Einbruch in die Privatsphäre
Es sind sehr private - eigentlich zu private - Aufzeichnungen der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, die Christine Fischer-Defoy unter dem Titel "Das private Adressbuch" ausgebraben, veröffentlicht und kommentiert hat. In einem zierlichen Notizbuch hatte die Künstlerin Namen, Nummern und Adressen aufgezeichnet und mit Zeichnungen versehen.
Mit einem von drei erst 2004 in Frida Kahlos Casa Azul entdeckten Ringbüchlein führt Christine Fischer-Defoy ihre faszinierende Serie privater Adressbücher fort. Nach Paul Hindemith, Marlene Dietrich, Walter Benjamin, Heinrich Mann und Hannah Arendt nun also eine Malerin, die für ihr schmales, den ewigen Schmerzen abgerungenes Werk ebenso berühmt ist wie für ihre radikale Art, mit der Politik und der Liebe, also dem Leben umzugehen.
Auch dieses zierliche Bändchen zieht einen sofort in Bann. Und keineswegs nur, wenn man Frida Kahlo vielleicht auch früher als Ikone in der Frauen-WG-Küche hängen hatte oder weil einen diese umwälzende erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren revolutionären Hoffnungen und mörderischen Kriegen und Diktaturen umtreibt.
Das Objekt selbst ist ausgesprochen sinnlich. Wunderschön gestaltet, kaum größer als die sorgfältig faksimilierten 70 Seiten voller Namen und Nummern, seltener Adressen, oft mit kleinen Zeichnungen versehen, dazu 140 Seiten spannende und klug dosierte Erläuterungen zu Personen, Zeitumständen, Beziehungen und Brüchen, und Fotos, die man nicht schon aus der Kahlo-Mexiko-Ikonografie satt hat.
Wenn man sich in die Faksimiles vertieft - mal winzige feine Buchstaben und Ziffern in allen möglichen Farben, die bei Frida Kahlo immer eine Bedeutung haben, vor allem ihr geliebtes Magenta, mal eine dicke große Zahl fett und schräg über die halbe Seite, mal großflächig durchgestrichene, mal überkritzelte Eintragungen -, bekommt man einen direkten sinnlichen Zugang.
Fast erotisch aufgeladen durch den "Reiz des Verbotenen": Das hier sind Intimitäten eines anderen Menschen, so etwas geht einen eigentlich noch weniger an als seine Briefe, denn die waren immerhin für zwei andere Augen bestimmt.
Und wenn man daran denkt, dass die wirkliche Welt für Frida Kahlo immer unerreichbarer wurde, wird einem wie in einem Benjaminschen "Choque" klar, warum vor allem Nummern da stehen: Mit dem Telefon kann man auch aus dem Rollstuhl, dem Krankenbett Kontakt halten zur Welt.
Und plötzlich weiß man, warum zwischen all der zeitgenössischen linksintellektuellen und künstlerischen "Crème de la Crème" so viele "Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser, orthopädische Schuhmacher und Korsetthersteller" stehen.
Von detektivischer Sinnlichkeit muss auch die Recherche gewesen sein. Elektrisiert durch einen Artikel über eine Ausstellung mit persönlichen Gegenständen zu Frida Kahlos 100. Geburtstag 2007 steht Christine Fischer-Defoy im Februar 2008 in der Casa Azul, zwischen der berühmten Beinprothese mit dem roten Schnürstiefel und dem unvollendeten Stalin-Porträt auf der Staffelei, und da, auf einem gelben Tisch, liegt es:
"Ein Ringbuch der Firma Sobrinho mit genarbtem rotbraunem Ledereinband, der sich mit einem Druckknopf und einer Lasche an der Längsseite schließen lässt. An der hinteren Innenseite befindet sich eine kleine Tasche für Briefmarken oder Notizzettel. Die 36 Ringbuchblätter im Format 12 x 7 cm werden von sechs Spiralen gehalten. Jeweils zwei Buchstaben sind im Register zusammengefasst und auf Blankoseiten mit kleinen roten Lederlaschen markiert. Die übrigen Seiten sind blau liniert."
