Eine Burg für einen Euro

Von Peter Frei |
Das Schönste an der Hohkönigsburg ist die Aussicht aus über 750 Meter Höhe auf die Vogesen des Unterelsass und in die oberrheinische Tiefebene. Das Faszinierendste aber ist die Geschichte dieser Burg inmitten Europas.
Sie begann im 12. Jahrhundert unter anderen mit den Staufern. Auf Umwegen fiel sie später an das Haus Habsburg. Im Dreißigjährigen Krieg legten schwedische Söldner Feuer an die Burg. Im 19. Jahrhundert schließlich wurde der französische Staat ihr Eigentümer. Nach dem Preußisch-Französischen Krieg 70/71 schenkten die Stadtväter von Schlettstadt, heute Sélestat, die Hohkönigsburg dem deutschen Kaiser. Der ließ die Burg restaurieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel sie zusammen mit dem Elsass zurück an Frankreich. Fortan war die Burg das einzige Nationaldenkmal des französischen Staates im Elsass und das nicht ohne Symbolkraft nach dem demütigenden Hin und Her zwischen den früheren Erbfeinden.

Heute, mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs zählt auf der Hohkönigsburg eher touristische Kaufkraft als nationale Symbolkraft.
Edelzwicker von den Weinbergen des Elsass, Flammkuchen, Eis am Stil und gutes Bier haben über Jahrzehnte mitgeholfen, diesen spezifischen Bereich deutsch-französischer Beziehungen zu entkrampfen. Und so wird Anfang nächsten Jahres ein hochbedeutendes nationales Symbol Frankreichs provinzialisiert. Was will der normale Europäer mehr, auch wenn die Regierung in Paris das symbolträchtige Denkmal vielleicht nur für diesen einen Euro an das Departement Unteres Elsass verscherbelt, um Unterhaltskosten zu sparen. Wir sind wieder einen kleinen Schritt weiter in Europa.

Europa vom britischen Wales bis in die Ebenen des Ostens, von Wasserburgen im Norden bis zu Bergfesten in den Alpen und entlang seiner großen Flüsse ist eine Region voller Burgen. Die Historie dieser Festen ergibt ein Geschichtsbuch europäischer Irrungen und Wirrungen, nur in Ausnahmefällen und in Märchen auch ritterlicher Tugenden. Bis in die aktuelle Gegenwart wirkt diese Geschichte nach. Muslime haben bis heute nicht vergessen, dass Kreuzritter im 12. Jahrhundert von ihren Burgen am Rhein und im Frankenland auszogen, um Jerusalem in christlichem Auftrag zurückzuerobern. Viele, viele Muslime wurden massakriert, bis Saladin mit seinen Krummsäbeln wiederum viele, viele Kreuzritter niedermachte. In den Reden islamischer Hassprediger gegen den christlichen Okzident im Allgemeinen und das Satanische im Speziellen dürfen neben Präsident Bush die Crusader, eben die Kreuzritter, auch heute nicht fehlen.

Für die meisten von uns sind Burgen oder das, was von ihnen übrig blieb, Objekte romantischer Verzückung, erst recht bei Mondschein. Staatliche Denkmalspfleger, Gemeinden, Bürgerinitiativen und private Unternehmer revitalisieren die geschichtsträchtigen Bauten in Form von Hotels, Jugendherbergen, christlichen Begegnungsstätten oder spinnen die Burggeschichten als touristische Attraktion in Märchen und Sagen fort.

An dem einen oder anderen Platz allerdings wird das Treiben der Burgfräulein und Burgknappen von heute mit kritischer Aufmerksamkeit begleitet. Referate etwa zum "Selbstverständnis und der Aufgabe der germanisch-keltischen Frau von heute" oder so genannte Runen-Seminare rufen Wächter gegen rechtsradikale Umtriebe auf den Plan.

Der normale Burgbetrieb, auch der als Spielzeug nachgestellte, ist harmlos. Das Schlimmste, was einem passieren kann, ist der Wunsch des Enkels, doch bitte, die Burg aus den tausend gelieferten Einzelteilen auf der Stelle zu einer Feste zusammenzubauen, einschließlich Falltür im Turm. Sechs Stunden muss ein durchschnittlich begabter Opa einschließlich des Hissens von Ritterwimpeln auf der höchste Zinne veranschlagen, bis das Werk nach mitgeliefertem Bauplan vollendet ist. Es bleibt keine Zeit für selbstquälerische Gedanken, ob Ritter und Schwerter, Hellebarden und Armbrüste nicht zu martialisch seien für eine im Prinzip pazifistisch angelegte Erziehung. Dafür schieres Entsetzen am Ende, wenn der Opa – obwohl er sich streng an die Bauanleitung gehalten hat - noch sieben Bausteine und ein Burgfenster übrig hat. Wehe, der Enkel merkt das.

Eine ordentliche Spielzeugburg kann um die 150 Euro kosten. Da ist doch der Kaufpreis von einem Euro für die Hohkönigsburg im Maßstab 1:1 für das Departement Unterelsass geradezu ein Schnäppchen.

Peter Frei, Jahrgang 1934, war zunächst Redakteur bei der NRZ. 1962 ging er zum Deutschlandfunk und 1967 nach Baden-Baden zum SWF. Er war zehn Jahre lang Korrespondent in London, danach in Bonn, von 1991 an Chefredakteur des SWF und von 1993 bis 1998 sein Hörfunkdirektor.