Eine Dimension genügt

Von Michael Laages · 13.12.2009
Mit Alfred Döblins berühmten Roman "Berlin Alexanderplatz" hat das gleichnamige Stück von Regisseur Volker Lösch an der Schaubühne wenig zu tun. Allerdings hat das Theater für die Aufführung 22 ehemalige Strafgefangene "gecastet".
Inzwischen behauptet der erfolgreiche Theatermacher Volker Lösch vorsichtshalber und klugerweise gar nicht mehr, Stücke nach Texten zu inszenieren. Die auch gerichtlich geführten Auseinandersetzungen um "Die Weber" in Dresden und das "Marat/Sade"-Stück von Peter Weiss in Hamburg sind noch in bester, das heißt: schlechtester Erinnerung. Und wer zuletzt an der Volksbühne mitbekommen hat, wie extrem pingelig sich auch Alfred Döblins Nachlassverwalter anstellen können, der ahnt, dass "Berlin Alexanderplatz" an der Berliner "Schaubühne" nie zur Premiere gekommen wäre, wenn nicht Lösch selber, die Dramaturgin Maja Zade und das Ensemble als Autoren des Abends zeichnen würden. Und auch inhaltlich stimmt der Umweg ja – mit "Berlin Alexanderplatz" als Roman hat die Lösch-Version nahezu nichts im Sinn.

Zwar lässt er (von "richtigen" Schauspielern aus dem wieder Mal weithin mittelmäßigen Ensembles der "Schaubühne") den Plot des Buches erzählen – Franz Biberkopf und die geliebte Mieze kommen vor, der Banden-Boss Pums und Reinhold, der liebliche Todesengel im Roman; und die Kern-Punkte der Biberkopf-Story werden - sagen wir mal - angespielt. "Inszeniert" wäre zu viel behauptet – es wird vor allem gebrüllt und gerannt, es wird ein wenig Gewalt fingiert und etwas hanebüchen über den Drogenmissbrauch in der Theaterszene räsoniert. Nichts von den Abgründen der Döblin-Sprache, nichts von der rituell-religiösen Unterspur des Romans, Auferstehung inklusive, vor allem aber nichts von der Stadt ist zu spüren an Löschs "Alexanderplatz".

Selbst die pflichtschuldigst zitierte Dampframme, die den Bahn-Bau vorantreibt, ist nurmehr ein müdes Zitat. Dem Theatermacher Lösch reicht halt auch hier ein Motiv: das des Strafgefangenen, der aus Tegel nach Berlin zurückkommt und vor allem "gut" bleiben will. Der Roman erzählt bekanntlich, warum das nicht geht; warum "die Stadt", als große Hure Babylon, das nicht zulassen kann – das aber wäre für Lösch schon viel zu viel an Horizont.

22 echte Ex-Knackis hat das Team fürs Theater "gecastet"; und drei sind wieder zu erkennen aus den Produktionen des wirklichen Tegeler Knast-Theaters "AufBruch". Auch der dort inzwischen prägende Regisseur Peter Atanassow setzt ja ganz auf Chöre – die drei aus Tegel waren also gut vorbereitet. Um die knappen "Alexanderplatz"-Szenen herum erzählen nun die Männer (und Frauen!) des Chores mehr oder weniger eigene Geschichten: Warum sie im Knast landeten und wie dort lebten. Mancher leidet bis an die Grenzen des Selbstmords – und gedenkt der Leiden der Geiseln beim Banküberfall mit durchaus aufrichtigem Bedauern. Den großen Dreh der Döblin-Bande um Pums und Reinhold spielt der Chor dann aber in Panzerknacker-Kostümen aus dem Disney-Fundus – ulkig.

Erst gegen Ende wird dann auch zugegeben, dass mancher Bruch, manche Fahrt im geklauten Porsche eine ziemlich geile Sache gewesen sei, dass Verbrechen also zunächst auch Spaß mache – aber da trägt der Chor schon Business-Anzüge und gibt sich als Bande von Geschäftsgangstern an der Börse. Derart polemisch und angriffslustig geht Lösch praktisch immer vor; und dagegen ist nichts zu sagen. Auch die Bühne folgt dieser Idee – denn Teile des Publikums und die Spieler sind in einem Meer aus Münzen daheim, in einem See aus Geld. Das Geld ist allerdings falsch – wie das Fundament dieser Gesellschaft.

Wenn nur nicht alles so spekulativ wirken würde – mit wieder mal einer neuen Randgruppe, die sich mit der bewährten Chor-Methode zu Wort melden darf im Lösch-Theater. Das wirkt inzwischen ermüdend berechenbar; jedenfalls für den, der schon mehr als eine dieser Lösch-Produktionen gesehen hat. Einar Schleef, das große Vorbild in der Neu-Nutzung des antiken Chor-Theaters (dessen Chor-Leiter Bernd Freytag heute mit Lösch arbeitet), setzte immerhin noch Literatur auf diese Spur; und auch Lösch unternimmt ja gelegentlich diesen Versuch – mit "richtigen" Düsseldorfern oder Stuttgartern, die "Faust" oder den "Besuch der Alten Dame" spielen. Hier, an Löschs "Alexanderplatz", ist aber kaum mehr etwas zu ahnen von der Sprengkraft des Romans; die war zuletzt präsent in Frank Castorfs großer Inszenierung, die von Zürich nach Berlin (und an ihren ureigenen Ort) übersiedelte. Und auch das grandiose "Alexanderplatz"-Projekt von Roland Brus mit "AufBruch" sei erinnert, das im "echten" Knast und am "echten" Alexanderplatz spielte beim "Theater der Welt" vor zehn Jahren.

Vielleicht kommt das Unbehagen über Lösch ja auch ein wenig daher, dass der Alexander- hier der Lehniner Platz ist; und der obere Ku'damm plötzlich Scheunenviertel spielen soll. Das ist ein Sprung, der irgendwie ins Leere gehen muss – was das Publikum am alten Wessie-Boulevard allerdings nicht daran hindert, extrem ausdauernd die tollen Typen aus dem Knast zu bejubeln.

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Weitere Vorstellungen am 1., 8., 10., 11. und 12. Januar 2010