Eine Blumenhändlerin in der Coronakrise

Die tägliche Angst vor dem Aus

06:06 Minuten
Porträt der Blumenhändlerin Olga Sirotin.
Weiß nicht, wie sie mit ihrem Geschäft durch die Coronakrise kommen soll: die Berliner Blumenhändlerin Olga Sirotin. © Deutschlandradio / Henrike Möller
Von Henrike Möller · 30.11.2020
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Der Berliner Blumenhändlerin Olga Sirotin sind durch den Corona-Lockdown 60 Prozent ihres Umsatzes weggebrochen. Noch kann sie ihre Mitarbeiterinnen in Kurzarbeit beschäftigen. Aber wie lange noch? Und wie geht sie mit ihrer zunehmenden Verzweiflung um?
"Dass ich meine Mitarbeiter durch diese Zeit nicht durchbringen kann und dass es zu Kündigungen kommen könnte, das ist meine größte Angst", sagt Olga. "Das geht nicht spurlos an mir vorbei."
Hier ist er also: "Olgas Blumenbett", ein Blumenladen im Prenzlauer Berg, Kollwitz-Kiez. Das ist ein sehr schöner, sehr schicker, sehr teurer Kiez.

Als erstes streichen die Hotels die Blumendeko

Von außen schon schön rot und weihnachtlich dekoriert mit Lichtern und kleinen Beeren, roten Hagebuttenbeeren. Die zieren den Eingang, und wenn man reinlinst, sieht man richtig schöne Adventsgestecke. Sehr pompös. Also nicht unbedingt der Low-Budget-Blumenladen.
"Mein Blumenladen hat zwei Standbeine: Wir verkaufen hier Blumen und Pflanzen aus dem Laden direkt und das andere Standbein sind Veranstaltungen und große Dekorationen. Wir haben zum Beispiel einen Dauerauftrag in einem größeren Hotel in Berlin, wo wir Front Office und Concierge Desk mit Blumen dekorieren", sagt Olga.
"Die Hotels haben momentan absolutes Sparmodus-Programm. Daher werden natürlich auch als erstes die Blumen gestrichen. Und Veranstaltungen finden gar nicht mehr statt. Unsere Mitarbeiter sind seit März 2020 auf 50 Prozent Kurzarbeit. Infolge der Kurzarbeit mussten wir unsere Öffnungszeiten auf die Hälfte reduzieren. Das merken wir natürlich auch."
Wie sehr beeinträchtigt die Sorge um die Zukunft ihres Ladens die tägliche Arbeit? Ist das etwas, das immer im Hinterkopf lauert?
"Ich bin schon jeden Tag sehr besorgt. Es ist ein Teil meines Lebens geworden. Auch aufgrund der Verantwortung, die ich für die Mitarbeiter trage."
Drei Mitarbeiterinnen und eine Auszubildende beschäftigt Olga.
"Es macht mir einfach große Angst, dass wir es doch nicht schaffen könnten. Nach dem ersten Lockdown dachte ich kurzzeitig, okay, wir schaffen das. Aber jetzt, nach dem zweiten, bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob ich mein Team nicht doch komplett entlassen müsste aufgrund von fehlenden Arbeitsaufträgen. Ich versuche aber trotzdem, für mein Team da zu sein und stark zu sein. Die psychische Belastung ist schon sehr enorm. Ich bin wirklich komplett ausgebrannt. Ich glaube, ich mache das wirklich für die Leute um mich rum. Oh Gott, ich heule gleich."

"Seit dem ersten Lockdown hatte ich nicht mehr frei"

Olga bittet, das Mikro kurz auszumachen. Tränen laufen ihre Wangen hinab. Im hinteren Teil des Blumenladens sind ihre Mitarbeiterinnen dabei, Blumensträuße zu binden. Olga will nicht, dass sie merken, wie sehr sie die Situation belastet. Das hat sie mir schon vor unserem Treffen am Telefon gesagt. Sie müsse stark sein. Für ihr Team.
Olga steht auf und läuft eine Runde durch den Laden, sie begutachtet die frischen Schnittblumen und den diesjährigen Advents-Trend "Red in Red": Adventskränze aus rot gefärbtem Moos mit roten Kerzen. Dann setzt sie sich wieder, deutlich gefasster.
"Auch wenn unser Laden nur einen halben Tag geöffnet hat, heißt das nicht, dass ich nur einen halben Tag im Laden stehe: Zwischen 4 und 5 Uhr aufstehen, auf den Großmarkt, Lieferungen machen, Mitarbeiterplanung ... Seit dem ersten Lockdown hatte ich nicht mehr frei. Daran war gar nicht zu denken. Ich weiß nicht, was nach Weihnachten kommt, vielleicht ein paar Erholungstage. Hoffentlich breche ich dann nicht zusammen."

Von Monat zu Monat durchhalten

Unter Corona sind ja manchmal auch kreative Ideen entstanden von Leuten, die aus der Not heraus in eine ganz andere Richtung gedacht haben oder etwas ganz anderes gestartet haben. Hat sie sich schon einmal überlegt, aus dem Blumenbusiness heraus etwas zu machen, was in diesen Zeiten funktionieren könnte?
"Was ich mir vorstellen könnte, wäre ein Onlineshop. Allerdings nicht für Blumen, sondern für Gefäße und hochwertige Keramiken und Vasen", sagt Olga. "Aber weil ich ja nicht aus dem Bereich komme, kostet es mich auch wahnsinnig viel Kraft, überhaupt in die Richtung zu gehen. Weil mein Laden natürlich meine ganze Freizeit wegnimmt. Es bleibt momentan überhaupt keine Zeit, um über eine Veränderung nachzudenken oder einen anderen Zweig. Das schaffe ich einfach nicht, mir bleiben keine Kräfte dafür. Weder körperlich noch mental. Mein Ziel ist jetzt einfach, Monat zu Monat durchzuhalten. Und dafür kämpfe ich jeden Tag."
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