Eine außergewöhnliche Frau

29.07.2010
Die Lektüre des umfangreichen Bandes über Margherita von Brentano legt die Vermutung nah: Zu Unrecht ist diese kritische Intellektuelle, die sich in die politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit einmischte, in Vergessenheit geraten.
Marxistin in Kostüm und weißem Alfa Romeo; kritische Intellektuelle und schöne Frau; aus erzkatholischem Haus, mit einem jüdischen Religionsphilosophen und berüchtigten Womanizer verheiratet - Margherita von Brentano war eine schillernde Person und eine Ausnahmeerscheinung im intellektuellen und politischen Leben der Bundesrepublik der 50er- bis 70er-Jahre.

"Eine Collage" nennen Iris Nachum und Susan Neiman ihre 500 Seiten starke Würdigung der Margherita von Brentano. Der vorliegende Band der beiden Wissenschaftlerinnen fördert viel Unpubliziertes aus Brentanos Nachlass zutage. Briefe von und an Brentano, Fotos, autobiografische Notizen, Vorträge, Manuskripte. Ergänzt werden sie durch Interviews mit Weggefährten der Philosophin, die zeitlebens bestrebt war, Schranken zwischen wissenschaftlicher Arbeit und politischem Engagement einzureißen.

Fülle und Disparität des gesammelten Materials vermitteln – jenseits des akademischen Rahmens - das Bild einer bedeutenden Frau, die über intellektuelle Erotik ebenso verfügte wie über argumentative Bannkraft. Margherita von Brentano war eine streitbare, engagierte Aufklärerin und "Altemanze", die lieber Aristoteles lehrte als Marx, aus Gründen des wissenschaftlichen Pluralismus aber für die Berufung eines marxistischen Professors an die Freie Universität in Berlin plädierte.

Ihr kritisches Bewusstsein setzte Standards jenseits der Grenzen politischer Lager. Es hatte sich im katholischen Elternhaus herausbildet. Nachum und Neiman rekonstruieren durch chronologische, themenorientierte Anordnung des Materials die Entwicklung der Positionen Margherita von Brentanos. Sie unterstreichen ihr Wirken gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus, vom Durchbrechen der "fröhlichen Normalität" im Nazideutschland der späten 1930er-Jahre bis hin zum tatkräftigen Einsatz für ein Holocaust-Mahnmal in den 90er-Jahren.

Brentano, geboren 1922 als Tochter eines Berufsdiplomaten, hatte bei Heidegger studiert und nach Kriegsende als Redakteurin beim Südwestrundfunk gearbeitet. Mit ihrer frühen Auseinandersetzung mit dem Holocaust und der Erfahrung des Faschismus schwamm sie in der Nachkriegszeit gegen den Strom des Vergessens und Verdrängens. Sie brachte vor allem einem jüngeren Publikum den Sinn der Demokratie nah, sozialhistorisches Denken und den Wert politischer Freiheit.

Die Lektüre des umfangreichen Bandes legt die Vermutung nah: Zu Unrecht ist diese kritische Intellektuelle, die sich in die politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit einmischte, für die Kant und Marx Schlüsselfiguren waren, die klug über Terrorismus und Metaphysik dozieren konnte, so schnell in Vergessenheit geraten. Umso verdienstvoller ist dieser Band, der "Das Politische und das Persönliche" dieser außergewöhnlichen Frau vorzüglich darzustellen weiß.

Besprochen von Carsten Hueck.

Margherita von Brentano: Das Politische und das Persönliche. Eine Collage Herausgegeben von Iris Nachum und Susan Neiman, Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 542 Seiten, 34,90 EUR