Streitigkeiten mit den Nationalsozialisten, er hatte inzwischen ja auch den Staats- und Domchor dort übernommen. Die Knaben wurden immer sonntags zu Übungen einberufen, und er hatte keinen Chor zur Verfügung."
Alle diese Schwierigkeiten raubten Hugo Distler die Luft zum Atmen. Am 1. November 1942, er ist allein in seiner Berliner Wohnung, dreht er den Gashahn auf, wird ohnmächtig und stirbt. Obwohl die Nazis den Selbstmord zu vertuschen versuchten, verbreitete sich die Nachricht rasch. Die Bestürzung war groß, vor allem bei den Mitgliedern des Lübecker Sing- und Spielkreises, erinnert sich die heute 91-jährige Franziska Braeck:
"Ich hab mich eigentlich nicht gewundert, ich fand es nur erschütternd, das war schon sehr erschütternd, die innerliche Erschütterung bleibt immer."
Für Pfarrer Wolfgang Grusnick, dessen Vater Bruno den jungen Komponisten in seiner Lübecker Zeit, wo es ging gefördert hat, steht fest: Ein Märtyrer, also ein Opfer der Nazis, war Hugo Distler nicht, wohl eher ein Opfer seiner, wie man es heute wohl ausdrücken würde, "psychischen Labilität":
"Es ist überhaupt nicht gesagt, ob ein Charakter wie Hugo Distler auch ohne diese Ereignisse in Berlin und diese Bedrängnisse ein Leben lang hätte standhalten können und das Leben bewältigen können, bei dieser inneren Anspannung, die in ihm gewesen sein muss, die aber natürlich auch ein Teil seiner Produktivität gewesen ist. Dieses Energiegeladene ist ja auch für die Seele eine Überforderung. Da brennt die Flamme immer voll, ich denke, dass er früh aufgezehrt war. In meinen vielen Beerdigungspredigten, wo ich auch viele Selbstmörder beerdigt habe, hat sich mir das 'Warum' immer entzogen."
Die Art und Weise wie Heinrich Schütz den Gehalt des Bibelworts durch die Vertonung noch stärker zum Tragen bringt, sie faszinierte den jungen Hugo Distler so sehr, dass er bald selbst aus diesem Geist heraus zu komponieren begann. Doch das Berufziel "Komponist" schien für ihn zunächst unerreichbar, als mittelloser Organist ging er an die Kirche St. Jakobi in Lübeck.
"Das hatte was vom armen Poeten","
sagt Arndt Schnoor, Kustos des Lübecker Hugo-Distler-Archivs und einer der profundesten Kenner von Leben und Werk des Komponisten.
""Er hat in Leipzig ja keinen Abschluss gemacht, er wurde vom Thomasorganisten Günter Ramin, der sein Orgellehrer war, hergeschickt, weil er in finanzieller Not war, so hat man ihm die Stelle hier vermittelt."
"Er kam ja ganz verhungert hier an, hatte gar nix","
erinnert sich Franziska Braeck, mit 91 Jahren die letzte noch lebende Orgelschülerin von Hugo Distler:
""Er musste erstmal untergebracht werden. Da gab es einen Rat, der hatte eine kleine Dachkammer frei, da konnte er ers mal wohnen. Sein Gehalt war so minimal, das er zuerst gekriegt hat, dass er gar nichts davon machen konnte."
Doch Hugo Distler hatte in mehrfacher Hinsicht Glück. Zunächst mit seinem Instrument, das zum größten Teil vom Orgelbauer Friedrich Stellwagen im 17. Jahrhundert erbaut worden war und sich damit gerade für die Komponisten der Schütz-Zeit besonders eignete.
Noch wichtiger aber war, dass er zwei Vorgesetzte hatte, die ihn nicht nur mochten, sondern auch sein Talent als Komponist erkannten: den Pfarrer der Jakobigemeinde Axel Werner Kühl und vor allem den Kantor Bruno Grusnick. Er war ein Vertreter der Jugendsingebewegung, die ja ebenfalls eine Erneuerung der evangelischen Kirchenmusik anstrebte. Umzusetzen versuchte er das mit dem von ihm gegründeten Lübecker Sing- und Spielkreis, erzählt Arndt Schnoor:
"Bruno Grusnick hat ja viel Musik von Heinrich Schütz und dessen Zeitgenossen aufgeführt, und das hat ihn schon sehr inspiriert."
Zwischen 1931 und 1937 schrieb Hugo Distler zahlreiche Chorwerke für den Lübecker Sing- und Spielkreis, das Ensemble wurde sozusagen zu einem Laboratorium, in dem er sich ausprobieren konnte, meint Bruno Grusnicks Sohn Wolfgang, von Beruf evangelischer Pfarrer:
"Es heißt immer, an manchen Tagen wären die Noten noch feucht gewesen, wenn der Chor draus gesungen hat."
Als Mitglied im Sing- und Spielkreis hat Distlers Orgelschülerin Franziska Braeck zahlreiche Stücke Hugo Distlers mit uraufgeführt. Eines davon lässt sie bis heute nicht los:
"Die Weihnachtsgeschichte! Die ist so was Wunderschönes, die wunderbare Seelenstimmung, die in dem Werk ist, die Weihnachtsgeschichte hat uns alle am meisten beeindruckt."
Wolfgang Grusnick: "Es war immer wieder zu merken, auch wenn mein Vater vorm Chor stand, wie stark ihn diese Zeit innerlich noch beschäftigte, wie sie unglaublich anregend noch in ihm gegenwärtig geblieben ist."
