Eine Familie steigt auf
Der Berliner Philosoph Moses Mendelssohn (1729-1786) war einer der allerersten Juden, der im Europa der Aufklärung Anerkennung fand. Sein Werk und Wirken ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung nicht nur für die innerjüdische Aufklärung, sondern auch für die Emanzipation der Juden in Deutschland.
Sein Aufstieg aus armen Verhältnissen und aus einer verachteten und verhältnismäßig rechtlosen Minderheit zu internationalem Ruhm war erstaunlich. Und seine Kinder und Kindeskinder setzten diesen Aufstieg fort: Seine Tochter Dorothea heiratete Friedrich von Schlegel und wurde als Schriftstellerin zu einer der Zentralfiguren der deutschen Romantik. Seine Söhne Joseph und Abraham begründeten ein Bankhaus, das der Familie über die Generationen hinweg zunehmenden Wohlstand und wirtschaftspolitischen Einfluss einbrachte. Sein Großsohn Felix Mendelssohn Bartholdy war einer der bedeutendsten Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch in den darauffolgenden Generationen fehlt es nicht an interessanten Gestalten, an Akademikern, Bankiers und Künstlern.
Dieser großen und für die deutsche Kultur- und Wirtschaftsgeschichte wichtigen Familie hat nun der Historiker Julius Schoeps eine Kollektivbiografie gewidmet. Schoeps ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Geschichte an der Universität Potsdam und hat schon viel Grundlegendes zur jüdisch-deutschen Geschichte, unter anderem zur "missglückten Emanzipation" der Juden in Deutschland, geschrieben. Außerdem stammt er mütterlicherseits selber aus der Mendelssohn-Familie und ist als Sprecher der Erbengemeinschaft in Restitutionsprozessen über Kunstwerke aus dem ehemaligen Familienbesitz aufgetreten.
Seine große Geschichte der eigenen Famlie heißt nun auch "Das Erbe der Mendelssohns". Sie folgt den Lebensläufen einer Vielzahl von Familienmitgliedern sowie der Firmengeschichte der familieneigenen Bank vom Stammvater Moses Mendelssohn bis hin zur fünften und sechsten Generation, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus Deutschland fliehen musste und teilweise enteignet wurde. Der dicke Band ist über weite Strecken kurzweilig zu lesen; trotzdem ist das Unterfangen einer solchen Kollektivbiographie nicht ohne Schwierigkeiten.
Ganz grundsätzlich stellt die Rekonstruktion der Lebensläufe von sechs Generationen sich immer weiter verästelnder Familienstämme eine kaum zu bewältigende Aufgabe dar. Außerdem aber krankt der biografische Zugriff auf die Mendelssohns am ungleichen Grad der Interessantheit und Bekanntheit der Familienmitglieder. Die großen Figuren – Moses Mendelssohn, Dorothea Schlegel, die musikalischen Geschwister Felix und Fanny Mendelssohn Bartholdy – wurden auch einzeln schon oft und ausführlich biografisch gewürdigt, Schoeps kann hier nur kursorische Zusammenfassungen der Lebensstationen und der geistigen und kulturellen Kontexte geben. Auch für die zahlreichen anderen Familienmitglieder, etwa die jeweiligen Chefs der Bank, die reichen Kunstsammler und wichtigen wirtschaftspolitischen Figuren der Gründerzeit, ist im Band der Platz jeweils knapp bemessen.
Hier allerdings ist die Knappheit in mehrere Richtungen unbefriedigend: Nicht nur werden die sozial- und wirtschaftshistorischen Kontexte des 19. Jahrhunderts nur äußerst skizzenhaft in den Blick gebracht. Man erfährt außerdem einerseits zu wenig über Menschen, von denen man noch nicht viel gehört oder gelesen hat, andererseits zu viel über Personen, deren Wirken nicht von großem historischen oder kulturellen Rang zu sein scheint.
