"Eine Art von Kolonialismus" in Äthiopien

Linda Poppe im Gespräch mit Joachim Scholl |
In Äthiopien verpachtet die Regierung fruchtbares Ackerland an ausländische Konzerne. Die hungernden Äthiopier haben nichts von den frischen Erträgen. Deutschland als wichtiger Geldgeber müsse Druck ausüben, fordert Linda Poppe von Survival International.
Joachim Scholl: Es ist leider schon in etlichen Ländern Afrikas Usus, aber jetzt in der akuten Hungersnot wird der ganze Wahnsinn deutlich: Regierungen verpachten ertragreiches Ackerland an ausländische Konzerne, die dort Lebensmittel produzieren – für den Export. Besonders dramatisch ist die Lage in Äthiopien, dort droht Hunderttausenden von Kleinbauern die Enteignung und Vertreibung, wie unsere Korrespondentin Antje Diekhans recherchiert hat.

Ein Irrsinn zu Hungerszeiten – das war eine Reportage aus Äthiopien von Antje Diekhans. Bei mir im Studio ist jetzt Linda Poppe, sie ist Mitglied und Sprecherin der Nichtregierungsorganisation Survival International, die sich für indigene Völker weltweit engagiert. Guten Tag, Frau Poppe!

Linda Poppe: Guten Tag!

Scholl: Der Kleinbauer, von dem wir gerade gehört haben, äußert die Hoffnung, dass er wenigstens ein kleines bisschen Land bekommt, um sich und seine Familie zu versorgen. Wie stehen seine und die Chancen anderer?

Poppe: Nun, wenn ich mir die Versprechungen anhöre und die äthiopischen Gesetze angucke, würde ich sagen: Natürlich bekommt er etwas zurück. Aber praktisch erleben wir, dass das nicht der Fall ist. Und ich würde ihm auch nicht sehr viel Hoffnung machen, dass er wieder Selbstversorger wird oder, ja, überhaupt die negativen Effekte auffangen kann, die diese Landverpachtung für ihn gebracht hat.

Scholl: Sie und Ihre Organisation haben Kontakt zu den Betroffenen in Äthiopien. Wie gehen diese Enteignungen und Vertreibungen vor sich?

Poppe: Ja, ich könnte ein typisches Beispiel skizzieren, wie das abläuft: Also was in der Regel passiert, ist, dass das Land verpachtet wird, die Leute vor Ort erfahren nichts davon, sie erfahren eigentlich erst davon, wenn der Zaun buchstäblich vor ihrem Haus steht und sie keine Möglichkeit mehr haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Und wenn sie das nicht hinnehmen wollen, also wenn sie nicht stillschweigend die Armut akzeptieren wollen, dann werden sie eingeschüchtert.

Scholl: Sie bekommen Ihre Informationen vor allem aus einer Region, dem sogenannten Omo-Tal. Was ist das für eine Region?

Poppe: Das Omo-Tal liegt im Südwesten Äthiopiens, benannt nach dem Omo-Fluss, der da durchfließt. Das ist eine Region mit relativ fruchtbarem Land, in der 200.000 Angehörige indigener Völker leben. Es wird auch manchmal als die Wiege der Menschheit bezeichnet.

Scholl: In Anbetracht der Hungerskatastrophe wirkt es natürlich besonders grotesk in unseren Ohren und Augen, dass Äthiopien eine eigene Nahrungsschatzkammer gewissermaßen verscherbelt. Was ist das Interesse der Regierung daran?

Poppe: Nun, die Kleinbauern, die da sind, bringen natürlich kein Geld in die Staatskassen, sondern arbeiten hauptsächlich für den Eigenbedarf. Was sonst das Interesse ist: Also man muss auch in Äthiopien sehen, dass der Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung sehr stark ist. Der Präsident zum Beispiel bezeichnet die Menschen immer als urzeitlich oder unmodern und möchte ihnen die Zivilisation bringen, in Anführungszeichen. Das heißt, wenn man so eine Stellung hat im Land, dann kümmert sich die Regierung da natürlich auch nicht sonderlich um die Rechte.

Scholl: Was passiert aber mit den Menschen, die quasi jetzt so von heute auf nachher Haus und Hof und auch ihre Zukunft verlieren?

Poppe: Also wir haben zum Beispiel ein anderes Projekt beobachtet, wo das ganz ähnlich lief, dass sie alles verloren haben, es gab keine Kompensation, höchstens ein kleines Stück Land, was dann auch nicht gereicht hat. Die Folgen sind ein ganz schlechter Gesundheitszustand, es gibt auch Konflikte unter den Gruppen, die um die ganz knappen Ressourcen kämpfen, und es ist wirklich absolute Armut. Sie haben keine Möglichkeit mehr, auch nur ihre Ernährungsbedürfnisse zu decken.

Scholl: Wer interessiert sich jetzt im Ausland für diese Regionen?

Poppe: Also so spezifisch, wie wir das recherchiert haben, sind das ausländische Konzerne, zum Beispiel ein italienisches Unternehmen ist dabei, aber auch Unternehmen aus Malaysia und Korea, die große Landflächen pachten, um darauf Nahrungsmittel wie gesagt für den Export anzubauen, oder Nahrungsmittel, die dann in Biotreibstoffe umgewandelt werden.

Scholl: Der äthiopische Präsident hat in der Reportage, die wir gerade gehört haben, ja vom Nutzen für sein Land gesprochen. Wer hat denn den Nutzen, wo landet das Geld?

