Eine fesselnde Erzählerin

Von Elke Pressler · 19.06.2012
Monique Schwitter war an großen und renommierten Bühnen engagiert. Doch irgendwann kam sie als Darstellerin nicht mehr zurecht. In ihrem Erzählband "Goldfischgedächtnis" versucht sie, ihr Ringen mit den Rollen literarisch aufzuarbeiten.
Monique Schwitter liest:"Alles konnte ich mir merken, immer schon. Sämtliche Speisen, die ich aß, Orte, die ich aufsuchte, Wörter, die ich vernahm. Und natürlich die Abertausende von Sätzen, die ich im Laufe meiner Karriere auf der Bühne aufsagte."

Monique Schwitter liest: "Ich erarbeitete mir Techniken des Auswendiglernens, die ich täglich trainierte. Bis ich nach einigen Jahren im Beruf unter all diesen Sätzen zu leiden begann. Es fehlte mir die Technik, Text wieder zu vergessen !"

Monique Schwitter: "Also die Situation, dass ich abends im Bett liege – es wird weniger, also im Bett lag – und es flog mir der Fremdtext um die Ohren, dass es mich nur so geschüttelt hat und ich z. T. im Moment, wenn ich müde war, gar nicht sagen konnte: was ist das ? Welches Stück ? Habe ich die Rolle gerade überhaupt selber gespielt oder habe ich das nur gehört ? Auch dieses Misstrauen: wie nah ist mir das?

Und die Tatsache, dass das Text-Vergessen eine Disziplin ist, die nirgendwo gelehrt wird und ja, ein Handwerk, das keiner beherrscht, deshalb kam es in der Geschichte vor."

Monique Schwitter liest: "Alle Rituale, die ich mir ausdachte, schlugen fehl,dieTextmassen ließen sich nicht mehr entsorgen."

Monique Schwitter:"Man braucht die eigentlich dringend, aber ich habe keine, und ich habe auch nie eine gelernt."

Ich treffe die 1972 in der Schweiz geborene Monique Schwitter in ihrem Lieblingsrestaurant im belebten Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, in ihrem Kiez, den neun Monate alten Sohn trägt sie auf dem Arm. Nach Theater-Engagements u.a. in Zürich, Frankfurt, Berlin, Graz und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg ...

Monique Schwitter:" Das ist ein Traum, natürlich möchte man da hin!"

... lebt sie nun seit 2005 in Hamburg -

Monique Schwitter: ""Eine Herausforderung. Natürlich!""

…und hat seit 2010 die Seiten gewechselt:

Monique Schwitter: "Ich habe auch nicht gesagt, ich spiele noch meine Stücke zu Ende, sondern: Ich bin weg, ja."

Monique Schwitter liest: "Es gab keine Müllhalde, auf der ich sie ausschütten, kein Klo, in das ich sie hineinkotzen…"

... diese jahrelang angelernten Textmassen, diesen "Input" jeder Art ...

Monique Schwitter liest: "... kein Geschenkpapier, in das ich sie einwickeln konnte…"

Aus der gefragten Schauspielerin Monique Schwitter ist die kritische Schriftstellerin geworden. Endlich ganz bei sich bleiben dürfen; Wort für Wort; die richtige Form zum authentischen Inhalt finden können.

Monique Schwitter:" Pausenlos sind wir mit Fremdem konfrontiert, mit fremder Information, mit fremden Einflüssen, Möglichkeiten, mit fremdem Leben – (viel mehr) als wir es vor 50 Jahren waren und in einem Tempo, wo ich mir nicht so sicher bin, ob wir da schon so ideal drauf vorbereitet sind. Dieses Fremde, was da in einem einlagert, das gibt ja eben keine Ruhe."

Monique Schwitter liest: "Scheinbar schlummernd irgendwo in einer entlegenen Ecke, waren sie immer bereit, sich zur Unzeit in den Vordergrund zu drängen."

Monique Schwitter: "In mir drin war es immer sehr laut ! Da sind sehr viele fremde Gedanken, ist viel fremder Text drin, auch viele Meinungen, also von Theaterfiguren."

Monique Schwitter liest "… Rampensäue."

Monique Schwitter: "An der Elbe, das ist mein liebster Ort in Hamburg: dieser Sand! Und dieses Wasser! Außer: mein liebster Ort ist hier mein Schreibtisch."

Das Schreiben. Von Anfang an eine Dringlichkeit. Bereits die Schreibschrift zu lernen ist das Schönste für das Kind Monique, das an der sogenannten Goldküste, am rechten Ufer des Zürichsees, aufwächst und auf seinem Schulweg täglich Max Frisch begegnet und später Elias Canetti beim Einkaufen. Hausgötter zum Anfassen.

Monique Schwitter liest "Ich konnte das gar nicht erwarten, einen Gedanken hinschreiben zu können, oder ein: ‚ich bin verliebt in dich’, weil, sagen hätte ich es sowieso nicht können. Jemandem."

Sprache, Dialekte - der heimische Schweizer oder der Salzburger oder der Grazer Dialekt, die verschiedensten Ausdrücke in den verschiedensten deutschsprachigen Regionen – dieses Über-Angebot ist wie ein Buffet für die ausdruckshungrige Regie- und Schauspielschülerin, dann für die Bühnendarstellerin. Das Suchen nach der eigenen Sprache wird früh zur Obsession.

Monique Schwitter: "Ich habe jahrelang geübt, geübt, geübt. Ich habe mit 33 mein erstes Buch veröffentlicht."

Monique Schwitter liest "Sie hielten sich hartnäckig ..."

... die eingelagerten, die fremden Textmassen…

Monique Schwitter liest: "... wie die Fettablagerungen in meinen Herzkranzgefäßen und ebenso irreversibel – schien es mir."

Monique Schwitter: "Kaum, dass ich meine erste. Buch-Veröffentlichung 2005 hatte, wurde ich aufgefordert, einen Text zu schreiben darüber: wie komme ich zur Sprache, kleine Anthologie. Und jetzt erinnere ich mich gerade, der Titel war: ‚Schlucken und Spucken’, und da habe ich auch beschrieben, dass eigentlich das Meiste, was ich über Sprache gelernt habe, ist schlicht und einfach auswendig gelernt. Die Sprache an sich auch. Und dass es eben diesen Begriff gibt, im Französischen heißt auswendig lernen apprendre par coeur, also mit dem Herzen lernen: man legt’s eben auch im Herzen ab – und darum geht dieser Text…"

Monique Schwitter liest: "... in meinen Herzkranzgefäßen ... bis ich anfing zu vergessen: Satzfetzen für Satzfetzen, Wort für Wort. Was übrig geblieben ist ... Ein Texttrümmerfeld, ein Fetzentext aus Textfetzen. Mehr Lücke als Gewebe."

Ziel dieser packenden Erzählung "Die Grube" von Monique Schwitter ist die Reise einer alternden Schauspielerin in den Tod. Das Ziel der Schriftstellerin Monique Schwitter: viele eigene, fein beobachtete, kunstvoll gebaute Texte, die die Lücken füllen. Ihre eigene Sprache hat sie gefunden.


Monique Schwitter: "Goldfischgedächtnis"
Droschl Verlag, Graz 2011, 192 Seiten, 19 Euro