Eine ausgreifende Assoziationskette

Von Dina Netz |
Die britische Regisseurin Katie Mitchell ist bekannt für ihre Bühnen-Gesamt-Kunstwerke - eine Mischung aus Live-Videoeinspielungen, Film, Musik und Geräuschen. Am Schauspiel Köln hat sie sich jetzt den Roman "Die Ringe des Saturn" von W.G. Sebalds auf die Bühne gebracht.
Sowohl an die "schöne Freizügigkeit" als auch an das "lähmende Grauen" erinnert sich W.G. Sebald nach einer Wanderung durch die ostenglische Grafschaft Suffolk. Als freizügig empfand er die Gegend wegen der weiten, nur spärlich besiedelten Landschaft. Und das Grauen befiel ihn ob der "Spuren der Zerstörung", die zum Teil aus weit zurückliegender Zeit stammen. 1992 war Sebald einige Tage in Suffolk zu Fuß unterwegs, und daran erinnert er sich in "Die Ringe des Saturn".

Die Form des Buches ist schwer zu fassen - es besteht aus Reisenotizen, erweitert um philosophische Betrachtungen. Sebald erzählt, was er auf seiner Wanderung sieht und erlebt; immer wieder bleibt sein Interesse an irgendetwas hängen, und er schweift ab in die Geschichte oder zu Geistesgrößen, in deren Leben die Gegend eine Bedeutung hatte. "Die Ringe des Saturn" ist also eine sehr locker geknüpfte und weit ausgreifende Assoziationskette. Wie soll man das nun auf eine Bühne bringen?

Die britische Regisseurin Katie Mitchell hat die "hohe dramatische Intensität" interessiert: die Spannung zwischen der Ruhe und der Gewalttätigkeit der Landschaft (Erosion der Küsten, Flugfelder des Militärs). Mitchell hat für die Dramatisierung wieder ihre bereits bewährte Arbeitsweise gewählt: Sie inszeniert in Köln ein Live-Hörspiel mit Video-Einblendungen, ergänzt durch wenige Schauspielszenen.

Drei Schauspieler lesen den - stark gekürzten - Text, alle zehn Darsteller machen dazu Geräusche; die Geräuschemacherin Ruth Sullivan zum Beispiel tritt fast die gesamten zwei Stunden auf verschiedenen Untergründen auf der Stelle, um die Wanderung des Erzählers hörbar zu machen. An der bewusst auf verwittert gemachten hinteren Wand laufen Bilder, die meist den Text illustrieren: Marschlandschaften, Meereswogen, heruntergekommene Ortschaften.

Nach anfänglichem Staunen über die elaborierten Bühnenmittel stellt sich bald sinnliche Überforderung ein. Zwar hat Katie Mitchell den 350-seitigen Text klug verkürzt, sodass vor allem Sebalds Wanderung durch Suffolk und seine Beobachtungen des Verfalls übrig bleiben, wodurch die melancholische Stimmung des Buches spürbar wird. Doch nimmt sie ihm dadurch auch viel, denn die Stärke des sebaldschen Texts sind eben genau jene mäandernden Gedankengänge mit all ihren Abschweifungen und die präzisen Beschreibungen, die jetzt fehlen oder die einem vor lauter Bühnengeschehen entgleiten.

Den Darstellern, die all die verschiedenen Ebenen koordinieren müssen und dabei wirklich Beachtliches leisten, gebührt großer Respekt. Am Schluss wirken Akteure und Publikum allerdings erschöpft. So jedenfalls kann man W.G. Sebald nicht auf die Bühne bringen - vielleicht kann man es überhaupt nicht.

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