"Eine abenteuerliche Entstehungsgeschichte"

Siegfried Buschschlüter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 27.01.2012
Am 29. Januar 2002 prägte der damalige US-Präsident George W. Bush den Begriff einer "Achse des Bösen" - und er meinte damit die Länder Nordkorea, Irak und Iran. Der frühere Deutschlandradio-USA-Korrespondent Siegfried Buschschlüter erinnert sich, wie die Rede zustande kam und warum Bush "trotz Bedenken" die drei Länder explizit nannte.
Liane von Billerbeck: Es ist fast zehn Jahre her, als US-Präsident George Bush nach den Anschlägen vom 11. September einen anderen Ton anschlug gegenüber einigen Staaten, denen er die Bezeichnung Axis of Evil – Achse des Bösen gab. Bevor wir über diese Rede und die politischen Folgen dieser Rhetorik mit dem langjährigen USA-Korrespondenten Siegfried Buschschlüter sprechen, hier ein Auszug aus der Bush-Rede vom 29. Januar 2002.

Auszug aus Bush-Rede

Da war die Formulierung Axis of Evil - Achse des Bösen. George Bush hat sie verwandt in seiner Rede vor fast zehn Jahren. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit unserem damaligen USA-Korrespondenten, lange Jahren in Washington hat er von dort berichtet, Siegfried Buschschlüter ist jetzt telefonisch zugeschaltet. Ich grüße Sie!

Siegfried Buschschlüter: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: War das damals eine Rede wie jedes Jahr zur Lage der Nation?

Buschschlüter: Es war im Grunde seine erste Rede zur Lage der Nation - er war ja erst kurz vorher gewählt worden -, und die erste State of the Union Speech, die befasste sich mehr mit dem Haushalt der USA, und das konnte ja auch noch kein Rechenschaftsbericht sein, das sind ja meistens die Reden zur Lage der Nation.

Also man erwartete schon von dieser ersten wahren Rede zur Lage der Nation, dass er Akzente setzen würde, dass er deutlich machen würde, wohin die Reise geht, und wenn man das in einen historischen Kontext einordnet – und sie haben vorhin schon, glaube ich, darauf hingewiesen, dass vorausgegangen ja der 11. September 2001 war, die Terroranschläge Al Kaidas in New York, Washington und Pennsylvania –, und da konnte man eigentlich erwarten, dass Bush deutlich machen würde in dieser Rede, wie die USA auf den Terror reagieren, nach welchen Regeln der Krieg gegen den Terror ablaufen würde. Dass es nicht bei Afghanistan bleiben würde, das stand damals schon fest, und schon kurz nach 9/11 spukten der Irak und Saddam Hussein in den Köpfen der Berater von George Bush herum. Es war mit Sicherheit keine ganz normale Rede, und die Achse des Bösen, die wir eben im Originalton gehört haben, das war mit Sicherheit keine rhetorische Eintagsfliege.

von Billerbeck: Da möchte ich dann gleich noch mal danach fragen: Wie kam es denn eigentlich zu dieser Formulierung Achse des Bösen? So eine Formulierung, die entsteht ja nicht zufällig.

Buschschlüter: Im Grunde, Frau von Billerbeck, eine abenteuerliche Entstehungsgeschichte: Condoleezza Rice, die nationale Sicherheitsberaterin, hat später – ich glaube, es war sogar in ihrer Autobiografie, die vor Kurzem erschienen ist – darauf hingewiesen, so etwas abwertend, das Ganze sei überdramatisiert worden, diese Formulierung Axis of Evil, Achse des Bösen, das sei eingefügt worden von einem Redenschreiber.

In der Tat, es war der Chefredenschreiber von Bush, Michael Gerson. Der wusste natürlich, was der Präsident wollte – vor so einer Rede sagt der Präsident in groben Zügen, was er von dieser Rede sich erwartet –, und die Aufgabe von Michael Gerson war es, die neue Anti-Terror-Politik von Bush zu formulieren, auf den Punkt zu bringen. Er hat sich natürlich da mit mehreren Mitarbeitern auch des Präsidenten abgestimmt, unter anderem mit Condoleezza Rice und ihrem Stellvertreter Stephen Hadley.

Dann hat Michael Gerson einem seiner Mitarbeiter, David Frum, den Auftrag gegeben, er möchte doch in ein, zwei Sätzen darlegen, wie man einen Krieg gegen Saddam Hussein, gegen den Irak rechtfertigen könne. Das mag vielleicht etwas überraschend klingen, denn wir reden jetzt von Ende Dezember, Dezember 2001, und der Irakkrieg sollte ja erst im März beginnen, in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003, aber so beschreibt es David Frum in seinem Buch, "The Right Man - die überraschende Präsidentschaft des George W. Bush", er habe den Auftrag bekommen, also in kurzen Sätzen in einigen Wörtern darzulegen, wie man einen Krieg gegen den Irak rechtfertigen kann.

Und nun stellen Sie sich vor, was macht ein Redenschreiber, wenn er zunächst den Auftrag bekommt, nicht weiß, wo er eigentlich anfangen soll? Er sucht nach historischen Präzedenzfällen, er liest in alten Reden nach, er versucht vielleicht, auch Verbindungen herzustellen, möglichst Parallelen, und irgendwie - und ich habe das gestern noch einmal nachgelesen in seinem Buch, und es klingt etwas konfus, nicht ganz überzeugend – aber irgendwie kommt er auf den Zweiten Weltkrieg, er kommt auf die Achsenmächte, er vergleicht Saddam Hussein mit Adolf Hitler, das irakische Regime mit Japan, schreibt, alle seien unberechenbar gewesen, damit eine Gefahr für den Weltfrieden.

