Eine Ausstellung als Sehschule

Von Ulrike Gondorf · 16.07.2011
Die Malerin Tomma Abts macht sich rar im Ausstellungsbetrieb. Ihre kleine, aber aufregend schöne Schau ist eine seltene Gelegenheit, sich mit ihren Bildern bekannt zu machen. Ausgezeichnet mit dem Turner Prize hat die in Kiel geborene und in London lebende Abts derzeit eine Professur an der Düsseldorfer Akademie inne.
Soviel Raum war selten: der zwei Geschosse übergreifende große Saal der Düsseldorfer Kunsthalle präsentiert, in exakten Abständen in Augenhöhe auf die weißen Wände platziert, zehn Bilder. Kleine Bilder, alle exakt gleich groß; 38 mal 48 Zentimeter. Einige machen zuerst auf sich aufmerksam mit kräftigen Farben in dynamischer Bewegung, andere halten sich zurück, beherrscht von Grau- oder Erdtönen. Der erste Eindruck ist luftige Weite, in der man sich ungestört der Kunst annähern kann.

"Diesen Luxus sich zu gönnen, war ne große Freude", " sagt Gregor Jansen, Kurator der Ausstellung. " "Normalerweise ist man bemüht, ein großes Angebot zu zeigen. Hier bei Tomma Abts war der Wunsch, wenig zu zeigen und die Konzentration wie eine Sehschule zu formen. Da braucht man Raum."

Wer sich mit den Bildern beschäftigt, spürt sofort, dass sie Platz brauchen - und füllen. Die kleinen Bilder von Tomma Abts sind außerordentlich konzentrierte, sozusagen hochdosierte Malerei, die im Betrachten sich auffächert, ein ganzes Kraftfeld um sich entfaltet. Abstrakte geometrische Figuren sind in spannungsvolle Beziehungen von Form und Farbe gesetzt: Kreis-Segmente, Quadrate, parallele und sich kreuzende Linien, in Strudeln bewegte Dreiecke. Wenn die Künstlerin, wie im Plakatmotiv für die Ausstellung, kräftiges Rot, Blau und Grün dafür wählt, denkt man an die fröhlichen Augentäuschungen der Op Art. Aber das ist nur der erste Blick.

Jansen: "Die Assoziation, die von der geometrischen Abstraktion über den russischen Konstruktivismus zur Op Art führt, sind alle denkbar, sie führen aber nicht weit. (…) Das Problem bei Tomma Abts ist, dass wir in unserer Analogiesuche nicht weiterkommen. (…) Sie möchte, dass etwas aktiv passiert, dass der Betrachter die Bilder als etwas Spannendes, vielschichtig Lesbares empfindet."

Und das zwingt zum langen, zweiten Blick, zu einer Entdeckungsreise unter die Oberfläche der Bilder. Die vielleicht eigentlich gar keine Bilder sind – keine "Flachware", wie es im Jargon der Ausstellungsmacher heißt.

Tomma Abts malt dreidimensional und treibt ein unerschöpflich faszinierendes Spiel mit dem ältesten Thema der Malerei: Wie kann man auf ebener Fläche die Illusion von Räumlichkeit erzeugen? Sie tut das mit allen Tricks, die die Kunstgeschichte überliefert hat: mit Größenverhältnissen, sich überschneidenden Formen, Farbwirkungen, gemalten Schatten. Aber sie tut es auch durch den Aufbau der Farbschichten auf der Leinwand, der deutlich erkennbar wird und den langsamen Arbeitsprozess, das allmähliche Wachstum der Malerei, sichtbar macht. Bei genauem Hinsehen sind die Bilder farbige Reliefs. Über Monate, manchmal Jahre arbeitet die Künstlerin immer wieder an einem Objekt.

"Man hat den Verdacht, durch diese Erhabenheiten, diese Grate, dass sie abklebt. Nein, sie setzt langsam, minutiös, Schicht auf Schicht. (…) Sie nimmt aber auch wieder weg. Man sieht Schichten, die hinter den oberen Flächen liegen, es ist ein Herausschälen durch Addition."

Man könnte den Prozess mit der behutsamen Annäherung an ein fremdes Wesen vergleichen, wenn man die Spur aufnimmt, die Tomma Abts mit den Titeln ihrer Werke legt. Sie lauten zunächst etwas rätselhaft "Feye", "Norüm", "Teite" oder "Zeys". Es sind seltene, friesische Vornamen, mit denen die 1967 in Norddeutschland geborene Künstlerin ihre Bilder bezeichnet. Auch das typische, immer gleiche Hochformat deutet daraufhin, dass hier Form- und Farbgestalten wie Porträts erfasst, wie Charakterbilder erforscht werden.

Jansen: "Ich hab mir immer versucht zu erklären, dass das Bild einen Charakter bekommt, wie ein Individuum, das einen Namen verdient."

Erläutert Kurator Gregor Jansen. Denn die Künstlerin Tomma Abts liefert keine Interpretationen ihrer Arbeit. Sie lässt die Bilder sprechen. Und in dem hellen großen Raum der Düsseldorfer Kunsthalle treten sie in dieser aufregend schönen Ausstellung in den Dialog mit dem Betrachter, mit dem Raum, miteinander. Man muss – oder besser: Man darf Zeit haben, man wird sich nicht langweilen mit dieser Malerei.

Jansen: "Das ist das Spannende, dass wir hineintauchen können, uns verlieren können in der Oberfläche."

Links bei dradio.de:

Kultur heute: Ornamentale Kunst ohne Hilfsmittel
Die deutsche Turner-Prize-Trägerin Tomma Abts in der Kunsthalle Düsseldorf (DLF)


Link zum Thema:

Kunsthalle Düsseldorf
Mehr zum Thema