Dass die Mitglieder des Lübecker Sing- und Spielkreises von Hugo Distler so begeistert waren lag an seiner schier unerschöpflichen Energie. Sein Arbeitsdrang war unersättlich. Ebenso groß war aber auch sein Karrierestreben, verbunden mit dem beinahe krankhaften Wunsch nach Anerkennung in der Musikwelt. Dieser Wunsch führte ihn wohl auch im Mai 1933 in die NSDAP, meint Distlers einstige Schülerin Franziska Braeck:
"Er war zwar Mitglied der Partei, hat aber nie was davon gesagt. Wir wissen, dass er es total ablehnte, aber damit er seine Familie weiter ernähren konnte, er den Mund nicht so weit aufmachen konnte."
"Ich habe von allen, die mit ihm zu tun hatten, gehört, er war überhaupt nicht d'accord mit den Zielen der Nationalsozialisten","
meint auch Distler-Kenner Arndt Schnoor.
""Wobei man differenziert sagen muss, die Nationalsozialisten haben sicher vieles an Gedankengut, was damals neu war, wie zum Beispiel die Dinge der Jugendmusikbewegung übernommen und auch das Vokabular zum Teil übernommen, sodass viele Leute gedacht haben, das ist eine neue Bewegung, die uns unterstützt. Dass sie damit auf dem Holzweg waren, haben viele erst später gemerkt."
Dass die Ideologie der Nazis nicht mit seiner evangelischen Prägung vereinbar war - das, so erzählt Bruno Grusnicks Sohn Wolfgang, spürte Hugo Distler nach seinem Weggang aus Lübeck 1937, als Dozent für Komposition und Orgel an der Stuttgarter Musikhochschule.
Wolfgang Grusnick: "Bekannt ist ja die Geschichte, dass er die Bachsche Johannespassion in Esslingen mit einem Singkreis aufgeführt hat, er danach fürchterlichen Ärger bekam und dann der Singkreis aufgelöst wurde, weil die Johannespassion nicht mehr aufgeführt werden sollte."
Die Parteimitgliedschaft einerseits und das Unbehagen an der NS-Ideologie anderseits, sie waren, so Wolfgang Grusnick, womöglich nur ein äußerer Ausdruck eines gespaltenen Seelenlebens:
"Es ist schon sehr deutlich geworden, dass Hugo Distler eine in sich sehr zerrissene Persönlichkeit war, man würde heute schon sagen, dass da depressive Anteile waren, aber auch manische, sehr extrovertierte Züge, die den Umgang mit ihm ganz sicherlich nicht immer ganz einfach gemacht haben."
"Er hat mir das immer erzählt, Nervenarzt, bei dem war er ständig und der hat ihm immer sehr im Gleichgewicht gehalten",""
erinnert sich Distlers Orgelschülerin Franziska Braeck. Je mehr er Karriere machte, desto stärker scheint es, geriet er auch aus dem inneren Gleichgewicht. Im Kriegsjahr 1940 wurde er, der nie ein Diplom abgelegt hatte, als Professor für Komposition und Orgel an die Berliner Hochschule für Musik berufen. Die Arbeit dort, so Arndt Schnoor, verstärkte seine tiefen inneren Konflikte, hinzu kam als äußerer Faktor der Einberufungsbescheid zur Wehrmacht:
""Er hatte große Pläne, er wollte ein großes Oratorium 'Die Weltalter' schreiben und hatte schon begonnen, die Musik zu komponieren. Er kam vielleicht da auch an künstlerische Grenzen, das war die eine Sache, dann die drohende Einberufung, die ständigen Streitigkeiten mit den Nationalsozialisten, er hatte inzwischen ja auch den Staats- und Domchor dort übernommen. Die Knaben wurden immer sonntags zu Übungen einberufen, und er hatte keinen Chor zur Verfügung."
Alle diese Schwierigkeiten raubten Hugo Distler die Luft zum Atmen. Am 1. November 1942, er ist allein in seiner Berliner Wohnung, dreht er den Gashahn auf, wird ohnmächtig und stirbt. Obwohl die Nazis den Selbstmord zu vertuschen versuchten, verbreitete sich die Nachricht rasch. Die Bestürzung war groß, vor allem bei den Mitgliedern des Lübecker Sing- und Spielkreises, erinnert sich die heute 91-jährige Franziska Braeck:
"Ich hab mich eigentlich nicht gewundert, ich fand es nur erschütternd, das war schon sehr erschütternd, die innerliche Erschütterung bleibt immer."
Für Pfarrer Wolfgang Grusnick, dessen Vater Bruno den jungen Komponisten in seiner Lübecker Zeit, wo es ging gefördert hat, steht fest: Ein Märtyrer, also ein Opfer der Nazis, war Hugo Distler nicht, wohl eher ein Opfer seiner, wie man es heute wohl ausdrücken würde, "psychischen Labilität":
"Es ist überhaupt nicht gesagt, ob ein Charakter wie Hugo Distler auch ohne diese Ereignisse in Berlin und diese Bedrängnisse ein Leben lang hätte standhalten können und das Leben bewältigen können, bei dieser inneren Anspannung, die in ihm gewesen sein muss, die aber natürlich auch ein Teil seiner Produktivität gewesen ist. Dieses Energiegeladene ist ja auch für die Seele eine Überforderung. Da brennt die Flamme immer voll, ich denke, dass er früh aufgezehrt war. In meinen vielen Beerdigungspredigten, wo ich auch viele Selbstmörder beerdigt habe, hat sich mir das 'Warum' immer entzogen."