Eine Festung für die Elite

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
"Vineta", der Erstlingsfilm der Regisseurin Franziska Stünkel, zeichnet eine düstere Zukunftsvision: Ein arbeitssüchtiger Spitzenarchitekt soll an der Schaffung einer absolut sicheren Stadt für die Eliten des Landes mitwirken. Peter Lohmeyer verkörpert den Zwangscharakter, den angesichts von allgegenwärtigen Kameras Zweifel an seiner Arbeit befallen.
In grauer Vorzeit wurde die reiche Stadt Vineta von der Sturmflut verschlungen als Strafe für die Sünde und den Hochmut seiner reichen Bewohner.

In Franziska Stünkels Erstlingsfilm steht Vineta für eine Ostseeinsel, einst militärisches Sperrgebiet, wo die Bundesregierung angeblich ein geheimes soziales Experiment durchführen will: Die Schaffung einer absolut sicheren Stadt für die Eliten des Landes: Komfortabel, auf perfektem technischen Standard und vor Terrorismus und anderen möglichen Angriffen geschützt.

Peter Lohmeyer: "Und die Einstellung auf die Figur war eigentlich, wo man sagt, so, jetzt stell dir mal vor, es gibt nur dich, nur dich und deine Arbeit, in der du aufgehst, was erstmal gar nichts Negatives ist, aber die Auswirkungen dessen sind negativ, wenn man das drum herum genauso wichtig nimmt, oder wichtiger nimmt, warum sind wir hier auf dem Planeten?"

Als Gangster, Kleinganove, Undercover-Fahnder, als Öko-Ehemann in der Landkommune oder deutsch-jüdischer Emigrant im Exil hat Peter Lohmeyer immer einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt, zwischen Härte und Verletzlichkeit. Seinen größten Erfolg hatte der heute 46-Jährige als Kriegsheimkehrer 2003 in Söhnke Worthmanns "Das Wunder von Bern". Mit dem Stararchitekten Sebastian Färber verkörpert er mit kahl geschorenem Kopf und im Anzug eine ganz andere Rolle: einen Zwangscharakter mit hohen Idealen.

Peter Lohmeyer: "Ja, sein soziales Umfeld löst er auf, fast unwissend, so unmerklich, es müssen immer wieder Leute ihn darauf aufmerksam machen - unter anderem seine Tochter, (...) weil schlussendlich ist Workoholismus, in Deutschland noch nicht, aber in Japan schon eine anerkannte Krankheit das heißt, der Mensch ist krank."

In der abgeschiedenen Villa des Vineta-Planungsstabs hat sich ein hoch qualifiziertes Expertenteam zusammengefunden und gleich nach Färbers Ankunft kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen:

Szene aus "Vineta": "Mit Verlaub gesagt, ihre Stadt ist keine Stadt der Zukunft, sondern tiefstes Mittelalter, hoch aufgerüstete Festung gegen den Feind. Ihr Entwurf schürt die Angst."
"Was haben Sie gesagt?"
"Ihr Entwurf schürt Angst"
"Gate Comunities sind in den USA äußerst beliebte Orte. 68 Prozent der Bevölkerung wollen heute überwacht werden."
"Wollen?"
"Ich baue nach dem Bedürfnis der Menschen und das Bedürfnis ist größtmögliche Sicherheit."
"Die Menschen wollen in Luxusghettos wohnen, hinter dicken atombombensicheren Betonwänden leben, voll gespickt mit Videokameras, Einlasskontrollen per Fingerabdruck, Alarmklingeln in Handys. Ich hab keinen Hunger mehr."

Vineta wirkt zunächst wie ein Thriller, wie die düstere Zukunftsvision einer sozialen Apartheid, die schon fast Gegenwart geworden ist:

Peter Lohmeyer: "Ja, ja, das ist schon unheimlich, also unheimlich in dem Sinn, das wir, wir sind ja immer an so Punkten, wo wir sagen, das kann man sich jetzt noch nicht so vorstellen, aber irgendwo gibt es das schon. Schlussendlich ist es ein Trugschluss, dass sich diese Elite um die anderen dann kümmert außerhalb dessen, also es hat noch keine Elite irgendwelche Menschheitsprobleme gelöst, also da glaube ich jetzt wirklich nicht dran."

