Einblicke in tausend Jahre Kulturgeschichte

Von Irmela Spelsberg · 12.05.2006
Das zentrale deutsche Schlesien-Museum wird jetzt im Görlitzer Schönhof feierlich eröffnet. Unter den prächtig bemalten Decken dieses ältesten Renaissancehauses Deutschlands breiten sich ab sofort ungeahnte Schätze aus: Goldschmiedearbeiten aus Breslau, edle geschnittene Gläser aus den Hütten des Riesengebirges. Sogar ein ganzer Salon aus Schloss Erdmannsdorf - dieser einstigen Sommerfrische preußischer Könige - fand auf Umwegen nach Görlitz.
Sollten Sie am morgigen Samstag eine Spritztour nach Görlitz planen und auf ein Nachtquartier hoffen: Verschieben Sie lieber Ihre Pläne, die Stadt ist nämlich komplett ausgebucht. Allein 50 polnische Museumsdirektoren, Bürgermeister und Denkmalpfleger aus dem benachbarten Schlesien haben sich angesagt – dazu noch mal die zehnfache Zahl deutscher Schlesienfreunde vom Kulturstaatsminister und dem sächsischen Ministerpräsidenten bis zu heimatverbundenen Spendern für Orgeln und Kindergärten im einstigen Herkunftsort. Sie alle wollen die Eröffnung des zentralen deutschen Schlesien-Museums im Görlitzer Schönhof feiern.

Unter den prächtig bemalten Decken dieses ältesten Renaissancehauses Deutschlands breiten sich ab sofort ungeahnte Schätze aus: Goldschmiedearbeiten aus Breslau, edle geschnittene Gläser aus den Hütten des Riesengebirges. Sogar ein ganzer Salon aus Schloss Erdmannsdorf - dieser einstigen Sommerfrische preußischer Könige und heutigen Schule im Hirschberger Tal - fand auf Umwegen nach Görlitz: Vitrine, Kanapee, Tisch und zwei Sessel wurden nach Originalentwürfen von Karl Friedrich Schinkel in seinem Umkreis gefertigt. Aber auch Breslau, neben Berlin und Königsberg die drittwichtigste Metropole Preußens, ist in der Ausstellung zu erleben mit ihren Kunstmäzenen, den Salons, der Breslauer Akademie als einer Keimzelle der Moderne, mit der demnächst zum Weltkulturerbe zählenden Jahrhunderthalle samt den sie umgebenden Bauten der architektonischen Avantgarde.

Der Zweite Weltkrieg schließlich, von Deutschen verschuldet, wird als beiderseits erlittenes Schicksal deutlich in der Galerie der Habseligkeiten, die flüchtende Deutsche und Polen mitführten. Aber auch erste geglückte Verständigungsversuche werden gezeigt – Material genug, auch polnisches Interesse hervorzurufen. Wie haben die Museumsmacher sich dieser sensiblen Thematik genähert? Markus Bauer, Direktor des Schlesischen Museums, weiß einen wissenschaftlichen Beirat an seiner Seite:
"Es sind führende Universitätswissenschaftler aus Deutschland, es ist aber auch ein polnischer Kollege dabei, Herr Professor Bialek, ein Germanist. Wir werden auch jetzt in einiger Zeit noch einen weiteren polnischen Wissenschaftler berufen, wir kümmern uns noch um einen Historiker, aus Breslau vielleicht. Wir haben natürlich die Texte, vor allem in den Bereichen, wo es zu Missverständnissen kommen könnte und in Deutschland und Polen kontroverse Auffassungen vertreten werden, immer wieder auch mit polnischen Kollegen besprochen. Wir haben denen Texte vorgelegt und gefragt: Wie siehst Du das, ist das verständlich, könnte das Missverständnisse hervorrufen, die Gefühle von irgendjemandem verletzen – und wir haben die Reaktionen, die dann kamen auch mit berücksichtigt. Aber wichtig ist mir schon: Die Verantwortung haben letzten Endes wir!"
Schon in den Jahren zuvor hat man, den Leitlinien des Stiftungsrates folgend, die enge Zusammenarbeit mit Museen im polnischen und tschechischen Schlesien gesucht:
"Wir haben mit vielen Museen in Schlesien schon ein partnerschaftliches Verhältnis bei Ausstellungen gehabt, dass wir Leihgaben zur Verfügung gestellt haben oder auch wir Dinge aus Schlesien gezeigt haben, aus dem polnischen Schlesien. Und wir haben auch einige größere gemeinsame Projekte durchgeführt. Die engere museale Zusammenarbeit, die kann natürlich jetzt erst beginnen, aber wir haben schon für die nächste Zeit große Vorhaben."