Trotz solcher grundsätzlicher Einwände kann man in dieser Familienbiografie auch einen anregenden Panorama-Blick auf zwei Jahrhunderte jüdischer Geschichte in Deutschland finden. Interessant etwa immer wieder das gesellschaftliche "Dazwischen" der jüdischstämmigen, allerdings weitgehend zum Christentum konvertierten Familie Mendelssohn, welches Schoeps’ Darstellung zeigt: Die nie selbstverständlich voraussetzbare Akzeptanz, die giftigen kleinen Angriffe, die mit den hohen Ehren einhergingen, eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung, der man sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft immer wieder befleißigen zu müssen glaubte. Aus der Fülle an Einzelinformationen über sehr unterschiedliche Personen und historische Situationen, die Schoeps zusammenträgt, ergibt sich damit letztlich nochmals eine große Gesamtschau zum Thema "missglückte Emanzipation" der Juden in Deutschland.
Besprochen von Catherine Newmark
Julius H. Schoeps: Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
496 Seiten, 29,95 Euro
Dieser großen und für die deutsche Kultur- und Wirtschaftsgeschichte wichtigen Familie hat nun der Historiker Julius Schoeps eine Kollektivbiografie gewidmet. Schoeps ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Geschichte an der Universität Potsdam und hat schon viel Grundlegendes zur jüdisch-deutschen Geschichte, unter anderem zur "missglückten Emanzipation" der Juden in Deutschland, geschrieben. Außerdem stammt er mütterlicherseits selber aus der Mendelssohn-Familie und ist als Sprecher der Erbengemeinschaft in Restitutionsprozessen über Kunstwerke aus dem ehemaligen Familienbesitz aufgetreten.
Seine große Geschichte der eigenen Famlie heißt nun auch "Das Erbe der Mendelssohns". Sie folgt den Lebensläufen einer Vielzahl von Familienmitgliedern sowie der Firmengeschichte der familieneigenen Bank vom Stammvater Moses Mendelssohn bis hin zur fünften und sechsten Generation, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus Deutschland fliehen musste und teilweise enteignet wurde. Der dicke Band ist über weite Strecken kurzweilig zu lesen; trotzdem ist das Unterfangen einer solchen Kollektivbiographie nicht ohne Schwierigkeiten.
Ganz grundsätzlich stellt die Rekonstruktion der Lebensläufe von sechs Generationen sich immer weiter verästelnder Familienstämme eine kaum zu bewältigende Aufgabe dar. Außerdem aber krankt der biografische Zugriff auf die Mendelssohns am ungleichen Grad der Interessantheit und Bekanntheit der Familienmitglieder. Die großen Figuren – Moses Mendelssohn, Dorothea Schlegel, die musikalischen Geschwister Felix und Fanny Mendelssohn Bartholdy – wurden auch einzeln schon oft und ausführlich biografisch gewürdigt, Schoeps kann hier nur kursorische Zusammenfassungen der Lebensstationen und der geistigen und kulturellen Kontexte geben. Auch für die zahlreichen anderen Familienmitglieder, etwa die jeweiligen Chefs der Bank, die reichen Kunstsammler und wichtigen wirtschaftspolitischen Figuren der Gründerzeit, ist im Band der Platz jeweils knapp bemessen.
Hier allerdings ist die Knappheit in mehrere Richtungen unbefriedigend: Nicht nur werden die sozial- und wirtschaftshistorischen Kontexte des 19. Jahrhunderts nur äußerst skizzenhaft in den Blick gebracht. Man erfährt außerdem einerseits zu wenig über Menschen, von denen man noch nicht viel gehört oder gelesen hat, andererseits zu viel über Personen, deren Wirken nicht von großem historischen oder kulturellen Rang zu sein scheint.
Trotz solcher grundsätzlicher Einwände kann man in dieser Familienbiografie auch einen anregenden Panorama-Blick auf zwei Jahrhunderte jüdischer Geschichte in Deutschland finden. Interessant etwa immer wieder das gesellschaftliche "Dazwischen" der jüdischstämmigen, allerdings weitgehend zum Christentum konvertierten Familie Mendelssohn, welches Schoeps’ Darstellung zeigt: Die nie selbstverständlich voraussetzbare Akzeptanz, die giftigen kleinen Angriffe, die mit den hohen Ehren einhergingen, eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung, der man sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft immer wieder befleißigen zu müssen glaubte. Aus der Fülle an Einzelinformationen über sehr unterschiedliche Personen und historische Situationen, die Schoeps zusammenträgt, ergibt sich damit letztlich nochmals eine große Gesamtschau zum Thema "missglückte Emanzipation" der Juden in Deutschland.
Besprochen von Catherine Newmark
Julius H. Schoeps: Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
496 Seiten, 29,95 Euro