Dass es jetzt veröffentlicht wird, ist nebenbei auch eine Weltpremiere. Ein kleiner Schlüssel zur geheimnisvollen Welt der Frida Kahlo, aber kostbarer als etliche Biografien, Biopics und Devotionalien aller Art zusammen.
Rezensiert von Pieke Biermann
Frida Kahlo - Das private Adressbuch
Herausgegeben und kommentiert von Christine Fischer-Defoy
Koehler & Amelang Verlag, Leipzig 2009
240 Seiten, 24,90 Euro
Auch dieses zierliche Bändchen zieht einen sofort in Bann. Und keineswegs nur, wenn man Frida Kahlo vielleicht auch früher als Ikone in der Frauen-WG-Küche hängen hatte oder weil einen diese umwälzende erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren revolutionären Hoffnungen und mörderischen Kriegen und Diktaturen umtreibt.
Das Objekt selbst ist ausgesprochen sinnlich. Wunderschön gestaltet, kaum größer als die sorgfältig faksimilierten 70 Seiten voller Namen und Nummern, seltener Adressen, oft mit kleinen Zeichnungen versehen, dazu 140 Seiten spannende und klug dosierte Erläuterungen zu Personen, Zeitumständen, Beziehungen und Brüchen, und Fotos, die man nicht schon aus der Kahlo-Mexiko-Ikonografie satt hat.
Wenn man sich in die Faksimiles vertieft - mal winzige feine Buchstaben und Ziffern in allen möglichen Farben, die bei Frida Kahlo immer eine Bedeutung haben, vor allem ihr geliebtes Magenta, mal eine dicke große Zahl fett und schräg über die halbe Seite, mal großflächig durchgestrichene, mal überkritzelte Eintragungen -, bekommt man einen direkten sinnlichen Zugang.
Fast erotisch aufgeladen durch den "Reiz des Verbotenen": Das hier sind Intimitäten eines anderen Menschen, so etwas geht einen eigentlich noch weniger an als seine Briefe, denn die waren immerhin für zwei andere Augen bestimmt.
Und wenn man daran denkt, dass die wirkliche Welt für Frida Kahlo immer unerreichbarer wurde, wird einem wie in einem Benjaminschen "Choque" klar, warum vor allem Nummern da stehen: Mit dem Telefon kann man auch aus dem Rollstuhl, dem Krankenbett Kontakt halten zur Welt.
Und plötzlich weiß man, warum zwischen all der zeitgenössischen linksintellektuellen und künstlerischen "Crème de la Crème" so viele "Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser, orthopädische Schuhmacher und Korsetthersteller" stehen.
Von detektivischer Sinnlichkeit muss auch die Recherche gewesen sein. Elektrisiert durch einen Artikel über eine Ausstellung mit persönlichen Gegenständen zu Frida Kahlos 100. Geburtstag 2007 steht Christine Fischer-Defoy im Februar 2008 in der Casa Azul, zwischen der berühmten Beinprothese mit dem roten Schnürstiefel und dem unvollendeten Stalin-Porträt auf der Staffelei, und da, auf einem gelben Tisch, liegt es:
"Ein Ringbuch der Firma Sobrinho mit genarbtem rotbraunem Ledereinband, der sich mit einem Druckknopf und einer Lasche an der Längsseite schließen lässt. An der hinteren Innenseite befindet sich eine kleine Tasche für Briefmarken oder Notizzettel. Die 36 Ringbuchblätter im Format 12 x 7 cm werden von sechs Spiralen gehalten. Jeweils zwei Buchstaben sind im Register zusammengefasst und auf Blankoseiten mit kleinen roten Lederlaschen markiert. Die übrigen Seiten sind blau liniert."
Dass es jetzt veröffentlicht wird, ist nebenbei auch eine Weltpremiere. Ein kleiner Schlüssel zur geheimnisvollen Welt der Frida Kahlo, aber kostbarer als etliche Biografien, Biopics und Devotionalien aller Art zusammen.
Rezensiert von Pieke Biermann
Frida Kahlo - Das private Adressbuch
Herausgegeben und kommentiert von Christine Fischer-Defoy
Koehler & Amelang Verlag, Leipzig 2009
240 Seiten, 24,90 Euro