So wird es zum Beispiel 2007 eine Ausstellung geben über die Altranstädter Konvention, die die Grundlage schuf für die schlesische Toleranz: 1707 erreichte Karl XII von Kaiser Joseph I. die Duldung der schlesischen Protestanten und den Bau von sechs Gnadenkirchen. Eine davon steht in Hirschberg und mit dem dortigen Museum zusammen entsteht die Schau, die auch in anderen Kirchorten sowie im sächsischen Altranstädt selbst zu sehen sein wird.

Bei aller gebotenen Zusammenarbeit mit den Nachbarn: Der Schwerpunkt eines deutschen Schlesien-Museums liegt naturgemäß auf den deutschgeprägten Epochen der schlesischen Kulturgeschichte. Interessant wäre es zu sehen, welche Akzente ein polnisches oder tschechisches Schlesien-Museum setzen würde. In Polen scheint die Görlitzer Initiative schon potentielle Museumsneugründer auf den Plan gerufen zu haben. Während in Breslau ein Museum der schlesischen Geschichte im Gespräch ist, kommt aus Kreisen der polnischen Regierung die Idee zu einem Warschauer Zentralmuseum der polnischen Geschichte – letzteres allerdings hat eine kritische Diskussion im Lande ausgelöst. Der nach Görlitz als Festredner eingeladene frühere Generalkonservator Polens, Andrzej Tomaszewski wünschte sich – sollte es zu einer Breslauer Museumsgründung kommen - darin auch die 60 Nachkriegsjahre berücksichtigt:
"Das was sehr interessant, aber auch schwierig zu zeigen ist, wäre die Geschichte von polnischen Vertriebenen, die von unseren verlorenen Ostgebieten kamen. Sie fanden sich in einer Kulturlandschaft, die ganz fremd war, ganz preußisch. Und da kam es zunächst zu einer Entprussifizierung dieser Landschaft – 'odprusaczanie' hieß es polnisch. Aber mit der Zeit haben die polnischen Schlesier immer mehr die ganze komplizierte Geschichte Schlesiens kennen gelernt – sie haben sich immer mehr mit dieser Geschichte identifiziert bis zum tiefen Regional- und Lokalpatriotismus, den wir jetzt beobachten. ... Und so von der Nachkriegszeit, in der Polen viel zerstört haben von der preußischen Kulturlandschaft Schlesiens, sind wir mit dem Generationswechsel nach 60 Jahren zu einer Zeit gekommen, in der die Polen und die Deutschen in puncto Schlesien zusammenarbeiten."
Man denke da an die Wiederherrichtung der inzwischen auf der UNESCO-Welterbeliste stehenden Friedenskirchen in Schweidnitz und Jauer, mit der deutsche und polnische Denkmalpfleger und Restauratoren gemeinsam befasst waren. Oder auch an die Wiedergewinnung des heute halb in Deutschland, halb in Polen liegenden Landschaftsparks des Fürsten Pückler in Muskau, aber auch an die erste von polnischen und deutschen Kunsthistorikern gemeinsam geschriebene Kunstgeschichte Schlesiens, den "Dehio Schlesien". Mit ihm im Gepäck und vorbereitet durch einen Besuch im Schlesischen Museum Görlitz ist man bestens ausgerüstet für eine Reise in diese europäische Kulturregion par excellence.
Abschließend noch einmal Markus Bauer: Für welchen Besucher ist sein Museum gedacht?
"Für jeden, der sich für Schlesien interessiert, der sich der Faszination dieses großartigen Landes nicht entziehen kann, der mehr wissen will, der sich auch für Hintergründe interessiert, der wird hier in Görlitz viel Anschauungsmaterial vorfinden und auch Anregungen, in dieses Land zu fahren – das ist ja von Görlitz aus sehr leicht."
Nur, wie schon gesagt, es muss ja nicht gleich morgen sein.