Einblicke in Stefans Zweigs Leben

Von Jens Brüning · 09.03.2008
Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig führte ein bewegtes Leben, nicht zuletzt, weil er als Jude aus dem nationalsozialistischen Deutschen Reich fliehen musste. Die drei großen Lebensabschnitte Stefan Zweigs werden nun eindrucksvoll in einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin dokumentiert. Sie verknüpft Biografie und literarisches Werk und ermöglicht Einblicke in die Arbeitswelt und Zweigs privates Leben.
Den Arbeitstitel "Meine drei Leben" trug Zweigs nachgelassene Autobiografie, die eher ein historisches Panorama des im Zweiten Weltkrieg zerstörten alten Europas wurde. Der Autor wählte dann doch "Die Welt von gestern" als Titel für das postum herausgegebene Werk. Stefan Zweig hatte, um den Überblick über sein Schrifttum nicht zu verlieren, ein umfangreiches Registerbuch angelegt. Sein Biograf Oliver Matuschek:

Matuschek: "Da hat man eben eine Tabelle, wo die verschiedenen Sprachen, in denen die Bücher erschienen sind, eingetragen waren. Dazu dann eben die Angaben, welcher Verleger hat die Rechte gekauft, wann will er publizieren, hat er bezahlt, wann läuft der Vertrag aus, wer ist der Übersetzer, sind die Filmrechte verkauft, und das ist eben ein einmaliges, ein sehr eindrucksvolles Dokument, weil es zeigt, wie dieser Großschriftsteller, als der er manchmal auch in einem fast angreifenden Ton bezeichnet wurde, wie er zu Werke ging und wie er zu Werke gehen musste. Natürlich musste so ein Werk auch verwaltet werden, und dazu gehören eben auch solche Bürodinge, die zu erledigen waren."

Das erste Leben des Stefan Zweig begann 1881 in Wien. Er wurde in das begüterte, breiter Bildung und den schönen Künsten zugeneigte jüdische Bürgertum der österreich-ungarischen Monarchie hineingeboren. Bruder Alfred übernahm die Textil-Firma des Vaters Moritz Zweig, Stefan studierte Philosophie und Literatur, schrieb Gedichte und übersetzte Lyrik und Prosa. Auf Karteikarten aufgeklebte Rezensionen zu seinem ersten Buch von 1901, dem Gedichtband "Silberne Saiten", fanden sich im Nachlass seiner Salzburger Sekretärin. Er ging auf Reisen durch die ganze Welt, lernte bedeutende Persönlichkeiten kennen und blieb mit ihnen oft über Jahrzehnte in brieflichem Kontakt. Oliver Matuschek:

"Wir haben ausliegen auch Kopien der Briefe an ihn, es ist wie ein Literaturlexikon, ein Kulturlexikon muss man sagen, es ging ja auch in die Musik hinein, in die Malerei. Er traf sich mit Salvador Dalí zum Beispiel in London, Brecht traf er auch in London dann im Exil, aber auch viele andere Leute, Rodin zum Beispiel, den er in jungen Jahren traf, der ihn sehr beeindruckt hat, zu einem Gedicht animiert hat sogar, das man in der Ausstellung auch hören kann, die einzige Aufnahme von Zweigs Stimme, die wir heute kennen."

Als Stefan Zweig dieses Gedicht am 12. März 1933 aufnahm, stand er bereits an der Schwelle zu seinem dritten Leben, dem Exil. Das zweite Gedicht, das er deklamiert, trägt den Titel "Hymnus an die Reise":

Aufnahme Zweig: "Schienen, die blauen Adern aus Eisen, durchrinnen die Welt, ein rauschendes Netz, Herz, rinn mit ihnen, raff auf dich zu reisen, im Flug nur entfliehst du Gewalt und Gesetz."

