Eine Art Weihnachtsgeschichte
Um die Hartherzigkeit der Einheimischen gegenüber Fremden geht es in Jan Fosses Erzählung "Schlaflos". Asle und die hochschwangere Alida suchen vergeblich nach einer Bleibe, bis sie sich schließlich einfach den Raum nehmen, den sie brauchen - Biblisches in die Neuzeit verlegt.
Jon Fosse nimmt dem hektischen Weltgebaren seine Aufgeregtheit, indem er die großen Themen in seiner Prosa aufruft: Geburt, Liebe und Tod. Das Ultimative verblasst, alles Trendige wirkt fade und der sogenannte letzte Schrei verhallt ungehört, wenn Fosse an den ersten erinnert.
Seine Geschichten verortet der norwegische Autor in archaischen Landschaften, zu denen das Meer, ein Haus und ein Boot gehören. Pompöses interessiert ihn nicht. Die Prosa des großen Minimalisten in der europäischen Literatur ist schnörkellos – sie kommt ohne barocken Zierrat aus. Er reduziert das Wesentliche auf Weniges.
Eines seiner wiederkehrenden Themen heißt Abschied. In "Morgen und Abend" (2001) erzählt er von den letzten Stunden eines Fischers, dessen Leben - beginnend mit der Geburt - noch einmal an ihm vorüberzieht.
Mit der Geburt eines Jungen, den die Eltern Sigvald nennen, endet Fosses neue Erzählung "Schlaflos". Die Geschichte, eine einzige biblische Anspielung, handelt von Asle und Alida. Asle muss nach dem Tod seines Vaters aus dem zur Miete bewohnten Haus ziehen und auch Alida kann im Hause ihrer Mutter nicht bleiben, von der sie als Hure beschimpft wird.
Alida erwartet ein Kind von Asle, doch beide sind nicht verheiratet. Im Dorf können und wollen sie nicht bleiben, weshalb sie nach Bjørgvin fahren, weil sie hoffen, in der Stadt ihr Glück zu finden. Sie brauchen ein Boot, das Asle stiehlt, und Alida nimmt sich von der Mutter, was sie ihr freiwillig nie gegeben hätte: Proviant für die Reise und etwas Geld.
Doch Bjørgvin empfängt das Paar mit Kälte. Niemand will den Fremden Obdach gewähren, es gibt kein Zimmer für Asle und Alida, keine Tür öffnet sich den Frierenden, die vom Regen durchnässt sind. Wo immer sie auch anklopfen, man weist sie ab. Eine junge Frau würde Asle aufnehmen, aber er müsste Alida wegschicken, und der Portier einer Herberge zieht Alida mit seinen Blicken förmlich aus, weshalb sie in diesem Haus nicht bleiben will.
Die Situation ist aussichtslos: Es ist zu kalt, um die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Sie müssen ein Zimmer finden, denn die werdende Mutter kann jederzeit niederkommen. Als sie nach endlosem Umherirren erneut an der Tür klopfen, die ihn bereits beim ersten Mal verschlossen blieb, belässt es Asle nicht beim Fragen. Er dringt in das Haus der hartherzigen alten Frau ein und nimmt sich, was er anders nicht bekommt: ein Bleiberecht.
Zu groß ist seine Not, als dass er noch weiter bitten könnte. Als Alidas Wehen wenig später einsetzen, sucht Asle eine Hebamme, was in Bjørgvin für Verwunderung sorgt, denn er sucht nach eben jener Frau, in deren Haus er doch untergekommen ist.
Fosse versetzt die biblische Geschichte, die in einem Stall in Bethlehem zu einem glücklichen Ende findet, in die Neuzeit. Doch er verzichtet auf Hinweise, aus denen sich konkrete Zeitbezüge ableiten ließen. Die Zeit, in der er die Handlung verlegt, ist vergangen, aber sie ist gegenwärtig genug. Die Hartherzigkeit, mit der die Menschen in Bjørgvin den Fremden begegnen, ist kein Relikt der Vergangenheit.
In Fosses Erzählung wird an Elementarstes erinnert: an Glück, Liebe, und an die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit dauern kann, wonach sich die Menschen sehnen. Davon wird immer wieder erzählt und wenn Fosse sich der Geschichte annimmt, weiß er, in welcher Tradition er steht.
Auch er wird nicht der Letzte sein, der klagt. Nur zögerlich geht der vom norwegischen Staat mit einem Stipendium auf Lebenszeit ausgezeichnete Autor mit dem Punkt am Satzende um. Sehr viel häufiger schließt er mit einem "und" an, so entsteht der Eindruck, als müsse noch Verschiedenes bedacht werden.
