Einblicke in die Kunst nach 1968

Von Jürgen König · 06.11.2013
Die Berliner Sammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts lagerten lange Zeit in Depots. Die ersten beiden Publikumsausstellungen dann wurden große Erfolge, nun zeigt die Neue Nationalgalerie den dritten Teil: "Ausweitung der Kampfzone - 1968 - 2000".
Seit Jahren trommelt Udo Kittelmann, der Direktor der Berliner Nationalgalerie, für die Sanierung der Neuen Nationalgalerie und für einen Erweiterungsbau - damit die Berliner Sammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts, bis jetzt mehrheitlich in Depots verborgen, endlich umfassend gezeigt werden können.

"Der Beginn der Idee, die Sammlung in drei Teilen zu zeigen, war dass diese Sammlung endlich ein Dach über dem Kopf haben muss."

Und sein Trommeln hatte offenkundig Erfolg: Die ersten beiden Ausstellungen, in denen Teile der eigenen Sammlungen gezeigt wurden, "Moderne Zeiten - 1900-1945" und "Der geteilte Himmel - 1945-1968", wurden Publikumserfolge, tatsächlich machte sich ein Staunen über den Reichtum der Sammlungen breit, und glücklich - aus der Perspektive von Udo Kittelmann - fügte es sich, dass eine Machbarkeitsstudie des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung tatsächlich einen Erweiterungsbau der Neuen Nationalgalerie empfahl, dagegen vom Neubau einer Galerie für die Alten Meister abriet.

"Und wenn wir die aktuellen Schlagzeilen der letzten beiden Tage beobachten, gerade was die Kunst der 'entarteten Kunst' anbelangt, der Klassischen Moderne, ich kann es nicht oft genug wiederholen: Wir haben jetzt eine realistische Vision auf diese Erfüllung, dass die Klassische Moderne in Zukunft hier verlässlich gezeigt werden kann; in einer Stadt, die sozusagen diese ganze Bewegung vorbereitet hat und an einem Ort, sprich: der Nationalgalerie, die unter diesen Akten, barbarischen Akten sicherlich in einer Form gelitten hat wie nur wenige andere Museen in diesem Lande."

Dem Prinzip, möglichst viel aus den eigenen Beständen zu zeigen, fügt sich auch diese dritte Ausstellung - "Ausweitung der Kampfzone - Die Sammlung 1968 – 2000". So genannt nach dem Roman von Michel Houellebecq, der darin 1994, zu Zeiten von Börsenboom und New Economy, das Bild eines Neoliberalismus entwarf, der das Denken und Handeln von Menschen in bald allen Lebensbereichen prägt. Der Leiter der Neuen Nationalgalerie, Joachim Jäger:
"Mit der 'Ausweitung der Kampfzone' und auch diesem Roman sind gesellschaftspolitische Themen angesprochen. Und diese gesellschaftspolitischen Themen sind auch sehr stark in der Sammlung präsent. Hier in Berlin, möchte ich behaupten, wurde anders gesammelt als in Städten wie Düsseldorf, München, Stuttgart, Frankfurt oder Hamburg. Es gibt einen stärkeren Blick auf gesellschaftspolitische Themen auch im Bereich der Kunst, auch Reibungen, Konfliktsituationen in der Kunst.

Es ist natürlich auch der Ort, an dem zwei große Sammlungen zweier Systeme zusammen gekommen sind, die Sammlung Ost und die Sammlung West, auch das schlägt sich in der Sammlung sehr nieder und ist natürlich schon per se ein Kraftzentrum für eine solche Kampfzone."

Keine "Ordnung", kein "roter Faden", kein "Rundgang" durch die Kunst des späten 20. Jahrhunderts, eher Labyrinthisches: Wie könnte es in einer ausgeweiteten Kampfzone auch anders sein. Ihr entspricht der "erweiterte Kunstbegriff", folgerichtig empfängt den Besucher schon außerhalb des Museums, nämlich im Foyer eine Installation von Joseph Beuys von 1974, "Richtkräfte einer neuen Gesellschaft", auf großer Fläche 100 mit Kreide bezeichnete Schultafeln, drei davon auf Staffelei, alle anderen liegen neben- und übereinander. In der Ausstellung dann Reflexionen all der "Kampfzonen", die sich zwischen Studentenrevolte, deutschem Terror-Herbst, Punkbewegung und Fall der Mauer bis hin zur Jahrtausendwende auftaten.

Einander gegenüberstellt Werner Tübkes Entwurfsfassung für das große Panoramabild zur "Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland", im Auftrag des DDR-Kulturministeriums gemalt zwischen 1979 und 81, und: "Mohn und Gedächtnis" - Anselm Kiefers raumgreifendes Eisen– und Glas- und Mohn –und Bleiflugzeug von 1989.

Zum eigenen Kampfplatz macht Gerhard Richter die Malerei in seinem farbsatten Gemälde "Atelier"; Wolfgang Tillmans Fotoinstallation aus Zeitungsausschnitten "Soldiers" von 1999 zeigt die tägliche Gegenwart von Krieg und Tod in unseren Medien; Andy Warhols großformatig gedruckte "Camouflage" von 1986 macht wiederum aus Tarnanzügen Mode. Videoarbeiten von Pipilotta Rist und Nam June Paik, Fotoarbeiten, Fotoinstallationen von Jeff Wall und Andreas Gursky: die Börse von Singapur zeigt er als Menschenmoloch und Herrschaftszentrum. Über 100 Werke sind zu sehen, zu erleben – auch wenn einige von ihnen nur Leihgaben sind – aus der Flick-Collection, aus der Sammlung Marx - den Platzbedarf der Neuen Nationalgalerie zeigt auch diese die Ausstellung mehr als eindrucksvoll.