Eine Familie im Abseits

Vorgestellt von Hannelore Heider · 08.10.2008
"Krabat" ist eine Verfilmung des Jugendbuches von Ottfried Preußler. In "Tage und Wolken" geht es um das soziale Aus einer Mittelstandsfamilie. "Lornas Schweigen" dreht sich um eine junge Frau, der es mit einem Schlepperring gelingt, nach Belgien zu kommen.
Krabat
Deutschland 2007, Regie: Marco Kreuzpaintner, Hauptdarsteller: David Kross, Daniel Brühl, Christian Redl, ab zwölf Jahren, 120 Minuten

Unter dem Titel "Krabat" verfilmte Marco Kreuzpaintner das Jugendbuch von Ottfried Preußler, das für Generationen westdeutscher Schüler Schulstoff war. Dafür verlegt der Regisseur die alte sorbische Legende in die rumänischen Karpaten, weil er für seine hochdramatische Geschichte vom Ende des 30-jährigen Krieges eine unberührte und der Wucht des Erzählten ebenbürtige Landschaft suchte.

Im Laufe der Jahre und im sehr sinnlich ins Bild gesetzten Wechsel der Jahreszeiten erleben wir zwölf Müllerburschen, die der schwarzen Magie ihres Meisters hörig sind. Freundschaft und Loyalität müssen sich gegen Manipulation und Machtmissbrauch behaupten, was die mit jungen deutschen Kinostars besetzten Müllerburschen auf realistische, zupackende Art darstellen. So ist aus der Verfilmung des Jugendromans weniger ein Fantasy-Märchen, denn eine moderne Emanzipations-Geschichte geworden.


Tage und Wolken

Italien/Schweiz 2007, Regie: Silvio Soldini, Darsteller: Margherita Buy, Antonio Albanese, 115 Minuten

Ein Film aus der Mitte der guten Gesellschaft: In einem der schönen alten Patrizierhäuser von Genua leben Elsa und Michele in einer guten Ehe. Als Michele von seinen Freunden aus seiner eigenen Firma geworfen wird, kann er die Schande seiner eigenen Frau lange nicht gestehen, denn die Wahrheit ist bitter: Neue, qualifizierte Arbeit im Schiffbau gibt es für den hochqualifizierten Mittfünfziger nicht, die Eigentumswohnung ist an die Bank verpfändet, Elsa und Michele stehen vor dem Nichts.

Ihre Angst und Demütigung können sie nicht einmal ihren Freunden anvertrauen, auch das Vertrauen in der Ehe beginnt zu schwinden. Während Elsa sich nach dem Schock der Situation stellt und - als eine Frau, die nie arbeiten musste und nur aus Spaß gerade ihren Doktor in Kunstgeschichte gemacht hat – sogar Arbeit in einem Call-Center annimmt, kann Michele die innere Balance lange nicht finden.

Auch in diesem neuen Film beweist Regisseur Silvio Soldini wie schon im Kinoerfolg "Brot und Tulpen" eine große Sensibilität für die Seele von Menschen und trotz aller Schicksalsschläge auch Humor. In diesem durchaus realistisch beschriebenen Fall einer wohl situierten Mittelstandsfamilie in das soziale Aus, geht es vor allem darum, das sich die Filmhelden wieder selbst finden, und darin hat er in den beiden Hauptdarstellern überzeugende Partner.


Le Silence de Lorna - Lornas Schweigen
Belgien / Frankreich / Deutschland 2008, Regie: Luc Dardenne, Jean-Pierre Dardenne, Haupdarsteller: Arta Dobroshi, Jérémie Renier, ab zwölf Jahren

Geschichten vom Rande der Gesellschaft, aus sozialen Kreisen, in die man lieber nicht hineinguckt, weil sie einem Hoffnung rauben und uns als Kinozuschauer hilflos zurücklassen – genau das sind die Kinogeschichten der Dardenne-Brüder nicht! Obwohl sie von all der Grausamkeit, Gier und Unmenschlichkeit erzählen, die sich in den runtergekommenen Überbleibseln der Industriegesellschaft abspielen.

Die sind trotz allem immer noch die Heimat der Allerärmsten und schlimmer noch – die Hoffnung derer, die von außen kommen. Lorna ist Albanerin, sie hat einen Freund aus der Heimat (Fabrizio Rongione), der zwischen Belgien und Deutschland als Leiharbeiter vermietet wird, und einen Zuhälter (Alban Ukaj), der sie verkauft, wenn alles klappt, demnächst an einen Russen. Denn Lorna hat einen belgischen Paß, durch Heirat erworben und dass kann sie vermarkten, denn der Russe wird sie wegen ihres Passes genauso pro forma heiraten, wie sie den Junki Claudy (Jérémy Renier aus "L’Enfant").

Lorna hat erst einmal Geld gekostet, jetzt muss sie sich rentieren. Doch dann passiert das Allermenschlichste: Ihr Junki, mit dem sie kaum ein Wort redet und nie in einem Bett schläft, will clean werden. Hilflos klammert er sich an "seine Frau". Doch Lorna braucht die Scheidung und eines auf gar keinen Fall: eine Schwangerschaft. Nur mit Härte und äußerster Konsequenz kann die junge Frau sich ihren Traum verwirklichen: ein kleines Café, zusammen mit ihrem Freund. Dafür hat sie schon so viel getan, wie weit ist sie bereit, dafür noch zu gehen?

Die Regiebrüder Dardenne präsentieren Lornas Geschichte mit äußerster Konzentration, effektiv auf den Fortgang der Geschichte geschnitten, in ruhigen Einstellungen, dass der Zuschauer selbst ergründen mag, was die schweigsame Lorna im nächsten Augenblick tun wird. Das bringt nicht nur eine immense Spannung, sondern Anteilnahme für eine so fremde Frau, die von der gelernten Theater- und Filmschauspielerin Arta Dobroshi aus Pristina in Kroatien unglaublich intensiv gespielt wird. Absolut sehenswert!