Man muss wie Fosse erzählen können, um an solch einem erzählerischen Wagnis nicht zu scheitern. Es ist die einfache und sehr melodiöse Sprache, die einen bei der Lektüre leitet und eben dahin führt, wo der Text keine Ausweichmöglichkeit zulässt.
Rezensiert von Michael Opitz
Jon Fosse: Schlaflos. Erzählung
Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel
Rowohlt Verlag
79 Seiten, 14,90 Euro
Seine Geschichten verortet der norwegische Autor in archaischen Landschaften, zu denen das Meer, ein Haus und ein Boot gehören. Pompöses interessiert ihn nicht. Die Prosa des großen Minimalisten in der europäischen Literatur ist schnörkellos – sie kommt ohne barocken Zierrat aus. Er reduziert das Wesentliche auf Weniges.
Eines seiner wiederkehrenden Themen heißt Abschied. In "Morgen und Abend" (2001) erzählt er von den letzten Stunden eines Fischers, dessen Leben - beginnend mit der Geburt - noch einmal an ihm vorüberzieht.
Mit der Geburt eines Jungen, den die Eltern Sigvald nennen, endet Fosses neue Erzählung "Schlaflos". Die Geschichte, eine einzige biblische Anspielung, handelt von Asle und Alida. Asle muss nach dem Tod seines Vaters aus dem zur Miete bewohnten Haus ziehen und auch Alida kann im Hause ihrer Mutter nicht bleiben, von der sie als Hure beschimpft wird.
Alida erwartet ein Kind von Asle, doch beide sind nicht verheiratet. Im Dorf können und wollen sie nicht bleiben, weshalb sie nach Bjørgvin fahren, weil sie hoffen, in der Stadt ihr Glück zu finden. Sie brauchen ein Boot, das Asle stiehlt, und Alida nimmt sich von der Mutter, was sie ihr freiwillig nie gegeben hätte: Proviant für die Reise und etwas Geld.
Doch Bjørgvin empfängt das Paar mit Kälte. Niemand will den Fremden Obdach gewähren, es gibt kein Zimmer für Asle und Alida, keine Tür öffnet sich den Frierenden, die vom Regen durchnässt sind. Wo immer sie auch anklopfen, man weist sie ab. Eine junge Frau würde Asle aufnehmen, aber er müsste Alida wegschicken, und der Portier einer Herberge zieht Alida mit seinen Blicken förmlich aus, weshalb sie in diesem Haus nicht bleiben will.
Die Situation ist aussichtslos: Es ist zu kalt, um die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Sie müssen ein Zimmer finden, denn die werdende Mutter kann jederzeit niederkommen. Als sie nach endlosem Umherirren erneut an der Tür klopfen, die ihn bereits beim ersten Mal verschlossen blieb, belässt es Asle nicht beim Fragen. Er dringt in das Haus der hartherzigen alten Frau ein und nimmt sich, was er anders nicht bekommt: ein Bleiberecht.
Zu groß ist seine Not, als dass er noch weiter bitten könnte. Als Alidas Wehen wenig später einsetzen, sucht Asle eine Hebamme, was in Bjørgvin für Verwunderung sorgt, denn er sucht nach eben jener Frau, in deren Haus er doch untergekommen ist.
Fosse versetzt die biblische Geschichte, die in einem Stall in Bethlehem zu einem glücklichen Ende findet, in die Neuzeit. Doch er verzichtet auf Hinweise, aus denen sich konkrete Zeitbezüge ableiten ließen. Die Zeit, in der er die Handlung verlegt, ist vergangen, aber sie ist gegenwärtig genug. Die Hartherzigkeit, mit der die Menschen in Bjørgvin den Fremden begegnen, ist kein Relikt der Vergangenheit.
In Fosses Erzählung wird an Elementarstes erinnert: an Glück, Liebe, und an die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit dauern kann, wonach sich die Menschen sehnen. Davon wird immer wieder erzählt und wenn Fosse sich der Geschichte annimmt, weiß er, in welcher Tradition er steht.
Auch er wird nicht der Letzte sein, der klagt. Nur zögerlich geht der vom norwegischen Staat mit einem Stipendium auf Lebenszeit ausgezeichnete Autor mit dem Punkt am Satzende um. Sehr viel häufiger schließt er mit einem "und" an, so entsteht der Eindruck, als müsse noch Verschiedenes bedacht werden.
Man muss wie Fosse erzählen können, um an solch einem erzählerischen Wagnis nicht zu scheitern. Es ist die einfache und sehr melodiöse Sprache, die einen bei der Lektüre leitet und eben dahin führt, wo der Text keine Ausweichmöglichkeit zulässt.
Rezensiert von Michael Opitz
Jon Fosse: Schlaflos. Erzählung
Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel
Rowohlt Verlag
79 Seiten, 14,90 Euro