Einblicke in die Vielfalt des zeitgenössischen Tanzes
"N.O.W. Dance Saar" heißt ein neues Tanzfestival, das jetzt in Saarbrücken zum ersten Mal über die Bühne ging. In nur vier Tagen gab es verschiedene Tanzabende, eingeladen waren Choreographen wie Karine Guizzo, Thomas Lehmen und Itzik Galili.
Es windet ganz gewaltig auf der Bühne, die Tänzer müssen sich gegen die wirbelnden Strömungen stemmen und liegen fast schräg in der Luft. Die Wellenbewegungen, die ihre dünnen, weich fallenden Hemden im Sturm produzieren, setzen sich in den Körpern fort. Arme und Beine sind ein einziges Auf und Ab, Torsi schlingern und finden weder Halt noch Ruhepunkt, fliegende Haare und Hosenbeine verlängern jede Bewegung ins Unendliche. Die Szenerie erscheint wie elektrifiziert, ja unter Strom zu stehen.
Das Bild eines kurzen, zittrigen Moments entsteht, in dem die Körper so flexibel und überbeweglich erscheinen, dass man um ihre Konsistenz fürchten muss; doch hat der Kampf gegen den Wind nichts von Apokalypse, sondern fast etwas Übernatürliches.
"Schatten" heißt das neue Stück der irischen Choreographin Maguerite Donlon und von den Schatten ihres Inneren scheinen die Tänzer raus auf die Bühne getrieben worden zu sein, in den Sturm, gegen den sie kämpfen und anschreien, letzteres in von der britischen Dramatikerin Sarah Kane inspirierten Klagesätzen, die allerdings etwas plakativ-pessimistisch geraten.
Ganz ernsthaft präsentiert sich die Ballettdirektorin des Saarländischen Staatsballetts in ihrer neuesten Produktion, gilt sie doch eigentlich als Liebhaberin tänzerischen Humors und eines hochvirtuosen, meist gutgelaunten Entertainments. Über die Idee zu ihrem ersten Festival berichtet Maguerite Donlon.
"Anstatt gleich mit einem ganz großen, habe ich mich entschlossen, eher mit einem kleinen, aber intensiven Festival zu beginnen. Ich wollte auf jeden Fall ein Spektrum verschiedener Stile präsentieren. […] Viele Festivals setzen sehr auf konzeptionelle Kunst und ich habe manchmal den Eindruck, dass wir den ‚Körper’ im Tanz verlieren und das finde ich ganz schrecklich und sehr schade. Hier wollte ich den Körper zeigen, der sich immer noch auf der Bühne bewegt und der mit seinen Bewegungen wichtig ist für den Tanz und nicht nur intellektualisiert wird, sondern darüber hinausgeht. Denn: was der Körper kann, ist fantastisch und absolut erstaunlich."
Erstaunlich sind vor allem die Tänzer der Donlon Kompanie, die das ungewöhnliche Bewegungsmaterial ihrer Choreographin mühelos beherrschen und dabei, das ist nicht selbstverständlich, ihre eigene Persönlichkeit ganz und gar beibehalten. So beweglich wie sie sind, scheinen sie am ganzen Körper Gelenke zu besitzen, der Tanzstil schlingert zwischen liquiden Strömungen und spitzigen Stopps, das klassische Vokabular wird durchbuchstabiert und aufgelöst, ja komplett verflüssigt und in schier unglaubliche Geschwindigkeiten transformiert.
Inhaltlich erreicht Maguerite Donlon in ihren Stücken nicht immer die gleiche Komplexität und Tiefenschärfe wie in ihrer technischen Arbeit – dennoch, das Saarbrückener Publikum, liebt seine Choreographin und folgt ihren Angeboten auch auf diesem Festival.
Der zweite Abend traf viele Zuschauer allerdings etwas unvorbereitet: Als Vertreter des so genannten Konzepttanzes hatte Maguerite Donlon den Berliner Choreographen Thomas Lehmen eingeladen. In seinem Solo "Lehmen lernt" setzt er zwar die eigene Person bereits in den Titel, macht daraus aber dennoch keine Selbstbeschau, sondern reflektiert in minimalistischer Weise verschiedene Prozesse des Lernens. Im Blaumann ganz allein auf knallweißer Bühne, erinnert er mit seinen reduzierten Gebärden an die formalisierten Figuren von Piktogrammen, Krabbeln, Laufen, Hinfallen, Aufstehen – das frühkindliche Lernen findet seinen Platz in Lehmens Choreographie genauso wie das lebenslange.
