Eine Erfolgsgeschichte

Rezensiert von Claus Leggewie |
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nach 1945 zu einer der stabilsten und angesehensten westlichen Demokratien entwickelt. Mit dieser Erfolgsgeschichte haben sich bereits zahlreiche Historiker befasst. Nun hat Edgar Wolfrum mit seinem Buch "Die geglückte Demokratie" eine weitere Gesamtdarstellung der Geschichte der Bundesrepublik vorgelegt. Für seine spannende und durch Ausgewogenheit glänzende Analyse hat er drei Leitbegriffe gewählt: fortgesetzte Stabilisierung, durchgreifende Pluralisierung, wachsende Internationalisierung.
Gesamtdarstellungen der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Ursprüngen bis zur Gegenwart gibt es einige. Dieser neue Versuch hebt sich durch seine Ausgewogenheit ab und arbeitet stärker die Erfolgsgeschichte der zweiten Republik heraus:

"Das Aufregende an der Geschichte der Bundesrepublik ist, dass die Katastrophe ausblieb und dass dieser Staat zu einer der stabilsten und angesehensten westlichen Demokratien geworden ist. Der Weg dorthin war – nach Nationalsozialismus, Zivilisationsbruch und Zäsur von 1945 – alles andere als selbstverständlich. Er ist vielmehr außerordentlich erklärungsbedürftig und im Grunde so ungewöhnlich, dass er uns heute noch in Staunen versetzen muss."

Erstaunlich ist auch, dass ein 40-Jähriger dieses Staunen aufbringt. Denn jüngere Bundesdeutsche nehmen den Erfolg der Republik selbstverständlich und neigen dazu, ihn angesichts aktueller Schwierigkeiten zu bestreiten. Nie zuvor in der deutschen Geschichte hatte ein Historiker die Chance, über fünfzig Jahre deutscher Geschichte mit Frieden, Wohlstand und Zivilität zu assoziieren. Andererseits ist die Rede von der "success story" Allgemeingut geworden. Dass Bonn nicht Weimar ist, wie Fritz René Allemann in einem schon 1956 erschienenen Buch postulierte, hat sich mittlerweile herumgesprochen, auch dass dies für Berlin ebenso gilt. Sonderwegsthesen sind out, Niedergangsprophetien gleichwohl nicht passé.

Der Heidelberger Geschichtsprofessor ist für den Inhalt wie die Form seiner kompakten und konsistenten Darstellung zu loben. Es handelt sich um eine erweiterte Überarbeitung des "Gebhardt", des chronologisch letzten Handbuchs der deutschen Geschichte; einem solchen Standardwerk der Universitätslehre ist die abwägende und synthetisierende Darlegung des Standes der Forschung eingeschrieben. Einleitend identifiziert der Autor zehn mögliche Zugriffe auf die (west-)deutsche Geschichte nach 1949. Am nächsten liegt ihm der Ansatz einer für Deutschland neuartigen Verbindung von Modernisierung und Demokratisierung, am wenigsten das Niedergangsparadigma.

"Meine Darstellung ist von einer kritischen Sympathie für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland getragen. Denn diese Demokratie erwies und erweist sich nach all den Katastrophen der deutschen Geschichte als ein Glücksfall. Die Bundesrepublik ist eine erfolgreiche und geachtete Demokratie; sie ist eine reformfähige Wohlstandsgesellschaft wie nur wenige in der Welt geworden. Auch in schwierigen Zeiten hat sie und haben die Deutschen nach innen wie nach außen die Balance gewahrt."

Für die flüssige, bisweilen spannende und auch für Nicht-Fachleute gut lesbare Darstellung, die schon ohne Anmerkungen und Anhänge 500 Seiten überschreitet, hat Wolfrum drei Leitbegriffe gewählt: fortgesetzte Stabilisierung – durchgreifende Pluralisierung – wachsende Internationalisierung. Politik-, sozial- und kulturgeschichtliche Akzente halten sich die Waage, der zweite deutsche Staat wird ebenso wie die europäische Ebene nur an wenigen Stellen einbezogen. Die politische Ikonographie Deutschlands nach 1945 hätte man origineller gestalten können als mit den hier verwendeten Illustrationen. Hervorzuheben ist, dass Wolfrum, der in früheren Publikationen geschichtspolitische Kontroversen behandelt hat, diese Geschichte als Debattengeschichte konzipiert, also der öffentlich-medialen Rahmung von Ereignissen die notwendige Aufmerksamkeit schenkt, ohne seinerseits "steile Thesen" zu produzieren.

Am dichtesten und besten gelungen erscheint mir die Darstellung der "zweiten formativen Phase 1959/60-1973", auf die sich die Historiographie, beflügelt durch die Öffnung der Archive und Zeitzeugen-Berichte, am stärksten konzentriert. Wolfrums Urteilskraft erweist sich an der Behandlung der zuletzt wieder stark umstrittenen Phase um "1968", die er, gegen antiquarische Abrechnung und monumentalistische Glorifizierung, so resümiert:

"Wie auch immer man im einzelnen die Rechung aufmachen mag, aus dieser Zeit floss viel Reformdynamik in Institutionen, Verbände und Parteien aus dem gesamten Spektrum, auch dem konservativen, ein. (…) Alles in allem: Durch die Politisierung der Jugend gewann die Demokratie in der Bundesrepublik an Vitalität, vor allem aber gelang eine Integration in das demokratische Staatswesen, das damit seine Reformfähigkeit bewies."

Diese Wertung zeigt, dass der Autor einen Sinn für die nicht beabsichtigten und unerwarteten Wendungen der deutschen Geschichte hat. Wer das Buch durcharbeitet, hat nicht unbedingt Neues über die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik erfahren, wohl aber eine souveräne und anregende Gesamtschau bekommen. Warum die Demokratie letztlich geglückt ist, verliert sich allerdings etwas in den Nachbetrachtungen zu allerjüngsten Entwicklungen. Wolfrum legt nahe, dass die Elemente Stabilisierung/Pluralisierung/Internationalisierung sukzessive und in einer für das große Sicherheits- und Gleichheitsstreben der Deutschen günstigen Weise ineinander gegriffen haben. Das ging ohne Ostdeutschland, aber nach der Zäsur von 1989/1990 ist eine Fortführung dieser Evolution mit den Ostdeutschen nicht mehr selbstevident.

Zwei Fragen stellen sich damit am Schluss: Lag der Erfolg der zweiten Republik wirklich an ihrer Demokratisierung, und wie erklärt sich die aktuelle Nervosität? Auf beides gibt Wolfrum keine Antwort. Ergebnisse der vergleichenden Demokratieforschung hat er, obwohl er die sozialwissenschaftliche Forschung ausgewertet hat, kaum berücksichtigt. Dass die Republik geglückt ist, kann Wolfrum plausibel machen; ob dabei die Demokratie den Ausschlag gegeben hat, bleibt offen. Für ihren weiteren Erfolg im vereinten Deutschland könnte der bis 1989 angelegte Vorrat, ohne in den Alarmismus eines Arnulf Baring oder Paul Nolte verfallen zu wollen, womöglich nicht ausreichen.

Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart

Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2006
Edgar Wolfrum: "Die geglückte Demokratie" (Coverausschnitt)
Edgar Wolfrum: "Die geglückte Demokratie" (Coverausschnitt)© Klett-Cotta-Verlag