Eine berühmte Liebesgeschichte

Von Kim Kindermann · 28.03.2008
In der Wetzlarer Altstadt findet sich ein Ort, der Zeuge einer der größten deutschen Lieben der deutschen Literaturgeschichte wurde: der Liebe von Johann Wolfgang Goethe zu der damals 17-jährigen Charlotte Buff. Einer Liebe, die durch Goethes Roman "Die Leiden des jungen Werther" unvergessen wurde. Der Ort: das sogenannte Lottehaus.
"Wir sind im berühmten Vorsaal, dieser Begriff ist heute nicht mehr üblich, wir würden schon eher sagen Flur oder so etwas. Goethe nennt diesen Raum in seinem Werther geräumig."

Hartmut Schmidt. Seit 23 Jahren ist er der Museumsdirektor des Lottehauses, eines schlichten weißen Eckhauses, mit einer grauen rustikalen Holztür und kleinen Fenstern, das ehemals zum Gut des Deutschen Ordens gehörte.

"Wenn sie sich umgucken, dann weiß ich nicht, was Goethe hier gesehen hat."
Das muss man sich tatsächlich fragen, wenn man in diesem vier Quadratmeter kleinen, dunklen Raum steht, an dessen Rückwand eine Treppe in den ersten Stock führt und der gerade mal Platz für eine Kommode hat. Was also hat Goethe gesehen, als er das heutige Lottehaus am 9. Juni 1772 betrat?

"Lotte."

Die 17-jährige Charlotte Buff, Lotte wird sie genannt, führt den Haushalt und muss ihre elf Geschwister versorgen nachdem ihre Mutter früh gestorben war. Als sie Goethe trifft, ist sie fein gemacht für ein Tanzfest zu Ehren Goethes, der in Wetzlar am Reichskammergericht ein Praktikum macht.

Und dann muss man sich klar machen passiert einer der großen Betriebsunfälle der deutschen Literatur: Denn Goethe findet diese junge Dame, die aus sozialen Erwägungen gesellschaftlichen Gründen mitgenommen wurde, fesselt ihn unglaublich. Und seit diesem Tag ist er dann täglich hier gewesen, weil Lotte ihn so fasziniert hat.

Und genau das macht den Reiz dieses Ortes aus. Man taucht ein in diese Liebesgeschichte, die Goethe 1774 unter dem Titel "Die Leiden des jungen Werther" weltberühmt macht. Jedes der zwölf Zimmer mitsamt seiner Einrichtung, seinen Bücher, Bildern und Briefen atmet den Zauber vergangen Tage:

"Dieses sind die Räume, die der Amtsmann Buff persönlich genutzt hat."

Sie liegen im Erdgeschoss. Gleich gegenüber der Küche. Heute stehen hier eine ganze Reihe von Glasvitrinen, in denen sich zahlreiche Werther Ausgaben und Übersetzungen finden – vom Original bis zur heutigen Zeit.

"So ist es. Wir stellen zunächst einmal, auch das ist eine Besonderheit, eine originale Wertherausgabe aus. Sie müssen sich vorstellen, dass dieses Buch ja wahrscheinlich nur in wenig über 800 Exemplaren gedruckt wurde und sie könne sich denken, was Krieg und Zeitumstände mit diesen 800 Exemplaren gemacht haben, also eine Original Wertherausgabe ist heute schon eine große Kostbarkeit.

Übrigens kann man auf dieser Ausgabe sehr schön sehen, dass auf dem Titelblatt der Name des Autors fehlt. Goethe hat den Roman anonym publiziert und ich glaube, er hat gut daran getan, denn damals 1774 ist Goethe noch kein Markenzeichen, das kommt erst nach dem Roman, da beginnt sich erst sein europäischer Ruhm zu vermehren."

Direkt daneben liegt eine Kopie der Leipziger Zensurbehörde, die den Werter auf den Index setzte, weil man den Text wegen seines Ausgangs, Werther begeht Selbstmord, als zu gesellschaftskritisch empfand. Seinem europaweiten Siegeszug hat das aber nicht geschadet. Wie eine kleine Meissner Porzellantasse, Hartmut Schmidts Lieblingsstück, beweist.

"Das ist eine kleine Geschichte, die ich persönlich sehr liebe, denn sie haben hier ganz frühe Ausprägung von Fanartikeln. Auf der Untertasse, die so eine Steinmarmorisierung hat, ist in der Mitte ein Damenporträt angebracht, in einem kleinen Perlrahmen, oben ist ein kleines Schleifchen darüber in Gold und unten drunten steht, wer das ist, nämlich Lotte. Und auf der Obertasse ist dasselbe mit einem Herrenporträt und natürlich ist das Werther."

Werther war Kult. Und Lotte deshalb auch. Alles was sie schrieb, berührte und getragen hat, war anbetungswürdig und findet sich hier im Museum: Ihr weißes Ballkleid genauso wie ein Unterrock, ein Medallion und ihr Sonnenschirmchen. Ihr Klavier steht hier. Ihr Schreibtisch. Ihre Bilder hängen an den Wänden. Lotte war eine Art VIP, alles an ihr interessierte. Das merkten Wetzlarer Bürger schnell. 1863 öffneten sie ein erstes Zimmer im Lottehaus für die Öffentlichkeit:

"Das Lottezimmer war die gute Stube dieses Hauses. Hier hat Lotte ihre Kindheit und Jugend verbracht, sofern die Familie repräsentieren wollte, denn ein solcher Raum wurde nicht täglich genutzt."

Und so erzählt dieses Haus, das über drei Jahrzehnte der Familie Buff als Wohnort diente, nicht nur von Lotte und Goethe, sondern auch vom damaligen bürgerlichen Leben und seinen Konventionen.

Frauen im 18. Jahrhundert heiraten jung, meist ältere Männer. Sie werden früh schwanger und müssen sich um Kinder, Haus und Hof kümmern. Das galt auch für Lotte. Als sie Goethe trifft, ist sie bereits mit dem zehn Jahre älteren Kestner verlobt.

Goethes Werben um sie, seine täglichen Besuche in ihrem Haus sind aussichtslos, verärgern aber dennoch Lottes Verlobten. Nachdem Kestner Goethe zu einem ernsten Gespräch bittet, reist letzterer sofort am nächsten Tag überstürzt aus Wetzlar ab. Seine Spuren aber bleiben. 1774 erscheint der Werther und machen Goethe wie Lotte unsterblich.

In Kooperation mit dem Deutschen Museumsbund stellt Deutschlandradio Kultur im Radiofeuilleton jeden Freitag gegen 10:50 Uhr im "Profil" ein deutsches Regionalmuseum vor. In dieser Reihe wollen wir zeigen, dass auch und gerade die kleineren und mittleren Museen Deutschlands unerwartete Schätze haben, die es sicht lohnt, überregional bekannt zu machen und natürlich auch zu besuchen.