Die bewusste Simplifizierung der Bewegungssprache veranlasste zahlreiche Zuschauer, den Saal vorzeitig zu verlassen und entfachte später erregte Debatten darüber, ob das und was denn überhaupt Tanz sei. Die Konfrontation des Saarbrückener Publikums mit einer völlig anderen als der gewohnten Tanz-Ästhetik fiel durchwachsen aus – ein Umstand, den die Tanzchefin durchaus begrüßt. Über ihre Arbeit als Ballettdirektorin in Saarbrücken berichtet Maguerite Donlon
"Ich hatte hier von Anfang an die Möglichkeit, meinen eigenen Stil zu entwickeln. Mein Ziel ist es, immer sehr ehrlich zu sein in meiner Arbeit, meine Arbeit mit dem Publikum in Verbindung zu setzen, die Barrieren einzureißen, die entstehen, wenn Theater etwas elitäres wird, zu dem nur bestimmte Leute Zugang haben. Ich möchte Türen öffnen und in Berührung kommen mit ganz ‚normalen’ Leuten von der Strasse, ihnen das Gefühl geben, Theater ist für alle da, nicht nur für eine kleine, elitäre Gruppe von Leuten. Und ich wehre mich auch gegen die Tendenz, Kunst und Tanz zu überintellektualisieren. Kunst muss die Menschen berühren und jeder sollte das Gefühl haben, das es etwas für ihn ist."
Der unbestrittene Publikumsliebling des kleinen Festivals war, neben der Gastgeberin, der israelische Choreograph Itzak Galili. Der in den Niederlanden lebende Künstler hat einen sehr eigenen, am zeitgenössischen israelischen Tanz orientierten Stil ausgebildet: die Tänzer wirken kraftvoll und erdgebunden, haben einen tiefen Schwerpunkt und ein fast sportlich-akrobatisches Vermögen.
Mit vier Stücken hat Galili in Saarbrücken seine ganze Bandbreite gezeigt: humorvoll und poetisch, politisch genauso wie dem Alltag abgeschaut.
"The Sofa Scene" und "The New Duett" sind charmante, witzige Duette von frappierender Frische und vor allem guter Beobachtungsgabe. Wie sich Tänzer und Tänzerin auf dem Sofa balgen und bekriegen, wirkt bei Galili deswegen gar nicht altbacken oder peinlich, weil es mit all seiner Selbstironie der Wirklichkeit ganz genau abgeschaut ist.
Mit N.O.W. ist Maguerite Donlon tatsächlich ein kleines, aber feines Festival gelungen, das vielleicht nicht, wie geplant, die ganze Stadt in Bewegung versetzt hat, wohl aber dem regionalen Publikum Einblicke in die Vielfalt und Unterschiedlichkeit des internationalen zeitgenössischen Tanzes verschafft hat.
Das Bild eines kurzen, zittrigen Moments entsteht, in dem die Körper so flexibel und überbeweglich erscheinen, dass man um ihre Konsistenz fürchten muss; doch hat der Kampf gegen den Wind nichts von Apokalypse, sondern fast etwas Übernatürliches.
"Schatten" heißt das neue Stück der irischen Choreographin Maguerite Donlon und von den Schatten ihres Inneren scheinen die Tänzer raus auf die Bühne getrieben worden zu sein, in den Sturm, gegen den sie kämpfen und anschreien, letzteres in von der britischen Dramatikerin Sarah Kane inspirierten Klagesätzen, die allerdings etwas plakativ-pessimistisch geraten.
Ganz ernsthaft präsentiert sich die Ballettdirektorin des Saarländischen Staatsballetts in ihrer neuesten Produktion, gilt sie doch eigentlich als Liebhaberin tänzerischen Humors und eines hochvirtuosen, meist gutgelaunten Entertainments. Über die Idee zu ihrem ersten Festival berichtet Maguerite Donlon.
"Anstatt gleich mit einem ganz großen, habe ich mich entschlossen, eher mit einem kleinen, aber intensiven Festival zu beginnen. Ich wollte auf jeden Fall ein Spektrum verschiedener Stile präsentieren. […] Viele Festivals setzen sehr auf konzeptionelle Kunst und ich habe manchmal den Eindruck, dass wir den ‚Körper’ im Tanz verlieren und das finde ich ganz schrecklich und sehr schade. Hier wollte ich den Körper zeigen, der sich immer noch auf der Bühne bewegt und der mit seinen Bewegungen wichtig ist für den Tanz und nicht nur intellektualisiert wird, sondern darüber hinausgeht. Denn: was der Körper kann, ist fantastisch und absolut erstaunlich."
