"Eine Art Eichmann-Prozess"

Nenad Popovic im Gespräch mit Katrin Heise · 26.10.2009
Der kroatische Verleger Nenad Popovic hält den früheren Serbenführer Radovan Karadzic für den größten Massenmörder in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Karadzic habe Tausende Menschen auf dem Gewissen, sagte Popovic.
Katrin Heise: Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Nenad Popovic. Er hat 1990 in Zagreb seinen Verlag, den Durieux-Verlag gegründet - sozusagen im Angesicht der Spannung zwischen Serben, Kroaten, Bosniern und Montenegrinern – und er hielt während des Krieges bis heute die kulturelle Zusammenarbeit aufrecht. In seinem Verlag werden auch bosnische und serbische Bücher verlegt. Guten Tag, Herr Popovic!

Nenad Popovic: Guten Tag!

Heise: Die Verhandlungen sind sofort vertagt worden, schon am Anfang ein, ja, Auftritt oder eben Nichtauftritt von Herrn Karadzic – was löst das in Ihnen aus?

Popovic: Das ist ein Theatercoup. Wir wissen eigentlich nicht, mit wem wir es zu tun haben. Der Angeklagte hat ja eine Biografie, die davon reicht, dass er Arzt in einem psychiatrischen Krankenhaus war, dann gleichzeitig Caféhaus-Literatur und Schriftsteller, Dichter. Dann war er Politiker, dann war er Präsident eines Scheinstaates, dann war er Feldherr in einem fürchterlichen Krieg, dann war er Wunderdoktor. Ich denke, eigentlich ist unklar, wer da überhaupt verurteilt werden soll, welche Person.

Heise: Es ist ja vorauszusehen, dass Karadzic sich irgendwie selbst inszenieren wird, er hat ja damit angefangen, Sie haben es ja eben Theaterinszenierung auch genannt. Er will sich selbst verteidigen, im Hintergrund hat er natürlich einen Riesenstab an Leuten, die ihm zuarbeiten. Welche Wirkung wird sein Auftritt oder welche Wirkung, glauben Sie, dass sein Auftritt aber auf Opfer, auf den Rest der Welt haben wird?

Popovic: Sein Auftritt wird natürlich zweitrangig sein, wie alles, was er bisher gemacht hat. Aber es ist ungeheuer wichtig, dass er in dieser Glasbox einmal erscheint, denn es ist immerhin der größte Massenverbrecher in Europa seit 1945.

Heise: Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach überhaupt dieser Prozess gegen Karadzic?

Popovic: Er kommt natürlich sehr spät, Karadzic hätte verhaftet werden sollen schon bei diesen Friedensverhandlungen während des Krieges, wo man mit ihm von Genf bis sonst wo parlierte. Aber der Prozess ist wichtig, weil es ist eine Art Eichmann-Prozess für Bosnien, für Ex-Jugoslawien und hoffentlich auch für Europa. Der Mensch hat immerhin dreieinhalb Jahre Städtebelagerungen, Zerstörungen und Abertausende von Opfern auf dem Gewissen.

Heise: Wie viel Kraft ist eigentlich in der Region vorhanden für die Aufarbeitung, das heißt, wie viel Kraft ist eigentlich da, den Opfern immer noch zuzuhören, oder strebt eigentlich alles nur noch in die Zukunft?

Popovic: Die Aufarbeitung ist schwierig, zumal Bosnien durch das Werk der serbischen Ultranationalisten, angeführt von Radovan Karadzic, ja dieses Land zerstört und in eine Art Schizophrenie geführt haben. Das heißt, sie haben zwei Teile in Bosnien, der eine heißt Republika Srpska, der andere die Föderation. Und in der Republika Srpska lebt man immer noch im Banne des Slogans, der Mentalität, der Kriegspropaganda und in einem desolaten psychischen wie wirtschaftlichen Zustand.

Die Aufarbeitung wäre nach meiner Meinung erst möglich, wenn man die Uhr wieder auf null setzen würde, wie sie 1990/91 war, und freie Wahlen ausrufen würde von bosnisch-herzegowinischen Bürgern und nicht von Muslimen, Serben und Kroaten oder so etwas. Aber dazu ist weder Bosnien in der Lage noch bemüht sich die internationale Gemeinschaft, das richtigzustellen.

Heise: Aus Anlass des Prozesses gegen Radovan Karadzic spreche ich mit dem Verleger Nenad Popovic. Bei seiner Verhaftung war Karadzic praktizierender – Sie nannten es – Wunderheiler. Sie haben einige seiner Stationen im Leben aufgezählt, eine haben Sie, glaube ich, nicht unbedingt erwähnt, nämlich die des Helden, er wurde ja wie ein Held verehrt. Man fragt sich auch, warum er so lange unentdeckt leben konnte. Wahrscheinlich auch aus so einer Heldenverehrung heraus. Wie sehen Sie das heute, hat er noch einen Heldenstatus?

Popovic: Ja, er hat – in der rechten Szene, in der serbischen rechten Szene hat er einen Robin-Hood-Status. Aber rechte Szenen gibt es ja überall, keine besondere Spezialität von uns. Diese Fluchtphase verdanken wir allerdings den internationalen Kräften, die bei uns schalten und walten und walteten und schalteten und ihn nicht verhaftet haben – das ist das Interessante an der ganzen Geschichte, denn es ist doch unglaublich, dass jemand jahrelang herumspaziert durch diese unsere Länder und nicht wiedererkannt wird oder dass keine Polizei das weiß, das ist doch unglaubwürdig. Man stelle sich bitte nicht Montenegro oder Bosnien wirklich wie bei Karl May vor, wo in Gebirgen dann in irgendwelchen Hütten die Robin Hoods leben. So groß sind diese Länder nicht, und so primitiv oder so romantisch geht es bei uns nicht zu.

Heise: Also eine starke Verantwortung auch an die EU geschoben?

Popovic: An die EU, an die UNO und alle, die Polizeioberhoheit hier haben. Ich glaube persönlich, dass die meiste Zeit man gewusst hat, wo er ist, genauso wie ich glaube, dass man das zum Beispiel auch im Falle von Radko Mladic weiß. Denn wenn ich auf meinem Laptop meinen eigenen Parkplatz angoogeln kann, dann können das auch die Dienste aller dieser großen Länder, die letztlich Saddam Hussein immerhin in einem Erdloch herausgefunden haben.

So toll ist es nicht, und es war wohl ein politisches Arrangement, davon hat … Karadzic und seine Sprecher haben sehr offen darüber geredet, dass er eine Absprache hatte mit Richard Holbrooke, dass wenn er das Daytoner Abkommen unterzeichnet, er dann nicht verhaftet wird. Es sei denn, hier in Zagreb oder in Sarajewo leben wir im Wilden Westen, und es ist unmöglich, einen Menschen zu finden. Das glaubt doch niemand.

Heise: Das haben Sie ja eben auch schon erläutert, dass das nun ganz und gar nicht so ist. Das sagt Nenad Popovic, Verleger in Zagreb, Mitbegründer der Gruppe 99, das sind 15 Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien, zum Beginn des UN-Tribunals gegen Radovan Karadzic. Vielen Dank, Herr Popovic, für dieses Gespräch!

Popovic: Vielen Dank Ihnen auch!