Eine bezaubernde Geschichte

Rezensiert von Helmut Böttiger |
Kurt Tucholskys bezaubernde Geschichte vom „Schloss Gripsholm“ aus dem Jahr 1931 ist mittlerweile weltweit in Millionenauflage verbreitet, und deswegen ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch die für edel aufgemachte literarische Entdeckungen bekannte „Manesse Bibliothek der Weltliteratur“ nun dieses Bändchen aufgenommen hat: Damit ist der Klassikerstatus auch bibliophil gesichert.
Fritz J. Raddatz, der Vertraute von Tucholskys Witwe Mary, hat ein kurzes Nachwort dazu verfasst, das die Tragik dieses Autors umreißt: Am Vorabend der Machtergreifung durch die Nazis schreibt der bereits ins schwedische Exil ausgewanderte Autor eine heitere, beschwingte Liebesgeschichte voller Diesseitigkeit und vermeintlich zeitenthobenem Glück, von dem niemand glauben kann, dass die Schatten des 1935 verübten Selbstmords des Autors nicht darauf gefallen sind.

Der Ich-Erzähler nennt sich Daddy und fährt mit seiner „Prinzessin“ namens Lydia, der Sekretärin eines dicken schwitzigen Berliner Seifenfabrikanten, nach Schweden, bis zum Städtchen Mariefred am Mälarsee und dessen altem Schloss Gripsholm. Dort verbringen sie für mehrere Wochen einen vergnügten Urlaub, der auch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie zunächst von Karlchen, dem Freund des Ich-Erzählers, und danach von Lydias Freundin Billie besucht werden, die auch erotische Ausweitung der Zweisamkeit in zeitweilige Dreisamkeit ist von Tucholsky keck, aber nie schlüpfrig in Szene gesetzt, gerade die berühmte anzügliche Stelle entbehrt nicht großem stilistischem Geschick und Gespür.

Die Zeitgeschichte lugt aber doch, im Gegensatz zu Tucholskys anderem Bestseller „Rheinsberg“, an einigen Stellen hindurch: Aus einem nahegelegenen Kinderheim befreien Daddy, Lydia und Billie ein kleines Mädchen vom Terrorregime einer schrecklichen Heimleiterin. Danach endet der Urlaub, und sie fahren wieder zurück in ihren Alltag nach Berlin, wissend, dass man den gesellschaftlichen Bedingungen nicht für immer entfliehen kann:

„Man denkt oft, die Liebe sei stärker als die Zeit. Aber immer ist die Zeit stärker als die Liebe.“

Raffiniert ist der Einbau der plattdeutschen Mundart, in der Lydia brilliert, viele ihrer Wortmeldungen werden in „Missingsch“ wiedergegeben, einer kühnen Mischung aus Plattdeutsch und Hochdeutsch. Damit arbeitet Tucholsky virtuos gegen die Klischees von Heimat- und Trivialliteratur, wie seine Tonlage überhaupt nicht romantisierend und sentimental ist, sondern widerborstig und berlinisch-flott: Seine Figuren sind das, was man im Stil der Zeit „sachlich“ nannte.

Auch der fiktive Briefwechsel mit seinem Verleger Ernst Rowohlt am Beginn des Buches, der die Handlung erst möglich macht, karikiert die ökonomischen Bedingungen einer freien Schriftstellerexistenz. Tucholsky lässt Rowohlt sagen, dass sich etwas Leichtes besser verkaufe. Und dann fällt unvermittelt der Satz: „Sie hatte eine Altstimme und hieß Lydia.“ „Schloss Gripsholm“ ist eine sachliche Romanze, eine wunderbar schwebende Geschichte, ohne dass sie seicht oder weltentrückt wäre. So etwas kommt auch heute äußerst selten vor.

Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm. Eine Sommergeschichte.
Manesse Bibliothek der Weltliteratur
Zürich 2006
250 Seiten.