Erstaunlich sind vor allem die Tänzer der Donlon Kompanie, die das ungewöhnliche Bewegungsmaterial ihrer Choreographin mühelos beherrschen und dabei, das ist nicht selbstverständlich, ihre eigene Persönlichkeit ganz und gar beibehalten. So beweglich wie sie sind, scheinen sie am ganzen Körper Gelenke zu besitzen, der Tanzstil schlingert zwischen liquiden Strömungen und spitzigen Stopps, das klassische Vokabular wird durchbuchstabiert und aufgelöst, ja komplett verflüssigt und in schier unglaubliche Geschwindigkeiten transformiert.
Inhaltlich erreicht Maguerite Donlon in ihren Stücken nicht immer die gleiche Komplexität und Tiefenschärfe wie in ihrer technischen Arbeit – dennoch, das Saarbrückener Publikum, liebt seine Choreographin und folgt ihren Angeboten auch auf diesem Festival.
Der zweite Abend traf viele Zuschauer allerdings etwas unvorbereitet: Als Vertreter des so genannten Konzepttanzes hatte Maguerite Donlon den Berliner Choreographen Thomas Lehmen eingeladen. In seinem Solo "Lehmen lernt" setzt er zwar die eigene Person bereits in den Titel, macht daraus aber dennoch keine Selbstbeschau, sondern reflektiert in minimalistischer Weise verschiedene Prozesse des Lernens. Im Blaumann ganz allein auf knallweißer Bühne, erinnert er mit seinen reduzierten Gebärden an die formalisierten Figuren von Piktogrammen, Krabbeln, Laufen, Hinfallen, Aufstehen – das frühkindliche Lernen findet seinen Platz in Lehmens Choreographie genauso wie das lebenslange.
Die bewusste Simplifizierung der Bewegungssprache veranlasste zahlreiche Zuschauer, den Saal vorzeitig zu verlassen und entfachte später erregte Debatten darüber, ob das und was denn überhaupt Tanz sei. Die Konfrontation des Saarbrückener Publikums mit einer völlig anderen als der gewohnten Tanz-Ästhetik fiel durchwachsen aus – ein Umstand, den die Tanzchefin durchaus begrüßt. Über ihre Arbeit als Ballettdirektorin in Saarbrücken berichtet Maguerite Donlon
"Ich hatte hier von Anfang an die Möglichkeit, meinen eigenen Stil zu entwickeln. Mein Ziel ist es, immer sehr ehrlich zu sein in meiner Arbeit, meine Arbeit mit dem Publikum in Verbindung zu setzen, die Barrieren einzureißen, die entstehen, wenn Theater etwas elitäres wird, zu dem nur bestimmte Leute Zugang haben. Ich möchte Türen öffnen und in Berührung kommen mit ganz ‚normalen’ Leuten von der Strasse, ihnen das Gefühl geben, Theater ist für alle da, nicht nur für eine kleine, elitäre Gruppe von Leuten. Und ich wehre mich auch gegen die Tendenz, Kunst und Tanz zu überintellektualisieren. Kunst muss die Menschen berühren und jeder sollte das Gefühl haben, das es etwas für ihn ist."
Der unbestrittene Publikumsliebling des kleinen Festivals war, neben der Gastgeberin, der israelische Choreograph Itzak Galili. Der in den Niederlanden lebende Künstler hat einen sehr eigenen, am zeitgenössischen israelischen Tanz orientierten Stil ausgebildet: die Tänzer wirken kraftvoll und erdgebunden, haben einen tiefen Schwerpunkt und ein fast sportlich-akrobatisches Vermögen.
Mit vier Stücken hat Galili in Saarbrücken seine ganze Bandbreite gezeigt: humorvoll und poetisch, politisch genauso wie dem Alltag abgeschaut.
"The Sofa Scene" und "The New Duett" sind charmante, witzige Duette von frappierender Frische und vor allem guter Beobachtungsgabe. Wie sich Tänzer und Tänzerin auf dem Sofa balgen und bekriegen, wirkt bei Galili deswegen gar nicht altbacken oder peinlich, weil es mit all seiner Selbstironie der Wirklichkeit ganz genau abgeschaut ist.
Mit N.O.W. ist Maguerite Donlon tatsächlich ein kleines, aber feines Festival gelungen, das vielleicht nicht, wie geplant, die ganze Stadt in Bewegung versetzt hat, wohl aber dem regionalen Publikum Einblicke in die Vielfalt und Unterschiedlichkeit des internationalen zeitgenössischen Tanzes verschafft hat.