Einblicke in Orte des Grauens

Von Günter Beyer · 24.01.2012
Das Museum für Sepulkralkultur in Kassel ist einzigartig in Deutschland. Es treibt die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod durch gut gemachte, oft unter die Haut gehende Ausstellungen voran. Am 24. Januar 1992 wurde das Museum eröffnet.
Von der Anhöhe fällt der Blick weit über das Zentrum der Stadt. Eine Aussichtsterrasse verbindet den lichten, teils gläsernen Ausstellungstrakt mit der Remise einer gründerzeitlichen Villa, die einst der Industriellenfamilie Henschel gehörte.

Als das "Museum für Sepulkralkultur" vor 20 Jahren eröffnet wurde, wollte man beileibe keine muffige Gruft schaffen. Reiner Sörries, schon damals Direktor, erinnert an die Anfänge.

"Jetzt muss ich mal gestehen, dass wir vor 20 Jahren noch nicht so genau wussten: Was macht man mit einem solchen Museum und was erwarten die Menschen? Und so haben wir sehr vorsichtig und ganz brav angefangen mit der Kulturgeschichte des Todes, haben schöne Särge gezeigt oder auch mal Trauerschmuck, wunderbare Pretiosen aus England."

Anknüpfen konnte das Museum an eine Sammlung, die der Verein "Friedhof und Denkmal" über Jahre zusammen getragen hatte. Dazu gehören Friedhofs-Accessoires wie Grabsteine, Särge und sogar chromblitzende Leichenwagen, aber auch Literatur und Graphik seit der frühen Neuzeit. Der Schwerpunkt liegt auf dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

"Der ist natürlich auch durchaus kirchlich-religiös geprägt, der Sammlungsbestand. Wir versuchen aber trotzdem, selbst in der Dauerausstellung natürlich, jüdische Bestattungskultur, muslimische, auch buddhistische, ein bisschen was von China, ein bisschen was von Mexiko zu zeigen, weil das unsere Besucher und Besucherinnen auch erwarten, diesen Blick über den Tellerrand hinaus."

Das Museum hat sich seither verändert. Längst haben die Kirchen ihr Deutungsmonopol fürs Jenseits verloren. Anonyme Urnenfelder, Friedwälder und Seebestattungen spiegeln die Erosion traditioneller Friedhofskultur wider. Antworten auf die Frage, was wohl "danach" kommen mag, suchen viele Menschen nicht mehr in der Bibel. Darauf hat das Museum reagiert.

"Wir haben im Lauf der Jahre erfahren dürfen, dass die Menschen durchaus direkter mit dem Thema konfrontiert werden wollen, so dass wir auch die Ausstellungspolitik etwas geändert haben, sind mutiger geworden, haben das Thema "Sterben und Tod" mit ins Museum geholt, und das sind gerade die Erwartungen der Menschen heute: Sie wollen tatsächlich wissen: Was kommt auf mich zu?"

Themen wie Patientenverfügung oder Organtransplantation gehören deshalb ins Sepulkralmuseum. Sörries und sein Team setzen vor allem auf Sonderausstellungen. "Erzähl mir was vom Tod!" hieß eine Schau, die sich vor allem an Kinder wandte. Bei "Last minute" ging es um den Abschied vom Leben, wenn unser letztes Stündlein geschlagen hat. "Game Over" handelte von der Rolle des Todes im Spiel, zum Beispiel am Computer.

Vor allem aber ist die zeitgenössische Kunst eine wichtige Verbündete, sensible Themen zu visualisieren. Eine Künstlerin ließ sich für eine Inszenierung Friedhofserde aus aller Welt schicken. Daniel und Karolin Bräg schufen ein Objekt aus lauter Hinweisschildern ...

"... und da drauf steht: Porsche-Friedhof, Ausländer-Friedhof, Kelly-Familie-Friedhof, Vorgarten-Friedhof. Also ein künstlerisches Objekt, was wenige Jahre, bevor diese Separat-Friedhöfe entstanden sind, tatsächlich diese Entwicklung schon vorweg nimmt."

Der Friedhof ist kein Kirchhof mehr, aber auch der städtische "Friedhof für alle" steht auf dem Prüfstand.

"Es wird auch in 50 Jahren noch Friedhöfe geben. Aber es wird sie nicht mehr in dieser Ausschließlichkeit geben. Also wir werden nicht mehr nur katholische und evangelische Friedhöfe haben und jüdische und muslimische, sondern wir werden auch atheistische Friedhöfe haben. Die AIDS-Verstorbenen haben ihre eigenen, die HSV-Fans haben ihre eigenen Friedhöfe."


Auch zu seinem 20. Geburtstag zeigt das Museum eine Sonderausstellung. "Galgen, Rad und Scheiterhaufen - Einblicke in Orte des Grauens" führt in die Welt der Scharfrichter und Henker, die im Namen einer fragwürdigen Gerichtsbarkeit Menschen ins Jenseits beförderten. Richtschwerter, Schandmasken, ein massiver Galgen erzählen unverblümt die Geschichte des gewaltsamen Todes. Sogar ein niedergebrannter Scheiterhaufen ist zu sehen, an dem kürzlich für ein wissenschaftliches Experiment zum Feuertod ein halbes Schwein eingeäschert wurde.

"Ja, die Menschen waren fasziniert davon, das muss man so sagen, dass Menschen öffentlich hingerichtet worden sind."

Ulrike Neurath-Sippel, Kustodin am Museum, sagt:

"Man hat geglaubt, dass, wenn man einen Menschen tötet, dass das tatsächlich eine abschreckende Maßnahme sei. Und das ist ja der Grund, warum die Richtstätten häufig auf Anhöhen platziert worden sind oder zum Beispiel an Wegkreuzungen. Dass die Gehenkten am Galgen baumelten."

Dem Töten zuzuschauen freilich ist keine verwerfliche Vorliebe im dunkelsten Mittelalter. Ein Video im Internet über die Hinrichtung des irakischen Diktators Saddam Hussein wurde bis heute 12 Millionen Mal angeklickt.
Der Museumskoffer "Vergiss mein nicht" ausgestellt zum 20-jährigen Bestehen des Museum für Sepulkralkultur in Kassel.
Der Museumskoffer "Vergiss mein nicht" ausgestellt zum 20-jährigen Bestehen.© Museum für Sepulkralkultur