"Eine Art sanfter Imperialismus"

Moderation: Stephan Karkowsky · 16.04.2013
In ihrem neuen Buch behauptet die Autorin Kathrin Röggla, dass es in vielen Katastrophenfällen besser wäre, auf internationale humanitäre Einsätze zu verzichten. Ein Gespräch über den ambivalenten Charakter solcher Hilfsmissionen und die Macht westlicher "Katastrophennetzwerke".
Stephan Karkowsky: Kathrin Röggla ist keine Journalistin. Die österreichische Wahl-Berlinerin ist Schriftstellerin. Dennoch nimmt sie in ihren Zeitungsessays urjournalistische Aufgaben wahr. Sie zieht der vermeintlichen Wahrheit den Schleier vom Gesicht und zeigt uns Realitäten hinter dem gesellschaftlichen Wahrnehmungskonsens. Mit Vorliebe attackiert sie dabei unsere Lust auf Katastrophen und das dadurch erweckte Helfersyndrom. Ihr neues Buch vereint eine ganze Reihe dieser Essays mit ihren Theaterstücken. Es heißt "Besser wäre: keine". Und vorstellen lassen wir es von der Autorin selbst – Kathrin Röggla, guten Tag!

Kathrin Röggla: Guten Tag!

Karkowsky: "Über das Anlegen von Katastrophenquellen", so heißt einer ihrer Texte im Buch. Sie denken dabei im Gespräch mit einem Soziologen nach über Katastrophen. Aber nicht nur, welche Art von Katastrophen gibt es denn so und wie kann man die verhindern, sondern vor allem über die ja ungewöhnliche Frage, wie wir Katastrophen produzieren. Das ist ein schräger Gedanke. Was ist damit gemeint?

Röggla: Na ja, wenn man über Katastrophen nachdenkt, denkt man zuerst an Naturkatastrophen. Tsunami, Erdbeben, das Übliche.

Karkowsky: Vogelgrippe.

Röggla: Vogelgrippe, ja, wobei, da ist einem klar, dass Naturkatastrophen nicht einfach nur Naturkatastrophen sind, sondern gesellschaftlich auch mit produziert. Also gerade bei so was wie Vogelgrippe kann man an Massentierhaltung oder an zu enges Aufeinanderkleben von Mensch und Tier denken und weiß, das wird irgendwo hervorgebracht. Und mich hat das sehr fasziniert, dass die Soziologen, Katastrophensoziologen, diesen Blick auf dieses Produzieren – also, in dem Moment, wo man das Augenmerk auf die Produktion der Katastrophe legt, kann man auch mit ihr umgehen, kann man auch was ändern.

Karkowsky: Der Soziologe, mit dem Sie sich da austauschen über Katastrophen und welche Akteure man dafür braucht, wird nicht ein einziges Mal beim Namen genannt. Ist nur seine Funktion wichtig, ist das der literarische Dreh?

Röggla: Das war so ein bisschen tricky. Der Soziologe war nämlich bei einer Kommission tätig und durfte öffentlich eigentlich kein Interview geben. Ich habe ihn dazu gebracht, dann doch mit mir dieses Gespräch zu führen. Das ist ein sehr literatur-affiner Mensch gewesen, er ist leider schon verstorben mittlerweile …

Karkowsky: Wer war es?

Röggla: Lars Klausen. Ich kann es vielleicht jetzt postum sagen. Das ist ja auch ein bearbeitetes Gespräch und ein sehr literarisches Gespräch. Aber er hatte so gewisse Skrupel, da öffentlich aufzutreten.

Karkowsky: Das ist so Philosophieren über Katastrophen.

Röggla: Ja.

Karkowsky: Ist denn für Sie diese ganze Hilfsindustrie der ganzen NGOs und auch GIZ und so weiter, ist das für Sie einfach nur eine Illusion oder was ist das für Sie?

Röggla: Es ist sehr kompliziert. Zum einen ist es so, dass Hilfsorganisationen sehr stark angewiesen sind auf das Wohlwollen von Geldgebern. Da gibt es natürlich auch Unterschiede, die einzelnen Grenzen funktionieren ein bisschen anders. Sie müssen immer Aufmerksamkeit erzeugen, sie müssen eine Struktur finanzieren, also ihre eigene Trägerstruktur. Das kostet natürlich. Sie sind gewissen formalen Sachen unterworfen und gehen dann in ein Land rein, mit diesem ganzen Gepäck am Rücken und glauben, dort helfen zu können. Drei Tage zu spät, sage ich mal, denn das geht gar nicht anders, die fliegen ja erst mal runter, die können ja nicht irgendwie gleich da sein. Und meistens ist dann eine Situation schon ein bisschen entspannter vor Ort. Es ist natürlich auch ein Problem, weil sie medial sich extrem als helfend darstellen müssen, und als extrem effizient, und das können sie einfach nicht sein. Das können sie nicht sein, und manchmal, oder sehr oft, geht ihre Hilfe auch nach hinten los.

