Eine Agentin im Minirock

18.10.2013
Das würde ihm wohl gefallen: Ian McEwan erzählt in seinem Roman "Honig" von einer betörenden Geheimdienstagentin, die einen Schrifsteller umgarnt. Der Brite sagt, das Buch sei teils autobiografisch. Nur die Agentin, die den Autor bespitzelt, habe es in seinem Leben nicht gegeben.
Schon lange wollte der englische Schriftsteller Ian McEwan einen Roman über die 70er-Jahre schreiben. Über diese turbulente Zeit, als Bergarbeiterstreiks, Energiekrise und die Zuspitzung des Nordirland-Konflikts drohten, sein Land lahmzulegen.

Und überdies wollte der 65-Jährige wohl auch einen Blick werfen auf sich als jungen Autor. Denn manche de Kurzgeschichten und Romane, die er seinen Protagonisten Tom hier schreiben lässt, erinnern an McEwans eigene frühe Werke. McEwan nennt den Roman eine "verzerrte Autobiographie." Obgleich nie eine betörende Geheimdienstagentin in sein Büro gestöckelt sei, um ihn zu ködern.

Serena Frome, die schöne Agentin im Minirock, erzählt uns hier ihre Geschichte. Und nimmt schon in den ersten Zeilen das Ende vorweg: Sie sei vor vierzig Jahren vom britischen Nachrichtendienst auf eine geheime Mission geschickt worden, die nicht gut ausgegangen sei.

Serena Frome hat Mathematik studiert und verschlingt eher unreflektiert Romane. Deshalb gilt sie als literaturbeflissen und wird auf den Schriftsteller Tom Haley angesetzt. Sie soll ihn davon überzeugen, ein Stipendium einer fiktiven Stiftung anzunehmen, hinter der sich die Abteilung MI5 des Secret Service verbirgt. Dort hat sich eine Schar von Geheimdienstlern ausgedacht, Künstler zu finanzieren, die konservatives Gedankengut in eine angeblich links aufgepeitschte Öffentlichkeit tragen sollen.

Absurde Versuche des amerikanischen Geheimdienstes
In Amerika hat es solche Versuche tatsächlich gegeben. "The Encounter", eine einst berühmte politische Zeitschrift, wurde Ende der 60er-Jahre als Undercover Projekt des CIA gegründet. Von dort hat McEwan wohl die schöne Idee. Hätte er nur nicht sexy Serena zur Erzählerin gemacht. Die eher zufällig in den Geheimdienst geraten ist und dort tut, was sie am besten kann: Männer verführen. Auch ihr Zielobjekt landet alsbald in ihrem Bett.

Sie ist nicht dumm aber schlicht. Und so lässt sich ausgerechnet McEwan, der in seinen besten Momenten feinschneidig sezierend die Seelen seiner Figuren bloßlegen kann, hier analytisch und sprachlich immens reduzieren.
Es war für den Autor sicher eine reizvolle Herausforderung, in den Kopf eines solchen Mädchens zu steigen und ihren Ton zu treffen. Für den Leser ist das hin und wieder eher eine Strapaze.

Und doch liest man das Buch über weite Strecken gern. McEwan legt falsche Fährten, hält uns in Atem und schreibt ganz nebenbei ein erhellendes Gesellschaftsporträt Englands in den siebziger Jahren.

Wunderbar, wie er fast parodierend von den gänzlich nutzlosen nachrichtendienstlichen Aktivitäten des MI5 erzählt. Und sich lustig macht über unsere fernsehverdorbenen Verbrechensfantasien und uns fröhlich in die Irre führt.

Am Ende hat McEwan noch ein weißes Kaninchen im Ärmel und macht trickreich aus der erzählten Geschichte eine Geschichte in der Geschichte. Das ist amüsant und ärgerlich zugleich, weil man im letzten Kapitel lesen kann, wie wunderbar das Buch hätte werden können, wenn der Autor sich nicht in seiner Figur Serena Frome verkrochen hätte.

Besprochen von Gabriele von Arnim

Ian McEwan: Honig
Aus dem Englischen von Werner Schmitz
Diogenes Verlag, Zürich 2013
464 Seiten, 22,90 Euro