Was Saddam Hussein so unberechenbar gemacht habe, seien seine angeblichen Verbindungen zu Terroristen, seine angeblichen Massenvernichtungswaffen. Und diese gefährlichen Verbindungen sah dann David Frum auch in anderen Staaten, die man damals als Schurkenstaaten bezeichnete, sogenannte Rogue States – Korea, Nordkorea und Iran –, und da sie alle – und damit komme ich auf den Punkt – da sie alle drei den USA feindselig gegenüberständen, sprach er von einer Achse des Hasses, an Axis of Hatred, ohne aber Nordkorea oder Iran beim Namen zu nennen. Damit wären wir bei der ersten, bei der halben Achse, dieser Achse des Bösen. Und dann kam die Rede zurück oder vielmehr der Redenentwurf und die Vorstellungen von David Frum zu Michael Gerson, und der sagte, ja, die Achsen-Idee ist gut. Aber er wollte es etwas bedrohlicher, etwas düsterer, also machte er aus der Achse des Hasses eine Achse des Bösen und hat sicher dabei auch an Ronald Reagan gedacht, an seinen Spruch, das war 1983, von der Sowjetunion als Reich des Bösen, als Evil Empire.

von Billerbeck: Die Achse des Bösen, das war ja vermutlich auch eine Formulierung, die dem religiös geprägten oder religiöse Formulierungen gern nutzenden George Bush ja wie auf den Leib geschrieben war, oder?

Buschschlüter: Ja, sowohl George Bush als auch seinem Redenschreiber, als auch Michael Gerson, übrigens David Frum auch, sie waren alle religiös motiviert. Gerson hatte Theologie studiert an einem College in Illinois, der Alma Mater von Billy Graham, sie erinnern sich, dem Wanderprediger. Und wie George Bush bezeichnete sich Gerson als evangelikaler Christ, also kurz gefasst könnte man sagen, das Böse in der Achse des Bösen war ihm durchaus geläufig. Bush hat immer wieder darauf hingewiesen – und er war übrigens nicht der einzige amerikanische Präsident, der das getan hat –, dass er sich berufen fühlte, dass er nicht zufällig im Weißen Haus sitze, dass er einen Auftrag habe.

von Billerbeck: Einen göttlichen Auftrag?

Buschschlüter: Einen göttlichen Auftrag, Sie kennen vielleicht seine Formulierung: Freiheit ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, Freiheit ist Gottes Geschenk an jeden Menschen auf der Welt. Und dann fragt man sich, gut, aber wer überbringt dieses Geschenk dann den Menschen? Aus der Sicht von George Bush, nicht nur aus seiner Sicht natürlich, die USA. Und dann ist der Weg zum Missionar, zum Kreuzzug natürlich nicht weit.

von Billerbeck: Herr Buschschlüter, wir haben ja nun einen anderen Präsidenten inzwischen: Präsident Obama. Der hat ja auch rhetorisch mit den Bush-Jahren gebrochen. Wir erinnern uns an seine Kairoer Rede vom Juni 2009, die ganz andere Töne hatte. Ist denn die Phase der Feindbild-Rhetorik und auch der religiösen Motivation oder religiösen Motive in solchen Reden vorbei?

Buschschlüter: Nein, zumindest nicht ganz. Zu Obama - ja, von der Achse des Bösen hat er nicht viel gehalten, er hielt auch nicht viel davon, dass man nun drei Länder namentlich nannte, nämlich Nordkorea, Iran und Irak. Die sind übrigens von Condoleezza Rice und ihrem Stellvertreter Stephen Hadley in diese Rede eingefügt worden. Sie wollten schon deutlich machen, wo sie die potenziellen Feinde sahen. Sie bekamen dann später kalte Füße, haben George Bush ihre Bedenken mitgeteilt, aber der ist hart geblieben, er hat gesagt, Iran bleibt in der Achse. Vor allem Iran, darum ging es. Er glaube, die Reformer im Iran – es gab ja damals so etwas wie eine Freiheitsbewegung im Iran – die Reformer im Iran würden seine Erklärung begrüßen, die USA hätten eine Verpflichtung in der Welt, nicht nur das eigene Volk zu schützen, sondern die Freiheit zu fördern. Damit kommen wir auf den göttlichen Auftrag zurück. Obama hat von Anfang an deutlich gemacht, er hält von dieser Achse des Bösen nicht viel.

Er hat Teheran Gespräche angeboten, daraus ist dann aber nichts geworden, und versucht jetzt zusammen mit den Europäern, wie Sie wissen, durch Sanktionen Verhandlungen zu erzwingen. Nordkorea, da hat der Präsident dem Kongress, im – ich glaube, es war im Februar 2010 – mitgeteilt, Nordkorea stehe mit Sicherheit nicht mehr auf dieser Achse des Bösen, auf der Liste, es könne nicht mal als staatlicher Sponsor des Terrorismus bezeichnet werden. Zum Irak – ja, das wissen wir alle – haben sich die Beziehungen ebenfalls geändert.

Also, was die Achse des Bösen konkret angeht, davon hat Obama nichts gehalten. Er hat aber auch immer wieder, wie viele Präsidenten vor ihm, deutlich gemacht, er ist Christ – einige in Amerika haben das bezweifelt, haben gesagt, es ist im Grunde ein Muslim – er ist Christ, und er hat christliche Werte, und die will er natürlich in seiner Präsidentschaft auch umsetzen.

von Billerbeck: Die Achse des Bösen – über diese Wendung in George W. Bushs Rede vor zehn Jahren zur Lage der Nation sprachen wir mit Siegfried Buschschlüter, dem langjährigen USA-Korrespondenten. Ganz herzlichen Dank!

Buschschlüter: Wiederhören!


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