Eine Epoche voller Stahl und Stuck

Von Frank Hessenland · 25.04.2008
Fabrikanten und Fabrikproletariat, fabelhafter Reichtum und himmelschreiendes soziales Elend haben eine Fülle eindrucksvoller Reliquien und kitschiger Devotionalien aus der Gründerzeit hinterlassen. Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin stellt jetzt das Profil dieser Epoche aus.
Hier ist das Originalschwungrad einer der ersten in Deutschland gebauten Eisenbahnen, etwas weiter ein Porträt des Eisenbahnkönigs Borsig. Da ist Krupp, gemalt in Öl mit rauchenden Fabrikschloten im Hintergrund, hier die Suppenterrine eines Industriellen, bestes Porzellan, ebenfalls bemalt mit schön-schwarz-schmutzigen Rauchfahnen einer Koksfabrik. Na guten Appetit, denkt sich der geneigte Besucher der Ausstellung "Gründerzeit – Industrie und Lebensträume" und stößt auf weitere desaströse Geschmacksverirrungen der offensichtlich orientierungslosen Zeit zwischen 1848 und 71: Im Kirchenfenster des Kölner Domes findet sich im Bild eines Heiligen eine gemalte Telegrafenleitung mit elektrischen Blitzen. Ein Bild des angesehenen Münchener Malers von Pocci zeigt Nibelungen Zwerg Alberich mit einem Weissbierglas in der Hand!

"Man hat sich fortgesehnt in eine sorgenfreie Zukunft und man hat sich zugleich rückorientiert in eine goldene Vergangenheit ...,”"

so Hans Ottomeier, Direktor des Deutschen Historischen Museum und Initiator der Ausstellung.

""Man hat sich identifiziert mit den Rittern des Mittelalters, vor allem mit den königlichen Kaufleuten im Glanz der Renaissance. Man hat sich gesehnt nach dem Reichtum des Ancien Regime.”"

Und man kam meist doch aus eher armen Verhältnissen, war nicht geübt im gesellschaftlichen Leben, wenig kulturell gebildet und hat doch Unternehmen gegründet, die Deutschlands ökonomische Zukunft bis heute bestimmen. Opel, Thyssen, die Deutsche Bank, auch Rothschild, Raiffeisen und auch Krupp entstanden oder wurden zwischen 1848 und 1871 beherrschend. Das macht die Zeit nach der verlorenen Revolution für Deutschland heute noch bedeutsam und legt den Grund für das Interesse des DHM. Ulrike Laufer, Kuratorin der Ausstellung:

""Das Leben Alfred Krupps, der als 14-Jähriger ... diesen Lebenstraum entwickelt aus ... ein großes Unternehmen zu gründen und hartnäckig, zielbewusst sich an diese Aufgabe macht, schwierige 1840er Jahre überwinden muss bis dann in den 50er und 60er Jahren dieses Ziel dann zu einem Lebenstraum wird, .... sodass er sich schließlich ... schon auch als der Herr eines eigenen Imperiums fühlen kann."

Die Gründerzeit in Deutschland umfasste auch den Beginn der sozialistischen Arbeiterbewegung. In der Ausstellung findet man die rote Originalfahne Ferdinand Lasalles mit dem Spruch "Einigkeit macht stark" und die präparierte schwarze Staublunge eines Kohlearbeiters. Die Ausstellung zur deutschen Gründerzeit bietet viele Details. Kann man sie aber besuchen, um historische Linien zu erfassen? Nein. Denn um die deutschen Knackpunkte drückt sie sich herum. Beispiel: deutsches völkisches Bewusstsein und Antisemitismus, Hans Ottomeier:

""Der Antisemitismus ist damals stark begründet worden durch das Umschwenken verschiedener Intellektueller und verschiedener Reaktionäre von einem selbstverständlichen Umgang mit ihren jüdischen Freunden dann hin zu einem wütenden Antisemitismus.”"

In der 1000 qm großen Ausstellung darüber kein Wort, kein Detail.

""Im Katalog kommt das durchaus zum Ausdruck und wird auch ... in erörternden Aufsätzen angesprochen.”"

Ein Irrtum, wie sich leider herausstellt. Es findet sich auch nichts zum enormen Exodus Zehntausender deutscher Intellektueller Demokraten nach 1848, welcher das Land um seine gebildetsten Geister gebracht hat und nur die unpolitischen Ingenieure und Unternehmer und reaktionären Adel zurückließ. Deren unheilvolle kulturlose Allianz führte doch erst in den aggressiven plumpen deutschen Reichsimperialismus. Es gibt keinen Bezug zu Themen der Gegenwart – etwa der Diskussion um wirtschaftliche Entwicklung und autoritäre Systeme. Insgesamt fehlt der Ausstellung "Gründerzeit- Industrie und Lebensträume" im DHM der Mut, auch mal klare Aussagen zu wagen.