Poppe: Wo das Geld landet, ist eine gute Frage, das müssen Sie wahrscheinlich ihn fragen. Wo es nicht landet, ist ganz klar, nämlich bei den Leuten, die alles verloren haben. Es gibt keine Kompensation.

Scholl: Aber wenn er praktisch so überzeugt sagt, es ist doch wunderbar, wenn wir Nahrungsmittel produzieren, aber natürlich unterschlägt, dass diese Nahrungsmittel gar nicht im eigenen Land ankommen, dann ist das doch eine ziemlich offenkundige Lüge, oder?

Poppe: Also wir können nicht mit dem übereinstimmen, was er sagt, das ist ganz richtig. Was wir beobachtet haben, widerspricht eigentlich allem, was er da gesagt hat, ja, das muss man so sagen.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Linda Poppe von Survival International, der Nichtregierungsorganisation. Nun ist, Frau Poppe, Äthiopien kein Einzelfall, andere Länder verfahren ebenso, dass sie ihre Ressourcen oder eben Nutzflächen in dieser Form verpachten. Entwickelt sich da Ihrer Beobachtung nach auch eine neue Art von Kolonialismus?

Poppe: Ja, fast. Also das Land wird ja natürlich immer mehr wert, jetzt mit Biotreibstoffen, mit Nahrungsmittelknappheit. Und je mehr dieses Land wert wird, desto mehr haben zum Beispiel internationale Konzerne ein Interesse daran und nehmen das zum Beispiel der lokalen Bevölkerung weg. Also das ist schon eine Art von Kolonialismus, die wir da leider beobachten können und die in vielen Ländern der Welt jetzt immer akuter wird.

Scholl: Wo wird es immer akuter?

Poppe: Zum Beispiel in Brasilien sehen wir, dass das riesige Flächen wirklich für den Anbau von Zuckerrohr genutzt werden und die lokale Bevölkerung ja teilweise zwischen dem Zaun und dem Straßenrand leben muss, weil sie alle ihr Land verloren haben.

Scholl: Ihre Organisation kümmert sich um bedrohte indigene Völker. Sind diese auch woanders in der Welt durch diese Art von Fremdökonomie bedroht?

Poppe: Ja, wir sehen das häufig, also Brasilien ist ein Beispiel, es gibt in Malaysia selber auch sehr große Projekte, wo das Land für andere Sachen genutzt wird – zum Beispiel Biotreibstoffe – und die Gruppen vertrieben werden. Und das Problem ist einfach, dass mit ihnen nicht darüber gesprochen wird. Also es gibt keine Konsultation, obwohl das international und meist auch national in den Rechten so festgeschrieben ist.

Scholl: Regt sich denn da in den Ländern überhaupt kein Widerstand? Sie sprachen schon vorhin von der rassistischen Art, mit den indigenen Völkern umzugehen, sozusagen bereichert man sich auf Kosten der Ärmsten der Armen.

Poppe: Natürlich regt sich Widerstand, auch bei den Gruppen selber, aber da wird natürlich mit aller Macht auch unterdrückt. Also wenn ich jetzt auf Äthiopien wieder schaue: Die Leute, die tatsächlich sich dagegen gewehrt haben und was gesagt haben, die werden von der Polizei, also von den Armen des Staates wirklich eingeschüchtert, zusammengeschlagen, inhaftiert, es gibt Berichte von ganz anderen schrecklichen Menschenrechtsverletzungen. Also ja, natürlich gibt es Widerstand, aber der ist sehr schwer lokal zu organisieren.

Scholl: Befasst sich eigentlich irgendeine offizielle Stelle der Vereinten Nationen etwa mit diesem Problem? Gibt es hier zumindest ein Bewusstsein, und wenn ja, entsprechende Initiativen?

Poppe: Es gibt einige Organisationen der UN, die sich damit beschäftigen, und es gibt auch eine Person, die nur dafür da ist, zum Beispiel die Rechte der indigenen Bevölkerung zu schützen. Aber wir sehen, dass das meist nicht den Effekt hat, den es haben sollte, und die Regierungen immer das Problem kleinreden und behaupten, dass sie ja eigentlich nur dafür da sind, Entwicklungen zu bringen.

Scholl: Was müsste geschehen Ihrer Meinung nach und Ihrer Organisation nach? Was könnte diese Entwicklung, etwa in Äthiopien, aufhalten? Gibt es da überhaupt Aussicht?

Poppe: Ich denke schon, dass es Aussicht gibt, also zum Beispiel die deutsche Regierung ist ein sehr wichtiger Geldgeber für Äthiopien, ich glaube, dass man da schon einen gewissen Spielraum hat, um auch Druck auszuüben oder auf jeden Fall unbequeme Fragen zu stellen, was denn da mit der Menschenrechtssituation vor Ort ist.

Scholl: Haben Sie schon einem deutschen Regierungsvertreter diese unangenehmen Fragen gestellt?

Poppe: Ja, wir haben uns schon an Herrn Niebel gewandt und andere Vertreter, leider bisher noch keine Antwort erhalten.

Scholl: Nahrung für den Export in Zeiten großer Hungersnot am Beispiel Äthiopien. Wir haben Linda Poppe gehört von der Nichtregierungsorganisation Survival International, die sich für indigene Völker weltweit einsetzt. Herzlichen Dank für Ihren Besuch, Frau Poppe!

Poppe: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.