Karkowsky: Ich habe anfangs die Analogie zur Aufklärungsfunktion journalistischer Texte erwähnt. Bei Ihnen kommt aber immer noch auch die Unterhaltung dazu. Das sind ja höchst amüsante Texte, in denen Sie vor allem auf das Absurde im Normalen zielen. Kriegt man Leser besser zum Nachdenken über diese komplexen Themen mit Humor? Ist das Ihr Ziel?

Röggla: Na ja, die meisten Menschen bringen den Humor auch einfach schon mal von Haus aus mit, Gott sei Dank ist das so. Es ist natürlich so, dass mich das sehr anzieht und fasziniert, diese ganzen paradoxen Figuren, dieses …

Karkowsky: Paralleluniversum.

Röggla: Diese Paralleluniversen, die aufeinander prallen. Das liegt so ein bisschen auch in der Natur der Sache, wenn man so unterwegs ist in Ländern, die völlig anders funktionieren, und ich fand es dann schon sehr spannend zu sehen ab einem gewissen Punkt, dass eigentlich in meiner Generation, also der Generation der 70er-Jahre oder vielleicht sogar ein bisschen früher schon, dass die plötzlich sehr, sehr stark auch diese Reisebewegungen mitmachen beziehungsweise für Organisationen arbeiten, UN-Unterorganisationen oder irgendwelche OSZE …

Karkowsky: Wahlbeobachtung …

Röggla: Genau, was es halt alles da so gibt. Und ja, wollte mich dem auch ein bisschen aussetzen und diesen Leuten begegnen und mal gucken, was da so geschieht.

Karkowsky: Und nähern sich diesem Thema mit kritischer Distanz, auch in jenem Essay, der dem Buch seinen Namen gibt: "Besser wäre: keine". Da lernen wir ganz am Anfang, alle Usbeken hassen die Baumwolle. Wie sind Sie nach Usbekistan gekommen, was haben Sie da gemacht?

Röggla: Das Absurde ist, ich habe da eine Lesereise gemacht. Ich war sozusagen an den Unis eingeladen, um dort meine Arbeit vorzustellen, also ich war in ganz Zentralasien unterwegs. Ich habe das aber auch akzeptiert, weil ich dort auch hin wollte, und auch eben Recherche genau zu diesem Essay und zu dem Thema. Ich hab ja dazu auch ein Stück geschrieben und einen anderen, literarischen Text. Deswegen wollte ich das auch ein bisschen nutzen dafür.

Karkowsky: Vermittelt vom Goethe-Institut?

Röggla: Das war Österreichisches Kulturinstitut.

Karkowsky: Aha, das war also – ah ja, guck an.

Röggla: Ja, ja, aber Goethe war da, glaube ich, auch irgendwie mit drin. Und das war halt nun sehr absurd, weil Usbekistan ist jetzt nun ein Land, das nicht mitmacht. Es ist eine Diktatur, die das Land auch sehr abschließt. Es war mir dort nicht möglich, um es mal gleich zu sagen, Leute gezielt zu treffen, die darüber sprechen, also Locals, die auch mit arbeiten an – und nicht einmal Leute von der damaligen GTZ haben reagiert, also da wurden meine E-Mails, glaube ich, auch abgefiltert. Das war sehr merkwürdig.

Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton Kathrin Röggla, die man jetzt, nach dem, was wir alles von Ihnen wissen, als Reiseschriftstellerin auch bezeichnen könnte, über ihr neues Buch "Besser wäre: keine". Sie sind Teil eines Kulturtourismus, den Sie gleichzeitig kritisieren, wenn Sie halt auch auf Lesereise gehen nach Usbekistan. Das Versenden von Kulturschaffenden in alle Welt ist die Aufgabe von Institutionen wie OSZE – Wahlbeobachter –, Böll-Stiftung, natürlich Goethe-Institut. Die schicken Autoren, DJs, Theatergruppen sogar in ferne Länder, um Kulturaustausch zu ermöglichen. Und natürlich die GIZ, die Entwicklungsarbeit, auch das passiert dort. Sie nennen diese Reisenden Mitwirkende eines akademischen Katastrophennetzwerkes. Da schwingt wieder diese Ironie, dieses Spöttische mit durch. Was ist so verkehrt an diesen Reisen?

