"Eine fast schon absolute, ideale Beziehung"

Von Thomas Migge · 29.12.2012
Schon vor seinem Umzug nach Venedig war Richard Wagner auch in Italien zu einem Mythos geworden. Und das nicht nur wegen seiner Musik, sondern auch wegen des von ihm vorgelebten Lebensstils, einer, wie man sie damals nannte, wagnerianischen Ästhetik. Dieser Ästhetik ist im venezianischen Fortuny-Museum nun eine Ausstellung gewidmet.
Gekleidet in einen fast bodenlangen Hausmantel aus Samt. Verwegen eine ebenfalls samtene Kappe. Auf dem Konzertflügel eine schwere Tischdecke und darauf eine prunkvolle Vase. Der Blick durch die Fenster in den Park ist verhängt von gleichfalls schweren dunklen Vorhängen, die kaum Licht in den mit Teppichen ausgelegten Raum lassen, dessen Wände mit Stoff bespannt sind.

Peter Patzaks eindrucksvoller Film "Wahnfried" von 1988, mit Otto Sander in der Rolle Richard Wagners, erzählt von der leidenschaftlichen und gesellschaftlich geächteten Affäre zwischen dem Komponisten und der viel jüngeren Cosima von Bülow während ihres Aufenthalts in einer Villa am Vierwaldstättersee.

Patzak zeigt ein Ambiente, in dem die Protagonisten ihre erotisch-künstlerischen Passionen ausleben. Das Pathetische seiner Musik beschwor Wagner auch im Privaten. Nicht zuletzt in Wohnräumen, die ganz nach seinem Geschmack eingerichtet waren. Einem Geschmack, der den so genannten Wagnerismus generierte, Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in Italien ungemein "en vogue".

Musik empfängt den Besucher im Palazzo Fortuny. Von Wagner natürlich. Nach Überschreiten der Schwelle des gotischen Palastes in der Nähe des Markusplatzes taucht man in eine nur künstlich beleuchtete Düsternis ein. Wagner-Fortuny-Ambiente, meint Kunsthistoriker Poalo Bolpagni, Kurator der Ausstellung:

"Viele Maler suchten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Beziehung zur Musik. Das galt auch für Maria Fortuny i de Madrazo, der sich nach seinem Umzug in die Lagunenstadt italianisiert Mariano Fortuny nannte. Zeit seines Lebens war er von Wagner fasziniert. Zunächst von seiner Musik, dann von allem, was mit ihm selbst zu tun hatte. Es verband ihn mit Wagner eine fast schon absolute, ideale Beziehung."

Mariano Fortuny wurde 1871 in Granada geboren. Der Maler, Designer, Bühnenbildner, Erfinder und Fotograf starb 1949 in seinem Palazzo in Venedig. Fortuny kam als junger Mann 1889 mit seiner Familie nach Venedig. Von seiner Mutter erbte er die Leidenschaft für kostbare Stoffe. Zusammen mit seiner Frau Henriette Negrin, einer Expertin für natürliche Farbstoffe, erfand Fortuny neue Methoden des Stoffdrucks auch für Wandteppiche. Fortunys schwülstiger, aber eleganter Einrichtungsstil machte ihn zum begehrten Innenarchitekten des internationalen Jet Sets. Seine Kundinnen waren Sarah Bernardt, Eleonora Duse, Isadora Duncan und Martha Graham.

Paolo Bolpagni:" Wagner wurde schon früh sein wichtigster musikalischer Bezugspunkt. Fortuny reiste mit 21 zum ersten Mal nach Bayreuth. Fasziniert von Wagners Opern begann er Szenenbilder zu malen. Wagners Idee eines Gesamtkunstwerks aus Musik, Tanz, Malerei, Architektur und Poesie begründete Fortunys gesamtkünstlerischen Ansatz im eigenen Schaffen. Fortuny fühlte sich deshalb als Verwandter Wagners."

Für den Designer war der Komponist der letzte Renaissancemensch. In seine Fußstapfen wollte er treten.

Die Ausstellung zum Wagnerismus all'italiana zeigt zum ersten Mal überhaupt alle 47 Gemälde Fortunys, die er nach seinem Besuch in Bayreuth schuf. Bilder mit spätnaturalistisch-symbolistischen Sujets. Die mit Stoffen von Fortuny dekorierten Säle des Museumspalastes in Venedig zeigen auch, wie die Musik und die von Wagner bevorzugte Ästhetik in Italien rezipiert wurden.

Als Lichtdesigner entwickelte Fortuny den im Bayreuther Wagnertheater erlebten Gegensatz von direktem und indirektem Licht für die Raumbeleuchtung weiter - und erfand unter anderem seine berühmte Fortuny-Lampe, die nur indirektes Licht reflektiert. Auf seinen Stoffen und Wandteppichen wiederholte er immer wieder das Parsifal-Thema. Fortunys Einfluss auf den Einrichtungs- und Dekorationsstil der Jahrhundertwende machte den Wagnerismus in den gehobenen Einkommensklassen Italiens sehr beliebt, erklärt Paolo Bolpgani:

"Ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden viele italienische Maler von Wagner-Opern inspiriert. Diese Opern mit ihrem Symbolismus faszinierten sie mehr als die Werke Verdis. Das Wagnerisch-Symbolische, das Rätselhafte und Mystische geriet zu einer kulturellen Mode."

Künstler wie Lionello Balestrini und Gaetano Previati, deren Hauptwerke im Palazzo Fortuny zu sehen sind, gaben mit ihren düsteren Nachtbildern eine von Wagner inspirierte Stimmung wieder, die sich vor allem vor dem ersten Weltkrieg großer Beliebtheit erfreute.

Doch der italienische Wagnerismus, das macht die Ausstellung in Venedig deutlich, war nicht von langer Dauer. Der Futurismus, eine radikal avantgardistische Kunstbewegung, 1909 von dem Italiener Filippo Tommaso Marinetti mit einem Manifest begründet, verschmähte den Stil Wagners und Fortunys als "bourgeoisen Plüschmuff". Fortan, und gefördert vom 1922 an die Macht gelangten Faschismus, galt das Rationale, das schmuck- und dekorationslose Design als zeitgemäß.

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