Eine allzu nüchterne Firmengeschichte

24.11.2011
Die Firmengeschichte der Krupps: Hier kann man sie nachlesen, angereichert mit einer Fülle von Daten und Fakten. James spart dabei die Nähe zum NS-System nicht aus. Insgesamt wirkt der Standpunkt des Historikers jedoch allzu neutral. Man wird gut informiert, aber vermisst historische Leidenschaft und das Gefühl für politische Brisanz.
"Eine Nation und ein Name": So betitelt Harold James seine Einleitung in die 200-jährige Firmengeschichte des Industriegiganten Krupp, der seit der Fusion mit der Thyssen AG im Jahr 1999 Thyssen Krupp heißt. Tatsächlich galt Krupp lange als das deutsche Unternehmen. Adolf Hitler wünschte sich eine Jugend "hart wie Kruppstahl" (obwohl Kruppstahl besonders elastisch war). Eine Karikatur der Westdeutschen Allgemeinen zeigte 1961 Bundeskanzler Adenauer und Wirtschaftsminister Ehrhardt, die sich vom Krupp-Generalbevollmächtigten Berthold Beitz ihre Ost-Europa-Politik diktieren lassen. Krupp stand für "rheinischen Kapitalismus", für die eigennützige Nähe zum Staat, für lukrative Waffen-Produktion, aber auch für frühzeitige Sozialfürsorge, für hohe Löhne, Betriebskrankenkassen und Werkswohnungen.

James präsentiert die Krupp-Geschichte chronologisch und orientiert sich an den Firmenlenkern, unter denen Alfred Krupp (1812-1887) herausragt, der den ehemaligen Zwei-Mann-Betrieb seines Vaters Friedrich zum Global Player machte - ein Aufstieg, von dem die repräsentative Essener Villa Hügel zeugt. Als seine "Leitmotive" gibt James die Kruppsche Unternehmenskultur jenseits "einer ausschließlichen Fixierung auf Profit", die technische Pionierstellung im internationalen Maßstab und die Spannung zwischen Familienbetrieb und großräumiger Konzernstruktur an.

Auf der Faktenebene bewegt sich James souverän. Er behält die wirtschaftlichen Unternehmensdaten genauso im Auge wie die Entwicklung von neuen Metallen und Fabrikationstechniken, internationalen Standorten und maßgeblichen End-Produkten (ohne Lokomotiven, Schiffe und Kanonen wie der "Dicken Bertha" und dem Eisenbahn-Riesengeschütz "Dora" gäb's kein Krupp). Firmenstrategie, Marktsituation, der politische Rahmen von der Kaiserzeit bis zur Deutschland AG, knappe Charakterstudien wichtiger Akteure: Das alles fließt ein.

Sämtliche Kapitel beginnen mit Reflexionen auf literarische Bearbeitungen hiesiger Wirtschaftsgeschichte, angefangen mit den "Buddenbrooks". Alfred Krupp wird analog zu Storms "Schimmelreiter" als "tragische und heroische Figur" und "Verkörperung der protestantischen Arbeitsethik" vorgestellt. Dabei schreibt James nie hagiografisch. Der Konnex von Krupp und Krieg wird deutlich. James zeigt die schäbige Nähe zum NS-System samt dem Einsatz von Zwangsabeitern. Er erläutert (sehr knapp) die Strafverfolgung anlässlich der Nürnberger Prozesse, die zwischenzeitliche Enteignung, die Reparationszahlungen.

So weit, so gut. Insgesamt jedoch wirkt James' Standpunkt allzu neutral. Unterschiedlichstes wird gleich gewichtet und gleichgemacht. Man wird gut informiert, aber vermisst historische Leidenschaft und das Gefühl für politische Brisanz. Es fehlt auch an Sozialgeschichte. Wie es den "Kruppianer" über 200 Jahre ergangen ist, bleibt weitgehend schemenhaft; dass Alfred Krupps Sozialfürsorglichkeit am britischen Philantropen Robert Owen orientiert war, ganz ungesagt. Harold James' "Krupp", finanziell gefördert durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, könnte als bessere Festschrift durchgehen. Das Buch brennt sich bei der Lektüre nicht ein, eignet sich aber prima zum Nachschlagen ... - und als Präsentationsobjekt im Foyer der Villa Hügel.

Besprochen von Arno Orzessek

Harold James: Krupp - Deutsche Legende und globales Unternehmen
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Silber
C. H. Beck, München 2011
344 Seiten, 19,95 Euro