1919 hatte Stefan Zweigs zweiter Lebensabschnitt begonnen. Er hatte seine langjährige Freundin Friderike von Winternitz geheiratet, mit ihr und ihren beiden Töchtern aus erster Ehe ein angemessen repräsentatives Haus am Salzburger Kapuzinerberg bezogen und engagierte sich für die Aussöhnung der Völker und den Frieden. Klemens Renoldner, der 1992 eine erste umfassende Ausstellung zu Leben und Werk in Salzburg zusammentrug:

Renoldner: "Es gibt wenig Autoren, die sich in dieser Zeit so eminent engagiert haben. Es gab Zeitschriftenprojekte, sie haben Kongresse veranstaltet, es gab Petitionen, Briefe, einen unglaublichen Aufwand an Briefen, Korrespondenzen mit den Persönlichkeiten, von Sigmund Freud angefangen, die man da zusammenholen wollte, und da war er unermüdlich. Natürlich musste er dann sehen, dass das politisch nicht gefruchtet hat und er war natürlich sehr verbittert, als er dann 1934 nach England in die Emigration gegangen ist und dann weiter in die USA."

Das ist das dritte Leben des Stefan Zweig, das mit dem selbst gewählten gemeinsamen Tod der Emigranten Lotte und Stefan Zweig im brasilianischen Petropolis endete. In der vor allem von Oliver Matuschek mit Sucheifer und Finderglück zusammengetragenen Ausstellung wandern wir durch ein faszinierendes Kaleidoskop. Neben seiner Schriftstellerei und der Reisetätigkeit war Zweig ein passionierter Sammler von Kunst und von Handschriften aus Literatur und Musik.

Matuschek: "Ganz besonders hervorzuheben: die Melodie der deutschen Nationalhymne, in Haydns Original-Handschrift, und dazu dann eben auch als zweites Stück von Hoffmann von Fallersleben "Das Lied der Deutschen" mit allen drei Strophen, eben beginnend mit "Deutschland, Deutschland über alles", ein Stück, das er nur kurze Zeit besaß, das er gerne sofort wieder loswerden wollte, 1936, "ich will dieses nationalistische Gedicht nicht in meiner Sammlung", sagt er, und will es nach Deutschland verkaufen, um Geld dafür zu bekommen, "das sie mir zurück halten", wie er sagt. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass der Antiquar, dem er das anbot, sagte, "ich kenne jemanden, der solche Stücke kauft und sie Adolf Hitler schenkt". Die Sache wurde dann aber sehr schnell umgangen, indem ein Schweizer Sammler, der auch vorher schon andere Stücke von Zweig gekauft hatte, dieses Stück für seine Sammlung erwarb."

Fotos, Briefe, Bücher sind der natürliche Boden dieses Wundergartens. Zweigs Schreibtisch, die Reiseschreibmaschine seiner Sekretärin, die Meerschaumpfeife des Tabak- und Kaffeefreundes und sein Wanderstock überliefern die private Aura. Ein gerahmtes Goethegedicht in dessen Handschrift nebst zugehöriger Schreibfeder hat ihn sein Leben lang inspiriert. Wir sehen die Riesenbuchstaben, mit denen die Komponistengattin Alma Mahler ihre Briefbögen bedeckte, und die winzig kleine, gestochene Handschrift des tragisch endenden Joseph Roth, den Stefan Zweig verehrte und finanziell unterstützte.

Matuschek: "Wenn man sich mit Stefan Zweigs Briefen und Kommentaren beschäftigt hat, weiß man, mit welcher Verehrung er von diesen großen Autoren gesprochen hat, und er sich selber eigentlich nie in diese Augenhöhe dieser Leute gebracht hat, aber mit einigen Texten und einigen Büchern ist er das absolut. Das ist nicht selbstverständlich, dass ein Autor, der 1942 gestorben ist, immer noch heute gelesen wird und in allen Buchhandlungen präsent ist, das ist vielen deutschen Autoren, die damals auch Bestsellerautoren waren, nicht gelungen."

Service: Die Ausstellung "Die drei Leben des Stefan Zweig" dauert vom 8. März bis zum 12. Mai und wird in der Ausstellungshalle im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums Berlin gezeigt.