Röggla: Na ja. Also im Grunde reisen die meisten unter der Maßgabe, dass sie dort Verhältnisse verbessern. Man nennt das dann oft Demokratieexport oder humanitäre Intervention, das ist dann wirklich im Falle der Katastrophenhilfe. Und das ist natürlich eine sehr ambivalente beziehungsweise nicht ganz so klare Sache, ob das wirklich so ist, ja. Ich war da am Anfang relativ noch neutral, wobei ich da schon gemerkt habe, dass es sich auf jeden Fall um eine Art sanften Imperialismus handeln muss. Schon allein an dem Habitus der Leute, die ich da getroffen habe, die oft sehr – das war mein erstes Treffen auf eine größere Gruppe dieser Menschen, fand in Georgien statt. Niemand sprach georgisch, die wenigsten sprachen russisch, und trotzdem wollten sie dort quasi demokratische Verhältnisse implementieren. Das fand ich schon so relativ arrogant.

Das andere ist natürlich, dass dahinter oftmals natürlich massive Interessen stecken, es soll natürlich auch eine ökonomische Struktur implementiert werden oder – es geht auch um Herrschaft, ganz einfach, um Einfluss, Einflussnahme. Man muss sich ja schon fragen, warum finanziert die EU in Zentralasien ein millionenschweres Grenzschutzprojekt, das Bombka-Projekt, da haben sie natürlich Interesse. Anti-Trafficking, aber auch um so Einflussnahme in dem Raum.

Karkowsky: Drogenhandel zu verhindern.

Röggla: Ja, ja, ja.

Karkowsky: Behaupten Sie denn, dass die Menschen in den Zielländern dieser ganzen Projekte keinerlei kulturellen oder sonstigen Gewinn haben durch diese ganzen Hilfsprogramme.

Röggla: Also, kultureller Gewinn ist was für mich sehr Vages. Das Versprechen ist ja eher ökonomischer Aufwind und die konkrete Aufbauhilfe beziehungsweise die Verwaltungshilfe, das sehe ich nach den Gesprächen schon sehr kritisch. Im Grunde ist es oftmals auch so eine Struktur, dass – von außen kommen also sozusagen Unternehmensberater ins Land und erzählen dann lokalen NGOs, wie sie es verrichten sollen. Naomi Klein hat das in ihrem Buch "Die Schockstrategie" gezeigt in Sri Lanka und der Post-Tsunami-Hilfe, die zu Enteignungen führen und oft auch soziale Konflikte verschärfen.

Karkowsky: Sie zitieren Naomi Klein auch reichlich, auch Joseph Stiglitz kommt bei Ihnen zu Wort, beides Globalisierungskritiker. Haben Sie sich denn auch für die Gegenseite interessiert, die Leute, die überzeugt davon sind, dass das, was sie tun, auch wirklich Wirkung zeigt und das Richtige ist?

Röggla: Ich muss zugeben, da gibt es kaum Literatur, die sich da so findet. Also selbst jemand wie William Easterly, er war Weltbank-Ökonom, wenn ich mich recht erinnere, der massiv doch Kritik an diesen ganzen strukturellen Änderungen oder Programmen auch gebracht hat. Es gibt mittlerweile eine sehr breite Front, die das kritisiert. Das sind ja nicht einzelne Leute.

Karkowsky: Das ist fast Mainstream schon mittlerweile.

Röggla: Ja, Mainstream – es ist auch merkwürdig, was so damit passiert, weil es ist ja eine massive Struktur, die ja nicht einfach weggeht, nur weil ein bisschen Kritik daran geübt wird, aber das nicht ändert. Das ist ja Teil der ganzen globalen Ökonomie, das kann man nicht voneinander loslösen.

Karkowsky: Ihr Buch heißt "Besser wäre: keine". Der Titel sagt, dass es in Katastrophenfällen besser wäre, wenn es keine internationalen humanitären Einsätze geben würde. Sind Sie davon überzeugt?

Röggla: Das ist natürlich zugespitzt. Und ich denke, es gibt sehr wohl Situationen, wo es hilfreich ist, aber in vielen Fällen hat sich gezeigt, dass selbst so was wie medizinische Versorgung oft nach hinten los geht, wenn da plötzlich für Monate ein Gratismedizinunterstützungsnetz angeboten wird, die dann wieder abziehen, eine Leerstelle hinterlassen, und die alten medizinischen Strukturen, die vor Ort sind, zerstört haben, weil die einfach pleite gegangen sind.

Karkowsky: Kathrin Röggla, Ihnen herzlichen Dank. Ihr neues Buch heißt "Besser wäre: keine" und ist erschienen im Verlag S. Fischer. Danke für das Gespräch.

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