Unheimlich wird aber zunehmend die ganze Situation in der Planungsgruppe. Sie werden bespitzelt, einer ertrinkt im Meer. Sind sie Gefangene oder Forscher? Oder wird Färber durch seinen zwanghaften Charakter zunehmend von eigenen Wahnvorstellungen beherrscht - wie ihm der Projektleiter, beeindruckend dargestellt von Ulrich Matthes, suggeriert?

Szene aus "Vineta":
"Ich hab eine Kamera bei mir im Zimmer gefunden."
"Es wird Ihnen doch einleuchten, dass bei Projekten dieser Brisanz jederzeit mit Industriespionage gerechnet werden muss. Nur deswegen überwacht Master Developement die Villa."
"Wo sind überall Kameras?"
"Lediglich in den Arbeitsbereichen. Zum Schutz ihrer Ideen. Herr Färber! (Uhr
schlägt) Ich freue mich, Sie morgen der Delegation vorstellen zu können."

Der Film geht über die bissige Gesellschaftssatire in Moritz Rinkes im Jahr 2000 uraufgeführtem Theaterstück "Republik Vineta" hinaus. Mit einer beeindruckende Bildsprache schafft er eine dunkle poetische Parabel einer Gesellschaft, deren Eliten längst nur noch für sich selbst funktionieren. Eine poetische Metapher vermittelt bereits zu Beginn des Films dessen Essenz: Eine Flamingoherde im Zoo lässt einen sterbenden Artgenossen hinter sich zurück.

Der Film spielt auch geschickt mit den Realitätsebenen, mit Rückblenden, Alptraumsequenzen und Wahnvorstellungen. Die Handlung verblüfft immer wieder durch neue Wendungen: das scheinbar so Wichtige wird unwichtig, der Mächtige wird zum Patienten. Ein überraschendes und vielschichtiges Spielfilmdebüt, das erstaunlich viele Themen anreißt, von Arbeitssucht und "Workoholismus" bis hin zu gesellschaftlichen Grundsatzfragen:

Peter Lohmeyer: "Ich will gar nicht immer an die große Glocke hängen, Erstlingswerk oder so. Schlussendlich hat Orson Welles, das ist für mich immer das Beispiel, wo ich sage, hier, Erstlingswerk, guckt euch mal diesen Film an und so. Aber die hat da schon, weil das ist ja auch nicht einfach gewesen, also mit dem Budget unter den Bedingungen und das zu stemmen. Hätte sie sich in dem Thema nicht so gut ausgekannt, dann hätte ich das nicht so spielen können."

Aber am Ende ist "Vineta" die Geschichte eines Menschen, der aus der eigenen Zwanghaftigkeit ausbrechen kann, dem Wahnsinn der Arbeitssucht den Rücken kehrt. Die charakterlichen Details des besessenen und oft auf so menschliche Weise verloren wirkenden Architekten haben Regisseurin und Schauspieler gemeinsam geschaffen, erzählt Peter Lohmeyer angenehm überrascht:

"Und dann kommt so eine junge Regisseurin, die irrsinnig viel Sekundärwissen hat, mit dem sie einen aber nicht zudeckt, sondern man kann sie immer fragen, deckt einen aber zu mit ganz vielen Handlungsweisen, das heißt, dieser Typ macht ganz viele Sachen auch noch nebenbei, so das heißt, man kommt auf gar keinen anderen Gedanken, weil er knackt immer in der einen Hand Walnüsse und, das ich dann auch konnte - zwei Walnüsse mit einer Hand knacken, das ist nicht leicht, aber ich hatte dann auch den Muskel irgendwann, isst am Computer, zeichnet währenddessen und fährt womöglich Auto dabei."